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Schwerpunkt "Hochschulen gestalten Zukunft"

Ein zweifelhaftes Transparenzversprechen

Über 400 Menschen nahmen am Town-Hall-Meeting von »Schule muss anders« und der GEW BERLIN teil. Trotz intensiven Austauschs kam nicht der Eindruck auf, dass die politisch Verantwortlichen für partizipative Verhandlungen bereit sind.

Foto: Elisa Bauer

Es klingt ziemlich unsexy dieses Wort: »Hochschulverträge«. Doch wer ernsthaft mehr Lehrer*innen, kleinere Klassen und Entlastung will, kommt an den Hochschulverträgen nicht vorbei. Aus diesem Grund hatten »Schule muss anders« und die GEW BERLIN am 24. Januar gemeinsam zum Town-Hall-Meeting »Lehrkräftemangel – Warum die Hochschulverträge für die Bekämpfung des Lehrer*innenmangels so wichtig sind«, eingeladen.

In den Hochschulverträgen geht es unter anderem um die zentrale Frage, wie viele Lehrkräfte in den nächsten Jahren an den Berliner Universitäten HU, FU, TU und UdK ausgebildet werden sollen und damit um eine zentrale Weichenstellung für die Bildungschancen junger Menschen in dieser Stadt. Doch obwohl es sich bei diesem Thema um ein öffentliches Gut handelt, wird Intransparenz großgeschrieben. Wer genau am Verhandlungstisch sitzt, wann die Treffen stattfinden und wie der genaue Zeitplan aussieht, ist kaum rauszubekommen.

Um über Zielzahlen, Transparenz, Studienqualität und Finanzierung zu diskutieren, haben wir die Entscheidungsträger*innen eingeladen, die auch hinter den geschlossenen Türen die Verhandlungen führen: Armaghan Naghipour, Staatssekretärin für Wissenschaft, Alexander Slotty, Staatssekretär für Bildung und Niels Pinkwart, Vizepräsident der HU Berlin (an den Verhandlungen sind natürlich auch Vertreter*innen der anderen Unis beteiligt). Außerdem waren noch die wissenschaftspolitischen Sprecher*innen von SPD, Ina Czyborra, Grünen, Laura Neugebauer und LINKE, Tobias Schulze, eingeladen, da die ausgehandelten Verträge am Ende der Zustimmung des Berliner Abgeordnetenhaus bedürfen.

Das Interesse war groß. Über 400 Leute kamen zum Town-Hall-Meeting, 60 Leute direkt in die Ahornstraße und über 350 Menschen waren digital dabei. In Eingangsstatements machten Leila vom Landesschüler*innenausschuss, Maren Söder und Hannes Bülow als Lehrkräfte und Dana Löscher als Lehramtsstudentin eindringlich klar, warum jetzt alles getan werden muss, um ausreichend Lehrkräfte auszubilden und gute Studienbedingungen zu gewährleisten.

 

3.000 Lehramtsabsolvent*innen pro Jahr als Ziel

 

Doch wie viele Lehrkräfte sind ausreichend? Mindestens 3.000 pro Jahr sagen die Schätzungen von »Schule muss anders« und auch die Berechnungen der Senatsbildungsverwaltung vom Mai 2022. Umso erstaunlicher war, dass Wissenschaftsstaatssekretärin Naghipour angab, dass man lediglich 2.300 Lehrkräfte jährlich benötige und dementsprechend auch als Zielzahl in den Hochschulverträgen festschreiben wolle. Noch erstaunlicher war, dass Bildungsstaatssekretär Slotty ihr zunächst beipflichtete, um auf Nachfrage zu erklären, dass man schon 3.000 neue Lehrkräfte pro Jahr brauche, aber 2.300 als Zielzahl korrekt sei, da ihm der Glaube daran fehle, dass man von heute auf morgen die Mittel zur Verfügung stellen und die Studierenden finden würde.

Es macht aber einen entscheidenden Unterschied, ob nur 2.300 Lehrkräfte jährlich gebraucht werden oder, ob man aus Kostengründen nur Studienplätze für 2.300 Absolvent*innen schaffen möchte, obwohl die eigene Verwaltung einen Bedarf von 3.000 Lehramtsabsolvent*innen pro Jahr berechnet hat. Mit zu geringen Zielzahlen wird der Lehrkräftemangel weiter fortgeschrieben. Zudem ist das beliebte Argument, dass es gar nicht genügend Bewerber*innen für das Lehramtsstudium gebe, in dieser Form falsch. In einigen Lehramts-Studienfächern wie zum Beispiel Informatik oder beim Berufsschullehramt gibt es zu wenige Bewerber*innen. Jedoch werden in anderen Fächern regelmäßig Bewerber*innen wegen fehlender Studienplätze und des NCs abgewiesen. Allein zum letzten Wintersemester traf das knapp 3.000 Bewerbungen im Lehramtsbereich, davon allein circa 1.500 für das größte Mangelfach Sonderpädagogik und hunderte in weiteren dringend benötigten Fächern. Hier mehr Studienplätze zu schaffen, hilft und ist eine Frage des politischen Willens und des Willens, in Bildung zu investieren.

Die Unis benötigen einerseits mehr und langfristige Mittel, um das für den Kapazitätsaufwuchs notwendige Personal anstellen und gute Studienbedingungen schaffen zu können. Andererseits müssen sie auch selbst in die Verantwortung genommen werden, wie die Erfahrungen der letzten Hochschulverträge zeigen. Die dort vereinbarten Zielzahlen wurden jeweils krachend verfehlt, auch, weil die Lehrkräftebildung innerhalb der Unis oft nicht genügend Aufmerksamkeit und Ressourcen bekommt. Für 2018-2022 war das Ziel, 2.000 Lehrkräfte jährlich auszubilden. Die Absolvent*innenzahlen lagen immer unterhalb von 1.000, also nicht einmal bei der Hälfte des angestrebten Ziels und nur bei einem Drittel des tatsächlichen Bedarfs.

Dass angesichts dieses politischen Steuerungsversagens die aktuellen Verhandlungen erst recht transparent ablaufen sollten, sollte selbstverständlich sein. Dem stimmten die meisten der Gäst*innen in Worten auch zu. »Es geht darum, dass man Transparenz schafft in dem Prozess«, betonte zum Beispiel Armaghan Naghipour. Sie sei auch zu weiteren öffentlichen Austauschformaten bereit. Dass sie die Verantwortung, solchen Austausch zu organisieren und Transparenz zu schaffen, bei »Schule muss anders« oder der GEW BERLIN und nicht bei der zuständigen Senatsverwaltung sieht, irritierte gleich mehrere Zuhörer*innen. Dass gut sechs Wochen nach dem Town-Hall-Meeting dann am 10. März eine Verhandlungsrunde zum Thema Lehrkräftebildung stattfand, ohne dass die Öffentlichkeit darüber informiert wurde, ließ weitere Zweifel an dem Transparenzversprechen aufkommen.

 

Ausbildungsoffensive muss Priorität sein

 

Eigentlich war vorgesehen, dass die Senatsverwaltung mit den Unis die Verträge bis zum Juni fertig verhandelt hat. Doch die Wiederholungswahl scheint den eh schon intransparenten Ablauf durcheinandergebracht zu haben. Die ersten Verhandlungsrunden sind gestartet, abgeschlossen werden die Hochschulvertragsverhandlungen dann aber wohl von der neuen Koalition, wie immer sie auch aussieht.

Klar ist, dass sich die Forderungen zur Ausbildungsoffensive auch an eine eventuell neue Koalition und Senatsverwaltung richten: Die Lehrkräftebildung muss innerhalb der Hochschulverträge und der Unis hohe Priorität bekommen. Eine Ausbildungsoffensive mit dem Ziel, 3.000 Lehrkräfte jährlich auszubilden, muss in den Hochschulverträgen festgeschrieben werden. Dafür müssen die Unis einerseits eine »Sonderfinanzierung Lehrkräftebildung« erhalten, die mindestens 17 Millionen Euro pro Jahr beträgt und andererseits müssen die Gelder, die für die Lehrkräftebildung vorgesehen sind, innerhalb der Unis auch dafür ausgegeben und nicht intern umverteilt werden. Und natürlich müssen die weiteren Verhandlungen endlich transparent ablaufen. Für diese Forderungen werden sich »Schule muss anders« und die GEW BERLIN auch weiterhin stark machen, damit in Berlin endlich die Weichen raus aus dem Lehrkräftemangel gestellt werden.   

Wer sich näher mit mit dem Thema Hochschulverträge beschäftigen möchte, kann sich die Aufzeichnung des Town-Hall-Meetings online anschauen: Meeting

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46