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Schwerpunkt „Deine Arbeitszeit ist messbar“

Eine Frage der Zeit

Unser Autor hat die Arbeitszeitstudie eng begleitet, als Mitglied im GEW-Leitungsteam, als Multiplikator an seiner Schule und als Studienteilnehmer. Für ihn ist klar, er möchte seine Arbeitszeit auch weiterhin erfassen.

FOTO: BETSI SCHUMACHER, VERFREMDUNG BLEIFREI

Ein ganzes Schuljahr ist es mittlerweile her, dass ich meinen letzten Eintrag im Tool vorgenommen habe. Die drei Präsenztage am Ende der Sommerferien 2024 waren die letzte Arbeitszeit, die ich sorgsam und möglichst genau dokumentierte und erfasste. Mit dem Beginn des neuen Schuljahres 2024/25 fehlte mir dann etwas: Die Möglichkeit, meine Arbeitszeit sichtbar zu machen. Noch in den ersten Tagen und Wochen buchstabierte ich die verschiedenen Tätigkeiten im Kopf aus, ehe dieser im vergangenen Schuljahr neu erworbene Habitus allmählich wieder verblasste. Noch immer wünsche ich mir eine Arbeitszeiterfassung (zurück), die mir in vielerlei Hinsicht genutzt hat.

In diesem einzigartigen Prozess und Projekt hatte ich von Anfang an verschiedene Rollen: Teil des Leitungsteams, Multiplikator und natürlich Teilnehmer. Die Aufgabe bestand darin, eine wissenschaftliche Studie zu begleiten und ihre Realisierung zu unterstützen. Es brauchte viele Helfer*innen.

 

Was Ehrenamt kann

 

Ich habe in diesem Prozess viel gelernt darüber, wie quantitative Studien entstehen, wie sie vorbereitet und schließlich durchgeführt werden und warum wissenschaftlich gestützte Gewerkschaftsarbeit unseren Forderungen Rückenwind verleihen kann. Auf der anderen Seite wurde mit dem Projekt ein gewerkschaftliches Moment geschaffen, in dem sichtbar wurde, was eine Ehrenamtsstruktur leisten kann.

Diese Studie hätte nicht ohne das enorme Engagement der vielen ehrenamtlichen Multiplikator*innen (unserer Multis) vor Ort an den Schulen durchgeführt werden können. In den Schulungen für die Multis wurde schnell klar, an welchen Punkten sich neue Fallstricke auftun könnten. Seien es spezifische Fragen nach Arten der Abordnung, ob bestimmte Fahrwege Arbeitszeit seien oder wie ich eigentliche verschiedene Tätigkeiten, die ich gleichzeitig ausübe, erfasse. Die Studie wurde für uns Berliner Lehrkräfte mit viel Aufwand maßgeschneidert. Bei jeder der Multi-Schulungen lernte ich Neues. Zusätzlich bot ich weitere kleinere Schulungen an meiner eigenen Schule an und konnte sogar die Schulleitungsmitglieder überzeugen, an der Arbeitszeiterfassung teilzunehmen.

Anfangs war ich unsicher, ob ich »genügend – gemessen an meinem Stundendeputat« arbeiten würde. Schnell zeigte sich in meiner Dokumentation, dass Unterrichtsvor- und Unterrichtsnachbereitung sowie pädagogische Kommunikation, aber auch Korrekturzeiten viel Raum einnehmen. 

 

Hinter dem Deputat versteckt

 

Eine weitere Beobachtung war der selbst-korrigierende Effekt. In dem Versuch, verschiedene Tätigkeiten über den Tag hinweg zu erfassen, bemerkte ich, dass ich teilweise in demselben Zeitfenster unterschiedliche Tätigkeiten ausübte. Der Klassiker ist die Korrektur während einer (Klausur-)Aufsicht oder ein kurzes und ungeplantes pädagogisches Gespräch in der Pause, obwohl die Sitzung noch nachbereitet werden müsste. Alle Lehrkräfte (und pädagogisches Personal im Allgemeinen) kennen die Tage, an denen wir gefühlt keine Pause haben. Gerade wenn eine*r als Klassenleitung eingesetzt ist, müssen in kurzer Zeit viele Anfragen angenommen und Entscheidungen getroffen werden. Hier zeigen sich die zum Teil unklaren oder nicht ausformulierten Anforderungen des Lehrberufs, die neben der Unterrichtstätigkeit erledigt werden müssen und sich geschickt hinter dem Deputat verstecken.

Eine Konsequenz für mich während der Zeiterfassung war die Umstrukturierung einiger Tätigkeiten: zum Beispiel Aufsicht führen, wenn ich Aufsicht führen musste; oder Pause machen, obwohl vielleicht ein Gespräch geführt werden könnte; oder zu Hause festere Arbeitszeiten einplanen und nicht schon auf dem Weg in der U-Bahn E-Mails checken oder Anfragen beantworten. Ich habe meine Arbeit »entdichtet«, weil mir bewusst wurde, welche unterschiedlichen, komplexen Tätigkeiten ich manchmal gleichzeitig ausübe. 

Rückblickend lässt sich die Zeit der Erfassung an meiner Schule, aber sicherlich auch an anderen Schulen, in zwei grobe Abschnitte einteilen: 1. und 2. Halbjahr. Zu Beginn des ersten Schuljahres waren viele Lehrkräfte motiviert, ich kam mit Kolleg*innen ins Gespräch und in den Austausch, denen ich sonst eher nur in der Gesamtkonferenz oder bei Studientagen begegnete. 

 

Vor zu langen Arbeitstagen schützen 

 

Während zu Beginn des zweiten Halbjahres zusätzlich ehemalige Referendar*innen für die Studie gewonnen werden konnten, nahm die Bereitschaft einiger Kolleg*innen zur Fortführung ihrer Teilnahme mit steigender Belastung ab. Erfahrene Lehrkräfte wissen, dass vor allem auf den weiterführenden Schulen das 2. Halbjahr mit seinen Abschluss- und Abiturprüfungen arbeitsintensiver ist. Dies hatte teilweise den Effekt, dass die betroffenen Lehrkräfte gefühlt keine Zeit mehr fanden, ihre Arbeitszeit zu erfassen und die Arbeit in der neu begonnenen Woche nicht dokumentiert werden konnte, weil die vorherige noch nicht abschließend erfasst war. Dieser Effekt wiederholte sich dann zur nächsten Woche, sodass es nicht mehr möglich schien, den Anschluss zu finden. Gerade in solchen Zeiten hoher Belastung wäre es hilfreich, einen Schutz vor überlangen Arbeitszeiten zu haben – ein Signal zu bekommen, es ist völlig ok, wenn du nach einem 8-Stunden-Tag nicht auch noch den Stapel Korrekturen machst.

Meine beiden zentralen Erkenntnisse sind, dass ich erstens nicht alle Tätigkeiten ganz differenziert erfassen kann, und zweitens um dies tun zu können, meine Arbeit umstrukturiert werden müsste: Feste Vorbereitungszeit, feste Erreichbarkeit und damit verbunden feste Sprechstunden, in denen ich pädagogische Gespräche führe, feste Pausenzeiten, gegebenenfalls feste Korrekturzeiten, klare Aufgabenverteilung (Stichwort: multiprofessionelle Teams) und so weiter.

Wie geht es jetzt weiter? Die Ergebnisse der Arbeitszeitstudie liegen vor und werden interpretiert werden. Der Diskussionsprozess innerhalb der GEW BERLIN hat begonnen: Wie könnte in Berlin die Arbeitszeit der Lehrkräfte dauerhaft erfasst werden? Eine Gruppe aus Personalrät*innen, ehemaligen Multis und Mitgliedern des Projektleitungsteams hat sich bereits im Februar 2025 in einer Schulung versammelt, um Eckpfeiler und Chancen, aber auch Herausforderungen, Fallstricke und Befürchtungen gegenüber einer Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte zu sammeln. 

Dies ist ein wichtiger Schritt, denn Zeiterfassung soll den Beschäftigten nutzen und der Durchsetzung des Arbeitsschutzrechtes dienen. Auch in diesem Prozess wird sich zeigen, dass die Erfassung von Arbeitszeit der Lehrkräfte nicht nur eine technische Herausforderung darstellt, sondern auch einen kleinen Kulturwandel anstößt. Lehrkräfte verdienen es ebenso wie alle anderen Beschäftigten, dass jede Minute ihrer Arbeitszeit zählt und somit auch Ruhe- und Pausenzeiten zum Schutz ihrer Gesundheit gewährt werden. Warum wohl könnten die Arbeitgeber keine Arbeitszeiterfassung für uns Lehrkräfte wollen? Leisten wir etwa andauernd unbezahlte, weil unbemerkte Mehrarbeit? Es gibt bereits hoffnungsvolle Töne aus Bremen: Hier soll spätestens mit dem Schuljahr 2026/2027 eine Pilotphase beginnen. Das wollen wir in Berlin auch! Denn es gilt: Auch die Arbeitszeit von Lehrkräften ist messbar!