bbz 11 / 2018
Eine Frage der Qualität
Die Senatsbildungsverwaltung fördert das unkontrollierte Wachstum an gewerblichen Schulträgern im Bereich der Berliner Erzieher*innenausbildung
Obwohl der Erzieher*innenmangel in vielen Bereichen offensichtlich ist, nehmen die Anmeldungen zur Erzieher*innen-Ausbildung an den staatlichen Fachschulen im Land Berlin ab. Ein Grund dafür ist sicher die gute Konjunkturlage, die dafür sorgt, dass in vielen Bereichen um qualifizierte Auszubildende geworben wird. Aber auch die Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen im Berliner Erziehungswesen sorgt für eine Umorientierung der potentiellen Interessent*innen. Die schlechten Arbeitsbedingungen bei gleichzeitig geringer Bezahlung lassen den Erzieher*innenberuf für viele Kandidat*innen an Attraktivität einbüßen. Eine Reaktion der Senatsverwaltung auf diese Entwicklung besteht in der Ausweitung des Privatschulsektors.
Während berlinweit das Augenmerk auf fehlende Erzieher*innen gerichtet ist, wird die Frage nach der Qualifikation der betreffenden Personen oft überhaupt nicht mehr gestellt. Hier hat sich die Berliner Senatsverwaltung offensichtlich dem öffentlichen Druck ergeben und nahezu sämtliche Qualitätskriterien über Bord geworfen.
Um mehr Menschen zur Arbeit in den Bildungseinrichtungen zu bewegen, wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche Versuche unternommen. Zunächst sollten über die sogenannte Nichtschülerprüfung Menschen für den Erzieher*innenberuf qualifiziert werden, die zwar im pädagogischen Bereich tätig waren, dort aber keinen beruflichen Abschluss hatten. Diese nachvollziehbare Idee wurde aufgrund der regen Nachfrage weiter ausgebaut. Bald wurden nicht nur Menschen, die zu dem Zeitpunkt im pädagogischen Bereich tätig waren, zur Prüfung zugelassen, sondern auch solche, die irgendwann mal im pädagogischen Bereich tätig gewesen waren. Aufgrund des Erzieher*innenmangels sah die Senatsverwaltung alsbald auch den Begriff »pädagogischer Bereich« nicht mehr ganz so eng. So kam es dazu, dass die Betreuer*innen einer Ferienfreizeit und Haushaltskräfte aus Kitas sich zur Nichtschülerprüfung anmeldeten. Diese Personen bereiteten sich autodidaktisch auf die Prüfung vor und wurden dann nach einem Jahr geprüft. Größtenteils förderte das Arbeitsamt auch die Prüfungsvorbereitung.
Die Folge war, dass sich findige Geschäftemacher*innen auf diese Nichtschülerprüfung zu konzentrieren begannen und Vorbereitungskurse anboten, die natürlich nicht kostenlos waren. Die Durchfallquoten der Prüfungen, die durch die staatlichen Fachschulen durchgeführt wurden, waren aufgrund der unprofessionellen Vorbereitung der Prüflinge entsprechend hoch. Mittlerweile ist der Markt für potentielle Kandidat*innen scheinbar ausgeschöpft, denn die Anmeldungen zu dieser Prüfungsform nehmen inzwischen ab. Skandalös ist die Tatsache, dass die Senatsverwaltung einen Teil der eigenen Ausbildungsverpflichtung an einen privaten Markt transferiert und diesen dann über die Förderung der Kursgebühren durch das Arbeitsamt auch noch subventioniert.
Senat bezahlt Schulgeld an private Schulträger
Diese Entwicklung wird mittlerweile auf die Spitze getrieben. Aufgrund des Fachkräftemangels hat die Senatsverwaltung privaten Anbietern nun auch die Tür zur regulären Erzieher*innenausbildung geöffnet. Bisher wurde die Ausbildung in Berlin zum einen durch sechs staatliche Erzieher*innenfachschulen und zum anderen durch seit langen Jahren existierende gemeinnützige Schulträger (wie beispielsweise Kirchen oder Sozialverbände) gewährleistet. Seit einigen Jahren ist nun ein zunehmender Wildwuchs an gewerblichen Schulträgern mit kommerziellen Interessen im Bereich der Berliner Erzieher*innenausbildung zu beobachten.
Die Schulen finanzierten sich in der Vergangenheit unter anderem über ein Schulgeld, das von den Schüler*innen zu entrichten war. Seit 2016 wird dieses Schulgeld in Form einer Pauschale in der Regel durch die Senatsverwaltung übernommen. Die Berliner Senatsverwaltung bezahlt also Schulgeld an private Träger, obwohl sie selbst sozialpädagogische Fachschulen betreibt, in denen die Erzieher*innenausbildung auf hohem fachlichen Niveau angeboten wird.
Auch in diesem Bereich unterstützt man also den privaten Bildungssektor, der zu einer Qualitätsverringerung im Erziehungswesen beiträgt. Ob diese Subvention tatsächlich geplant ist oder ob dieser Entwicklung nur eine Fehleinschätzung der Senatsverwaltung über die Entwicklung des Bedarfs an Erzieher*innen zugrunde liegt, ist schwer zu sagen. Es spricht aber einiges für eine strategische Entscheidung der Senatsverwaltung gegen das öffentliche Schulwesen.
Erzieher*innen prüfen Erzieher*innen
Die Ausbildung der dringend benötigten Erzieher*innen wird also zunehmend an kaum regulierte gewerbliche Schulträger outgesourct. Die Senatsverwaltung nimmt hier faktisch keine Schulaufsicht wahr (siehe Seite 10 bis 11). Während an den staatlichen Erzieher*innenfachschulen nur voll ausgebildete Lehrkräfte unterrichten dürfen, unterrichten an vielen gewerblichen Fachschulen Erzieher*innen als Dozent*innen. In Seminaren der GEW saßen schon Studierende, die von ihren Privatschulen dorthin zur Fortbildung geschickt wurden, weil die eigenen Dozent*innen bestimmte prüfungsrelevante Themen nicht abdecken konnten.
Die Abschlussexamen werden dann ohne externe Prüfer*innen, beispielsweise von staatlichen Schulen, abgenommen. Die Absolvent*innen der privaten Schulen werden also von Prüfer*innen geprüft, die teilweise selbst erst vor wenigen Monaten die Ausbildung abgeschlossen und in keiner Weise eine didaktische Ausbildung genossen haben.
Hinzu kommt, dass Schüler*innen dazu neigen, die Ausbildung dort zu absolvieren, wo der erfolgreiche Ausbildungsabschluss sicher erscheint und das beste Abschlusszeugnis erreicht werden kann. Über elektronische Medien und im Rahmen der Praktika findet bei den Schüler*innen ein reger Austausch darüber statt, wo die Ausbildung mit dem geringsten Aufwand absolviert werden kann. In der Folge wechseln die Schüler*innen zunehmend von öffentlichen zu privaten Trägern, denn dort sind die Anforderungen geringer.
Denn natürlich haben die privaten Träger kein Interesse daran, die Anforderungen für die eigenen Schüler*innen zu hoch zu halten. Ansonsten wechseln diese eben zu einem »angenehmeren« Institut und das eigene Geschäftsmodell wäre bedroht. Da die Institute die Schüler*innen selbst prüfen und bewerten, liegt es auf der Hand, dass auch dort nicht besonders genau hingesehen wird.
Die 2016 eingeführte neue Sozialpädagogikverordnung bietet den Absolvent*innen der qualitativ hochwertigen Institute die Möglichkeit, sich in der neu etablierten zentralen Abschlussprüfung von den anderen Absolvent*innen durch bessere Leistungen abzugrenzen. Sinnvoll ist diese jedoch nur, wenn die Schüler*innen der privaten Schulen nicht durch die eigenen Dozent*innen geprüft werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Prüfer*innen natürlich kein Interesse an einer zu negativen Beurteilung haben, da ansonsten der eigene Arbeitsplatz gefährdet ist.
Ganz nebenbei entspricht diese Logik auch dem Bedarf der Senatsverwaltung, möglichst schnell, möglichst viele Erzieher*innen auf den Berliner Markt zu bringen, um endlich den Engpass in diesem Bereich vom Tisch zu haben.
Es gilt schnellstmöglich für ordnungspolitische Veränderungen zu sorgen, um einheitliche Qualitätsstandards durchzusetzen, die für alle Interessierten an der Ausbildung wie auch für Kitaträger und Eltern transparent und vergleichbar sind. Im Bereich der Erzieher*innenausbildung darf die Qualität nicht länger zugunsten der Quantität geopfert werden.
Von Nöten ist eine Neuausrichtung der Berliner Bildungspolitik, die, wie in vielen unterschiedlichen Parteiprogrammen vor den Wahlen formuliert wurde, den Bildungsbereich sowohl in quantitativer vor allem aber auch in qualitativer Hinsicht voranbringt.
Thomas Hampl, Lehrer an der Jane-Addams-Schule (OSZ Sozialwesen) und Mitglied des Leitungsteams der Abteilung Berufsbildende Schulen der GEW BERLIN
Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Wildwuchs in der Erzieher*innenausbildung“ [zur gesamten Ausgabe]