Kinder,- Jugendhilfe und Sozialarbeit
Ein systemischer Blick auf die Schule
Frank Fischer ist Berater für soziale Arbeit an Schulen im Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) Friedrichshain-Kreuzberg. Er gibt uns einen Einblick in seine Arbeit.
bbz: Wie bist du zur sozialen Arbeit gekommen?
Fischer: Ich habe eine Ausbildung als Schiffsmaschinist gemacht, wollte nach einiger Zeit auf See aber wieder auf dem Land arbeiten. Ich habe mich dann in Berlin auf eine Stelle als stellvertretender Jugendklubleiter beworben, dort unter anderem Veranstaltungen gemanagt und Tonaufnahmen mit Jugendbands aufgenommen.
Nach der Wende habe ich eine berufsbegleitende Erzieher*innenausbildung gemacht und später noch ein Sozialarbeitsstudium drangehangen. Letzten Endes bin ich beim Berliner Notdienst Kinderschutz gelandet.
Warum bist du zum SIBUZ gewechselt?
Fischer: Die Straßenjugendlichen, mit denen ich gearbeitet habe, hatten das gesamte Familienhilfesystem hinter sich gelassen, und ich musste alle Antennen ausfahren, um in Beziehung zu kommen. Zudem habe ich bei der Arbeit viel Destruktives erlebt, was sehr anstrengend war. Ich hatte keinen Leidensdruck, zu wechseln, mir hat die Arbeit viel gegeben, doch kam das Angebot nach über zehn Jahren beim Berliner Notdienst Kinderschutz zum passenden Zeitpunkt.
Siehst du Verknüpfungspunkte zu deiner vorherigen Tätigkeit in der Straßenarbeit?
Fischer: Die Kids, mit denen ich vorher gearbeitet habe, waren auch mal schuldistanziert, obwohl sie immer berichteten, dass Schule für sie das letzte funktionierende stabile System war. Vermutlich war das den Schulen gar nicht so bewusst.
Mit der Stelle beim SIBUZ setze ich im System eine Stufe davor an. Ich habe die Chance, punktuell dazu beizutragen, dass solche Karrieren vermieden werden können und im Bereich Schuldistanz ganz früh sensibel reagiert werden kann, um in Beziehung zu gehen und zu versuchen, die Kinder zu halten. Das finde ich sehr spannend.
Welche Funktion hast du innerhalb des SIBUZ?
Fischer: Meine Stelle wurde ausgeschrieben als Beratung von schulischem Personal, Schüler*innen und Eltern im sozialpädagogischen Kontext. Die Grundidee im SIBUZ ist, mit einem multiprofessionellen Ansatz Schulen zu beraten. Nachdem längere Zeit hauptsächlich die Schulpsychologie und der diagnostische Bereich der sonderpädagogischen Förderung dort verankert waren, kam die Idee auf, den sozialpädagogischen Bereich dazu zu nehmen. So können die Probleme, die an Schulen oft multifaktoriell sind, mit einem systemischen Blick betrachtet werden. Ziel ist es, der inklusiven Schule gerecht zu werden. Das ist ein sehr großer Anspruch, dessen Umsetzung noch Unterstützung bedarf.
Wie ist deine Arbeit als Berater zu verstehen?
Fischer: Ich bin Ansprechpartner für alle Schulsozialarbeitsteams im Stadtbezirk. Ich unterstütze in Fragen von Schuldistanz, Kinderschutz, bei strukturellen Problemen oder bei Förderungen, die in die inklusive Schulentwicklung eingreifen. Wir haben endlich in Friedrichshain-Kreuzberg an allen Schulen Schulsozialarbeit, doch gibt es einige Schulen, an denen die Kolleg*innen allein arbeiten. Wenn die Stellen an der Schule neu sind, braucht es Zeit, bis sich der Schulsozialbereich implementiert hat. Die Kolleg*innen haben zwar freie Träger, die hinter ihnen stehen, und in dem System eine Vernetzung, doch auch ich unterstütze sie. Ich fahre sehr gerne für die Gespräche bei den Kolleg*innen vorbei und suche den persönlichen Kontakt.
Im neuen Schulgesetz ist die Verankerung von Kinderschutzkonzepten an jeder Schule vorgesehen. Bist du in diesem Feld auch tätig?
Fischer: Ja. Es wird in den nächsten Monaten ein großer Arbeitsbereich von mir werden. Es kommen viele Nachfragen von Schulen, die ich berate. Zudem bieten wir Fortbildungen zum neuen Leitfaden »Kinderschutz an Schule« an.
Wie sehr bist du in der sozialpädagogischen Arbeit an den Schulen und im Bezirk vernetzt?
Fischer: Ich bin in vielen Gremien und Arbeitsgruppen vertreten, wie der AG 78 Jugendhilfe Schule, AG Kinderschutz und AG Schutzkonzepte zu sexualisierter Gewalt. Dann habe ich je eine Vernetzungsrunde der Schulsozialarbeitsteams in den drei Schulentwicklungsräumen von Friedrichshain-Kreuzberg ins Leben gerufen. Hier erhalten die Kolleg*innen fachlichen Input, können sich über Best-Practice-Beispiele austauschen und sich Tipps von Kolleg*innen holen. Das funktioniert sehr gut. Teilweise kannten sich die Kolleg*innen vorher nicht, obwohl sie an Nachbarschulen arbeiteten und mit ähnlichen Problematiken und Ressourcen zu tun hatten.
Hat jeder Bezirk eine Sozialarbeitsstelle im SIBUZ?
Fischer: Ja, wir sind auch untereinander sehr gut vernetzt und treffen uns alle sechs Wochen zum Austausch.
Was glaubst du, welche Kompetenzen braucht man in deinem Job?
Fischer: Es sind mehrere Ebenen. Vor ein paar Jahren ist das Wort »Systemsprenger*in« entwickelt worden. Das wird gerne im schulischen Bereich genommen. Wobei ich mich immer frage, muss man die Kids ändern, damit sie das System nicht sprengen, oder nicht vielmehr das System ändern, damit es nicht gesprengt wird. Ich habe viel Erfahrung mit den sogenannten Systemsprenger*innen, die kann ich in die Arbeit einbringen. Ich habe meinen Fokus dabei oft auf den dysfunktionalen Problemlösungsstrategien der Kinder und Jugendlichen. Es ist wichtig, im Blick zu haben, dass das Kind nicht Probleme macht, sondern Probleme hat. Zum anderen ist die Kenntnis über Hilfesysteme sehr nützlich dafür, wie ich agiere.
Im sozialpädagogischen Bereich der schulischen Arbeit muss man sich mit Ideen und Methoden der Konfliktlösungsstrategien auskennen, braucht Kommunikationsfähigkeit, ein gesundes Maß an kritischer Selbstreflexion, analytisches Denken und systemisches Herangehen.
Inwieweit hast du dich mit deinem neuen Einsatzort »Schule« vertraut gemacht?
Fischer: In meiner jetzigen Tätigkeit bin ich viel im Bereich Kinderschutz unterwegs und da brauchst du Fachwissen. Im sozialpädagogischen Sinn habe ich eine ganze Menge mitgebracht, der Bereich Schule ist allerdings ein ganz spezieller Mikrokosmos. Im ersten Jahr habe ich sehr viel Fachliteratur gelesen. Zudem habe ich alle Schulen aufgesucht, um die Schulsozialarbeiter*innen und ihre Schulen kennenzulernen. Wichtig ist auch der Kontakt zu den einzelnen Fachberatungsstellen wie den Erziehungs- und Familienberatungsstellen und Kinderschutzzentren. Ich bin noch dabei, die Kolleg*innen aufzusuchen und ihre Arbeit kennenzulernen.
Welche Herausforderungen hattest du anfangs?
Fischer: Ich bin von der direkten Basisarbeit gekommen und von einem Tag auf den anderen habe ich nicht mehr Straßenjugendliche beraten, sondern Kolleg*innen in einem System, in dem ich mich selbst noch nicht als Profi gefühlt habe. Jetzt merke ich, dass ich mich darin immer sicherer fühle, es mir großen Spaß macht und ich auf ganz viel Erfahrung aus meiner vorherigen beruflichen Laufbahn zurückgreifen kann.
Wo siehst du Probleme oder Herausforderungen?
Fischer: Ich finde den inklusiven Ansatz vom SIBUZ sehr wichtig und als Gesellschaftsziel insgesamt erstrebenswert, dass wir es schaffen, inklusiv zu denken. Das kriegst du nicht geschenkt, das benötigt zusätzliche Ressourcen. Ein überlastetes System kann das schwer leisten. Die Kinder und Jugendlichen wollen gesehen werden. Im Wechselunterricht haben wir gesehen, wie die Vertiefung von Beziehungen möglich ist. Um Gruppen zu teilen, brauchen wir allerdings die personellen und räumlichen Möglichkeiten.
Zudem finde ich es sehr wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen handwerklich arbeiten, wie zum Beispiel in werkpädagogischen Projekten. Es gibt viele Kinder und Jugendliche, die auf dieser Ebene gefördert und gefordert werden sollten, damit sie erfolgreich und selbstwirksam sein können. Hier sehe ich einen großen Nachholbedarf.
Was würdest du dir wünschen?
Fischer: Für mich ist das Wichtigste in der Pädagogik die Beziehungsarbeit. Du kannst nichts verändern, wenn du nicht in Beziehung stehst. Beziehungsarbeit kostet Anstrengung, Zeit und Engagement. Das ist in den personellen Überlastungssituationen, in denen Schule sich oft bewegt, von den Kolleg*innen schwer zu leisten. Ich würde mir wünschen, dass an dieser Stelle unter anderem auch mit weiteren Sozialarbeiter*innen nachgesteuert wird.