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bbz 09 / 2016

Eine Legislatur des Durchwurschtelns

Fünf Jahre waren SPD und CDU scheinbar alternativlos aneinander gekettet. Die bildungspolitische Bilanz fällt ernüchternd aus.

Nach fast zehn Jahren wählten die BerlinerInnen den rot-roten Senat im Jahr 2011 ab. Unter SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit war Berlin zu einer weltweit beachteten Metropole für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Tourismus geworden. Aber diese positive Entwicklung kam bei zu wenigen BerlinerInnen an. Heute lässt die SPD gerne unter den Tisch fallen, dass es nach der damaligen Wahl durchaus eine Mehrheit von zwei Mandaten gab, noch zusammen mit den Grünen weiter zu regieren. Doch anstatt diese progressive Mehrheit zu nutzen, entschied sich Wowereit damals lieber für ein Bündnis mit der CDU. Diese hat mit ihren Frontmännern Frank Henkel und Mario Czaja auf ganzer Linie versagt.

Was stand im Koalitionsvertrag?

Werfen wir zuerst einen Blick in die Vereinbarung von 2011. Die Schulstruktur wurde nicht angetastet und auch die Gemeinschaftsschulen opferte die neue große Koalition nicht auf dem Altar ihrer Koalitionsvereinbarung. Dabei hatte die CDU in der Opposition beides hart bekämpft. Die Konsolidierung der Schulstrukturreform aus dem Jahr 2010 war für die Bildungsverwaltung das dickste Brett, das sie in den letzten fünf Jahren zu bohren hatte. Die ständigen Angiftungen der CDU waren hierbei sicher nicht hilfreich.
Was hatte sich die Koalition noch vorgenommen? »Anstrengungen, den Lehrermangel zu stoppen« – wie es in der Vereinbarung hieß – sind bisher nicht erkennbar, es sei denn, wir verbuchen die vielen Einstellungen von QuereinsteigerInnen als Anstrengung. Die Studienplätze für künftige Lehrkräfte sind skandalös wenige. Die 300 zusätzlichen Bachelor-Studienplätze, die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den Unis abgetrotzt hat, reichen bei weitem nicht aus. Zu viele StudienbewerberInnen werden jedes Semester wegen Kapazitätsmangel abgelehnt. Die erfolgreiche Leitung einer fünf Milliarden Euro-Verwaltung sieht anders aus.
Grundschulen wollte der Senat, wie andere Schulen auch, mit Funktionsstellen ausstatten. Das ist bis heute nicht geschehen. Das Resultat dieser Untätigkeit: Der Mangel an geeigneten Lehrkräften für Grundschulen ist größer denn je, denn berufliche Aufstiegsmöglichkeiten gibt es kaum. Zwar wurde die Besoldung für GrundschulrektorInnen um eine Stufe angehoben – ein längst überfälliger Schritt – doch eingestellt wird man zuerst als Lehrkraft und nicht als SchulleiterIn. Auch den Wegfall der Bedarfsprüfung in den Klassen fünf und sechs hat die Koalition nicht umgesetzt.
Umgesetzt wurde hingegen das Vorhaben, »den Anteil der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die am gemeinsamen Unterricht an allgemeinen Schulen teilnehmen, zu erhöhen.« Die Stellen aus den Förderzentren wurden dafür in vollem Umfang in die Regelschulen überführt. Aber PraktikerInnen wissen, dass die Stunden für sonderpädagogische Förderung pro Kind trotzdem seit Jahren gekürzt werden. Inklusion kann ohne zusätzliche Ressourcen so nicht erfolgreich sein.
Wäre ich Zyniker, würde ich sagen, dass der »weitere Aufbau der Lebensarbeitszeitkonten« für Lehrkräfte erfolgreich gestoppt wurde. Eine echte Kompensation dafür gab es aber nicht. Lediglich die 2003 abgeschaffte Altersermäßigung führte die Senatsverwaltung wieder ein – zusammen mit zwei zusätzlichen Präsenztagen. Für die KollegInnen ist dies eine weitere Erhöhung der Arbeitszeit und ein Schlag ins Gesicht für alle engagierten PädagogInnen.
Für den Hochschulbereich verpflichteten SPD und CDU sich dazu, »die zunehmend kurzen Vertragslaufzeiten von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vermeiden«. Nach fünf Jahren ist der Anteil an prekären Beschäftigungsbedingungen in der Berliner Wissenschaftslandschaft aber so hoch wie nie zuvor. Unsichere Jobs und niedrige Honorare treffen insbesondere die Lehrbeauftragten. Die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, die Anpassung der Stundensätze an die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst sowie mehr Wahl- und Mitbestimmungsrechte sind hier schon lange überfällig. Die Berliner Hochschulen müssen mit den neuen Hochschulverträgen zu einem Personalentwicklungskonzept gezwungen werden, mit dem das ausufernde Maß an prekärer Beschäftigung eingedämmt werden kann.

Größte Herausforderung waren Geflüchtete

Die Integration geflüchteter Kinder in das Berliner Bildungssystem ist zweifellos die größte bildungspolitische Herausforderung der letzten Jahre. Bei allem Kritikwürdigen haben alle Beschäftigten in der Verwaltung und in den Einrichtungen das gut gemeistert. Ein Blick in andere Bundesländer wie Rheinland-Pfalz oder Thüringen zeigt, dass es keineswegs üblich ist, dass so viele Kinder so schnell einen Schulplatz bekommen. Doch hier zeigt sich auch die Unfähigkeit auf Unvorhergesehenes zu reagieren: Seit drei Jahren wissen wir, dass Berlins Bevölkerung wächst. Auch ohne die Kinder aus geflüchteten Familien. Fast genauso lange wissen wir, dass die Stadt bis 2030 dutzende neue Schulen braucht. Erst kurz vor der Wahl hat Scheeres ein Programm vorgestellt, wie der skandalös lange Bau von neuen Schulen verkürzt werden kann. Erprobt ist das Verfahren aber nicht. Bis dahin müssen wir wohl weiter damit leben, dass in den Schulen Teilungsräume mit neuen Klassen vollgestopft werden und so bewährte und erfolgreiche pädagogische Konzepte über den Haufen geworfen werden müssen. Dort, wo jede Besenkammer bereits mit Kindern voll ist, werden mobile Ergänzungsbauten auf die Schulhöfe gestellt. Dies sind zwar moderne Gebäude, aber sie versprühen den Charme einer Sparkassenfiliale und entsprechen nicht den Ansprüchen moderner Pädagogik.
Statt verlässlich Mittel für Sanierungen und Neubauten bereitzustellen, rühmt sich die SPD mit Sonderprogrammen mit wohlklingenden Namen wie »Siwa«. Dieses ist aus den Haushaltsüberschüssen gespeist und folgt damit nur der Kassenlage statt dem tatsächlichen Bedarf. Wenn der Berliner Haushalt mal wieder keine Überschüsse produziert, gehen auch die Mittel für Schulsanierung zurück. Vorausschauende Schulentwicklung sieht anders aus.

Fachkräftemangel gefährdet Kinder

Unter dem Motto »Kinderschutz braucht Kinderschützer« protestierten seit Jahren die SozialarbeiterInnen der Jugendämter für bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Deren Fallzahlen steigen, die Anzahl der Stellen aber nicht. Vielmehr bleiben die paar neu geschaffenen Stellen unbesetzt, weil es keine geeigneten Bewerbungen gibt. Zu unattraktiv sind die Arbeitsbedingungen in den Jugendämtern, zu schlecht die Bezahlung im Vergleich zu den Brandenburger Kommunen. Ohnehin würden die zusätzlich geschaffenen Stellen auf Grund der wachsenden Bevölkerung lediglich den Status Quo erhalten. Weitere Stellen zur Reduzierung und Begrenzung der Fallzahlen gibt es nicht. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung ist der Krankenstand sehr hoch und viele Planstellen sind nicht besetzt. Doch die Jugendverwaltung reagiert nur träge. Aussitzen hilft hier aber wenig, denn jeden Tag befinden sich Kinder, Jugendliche und ihre Familien in Notsituationen und benötigen Hilfe.
Sehenden Auges rannte die Koalition auch in den Fachkräftemangel in den Kitas hinein. Berlin braucht 10.000 ErzieherInnen in Kitas und Schulen. Anstrengungen, mit der die Attraktivität des Berufsfeldes ErzieherIn gesteigert wird, blieben fast komplett aus. Das Einkommen Berliner ErzieherInnen liegt weit unter dem der KollegInnen in den Brandenburger Kommunen. Der Senat nimmt diesen Gehaltsunterschied von inzwischen 427 Euro offenbar als gegeben hin. Statt mit gutem Gehalt Fachkräfte anzuwerben, setzte die Koalition fast ausschließlich auf Quereinstiege. Auch das notwendige Mehr an Kitaplätzen wurde fast nur von den freien Trägern bereitgestellt. Der Senat entzieht sich damit seiner Verantwortung, die er mit seinen fünf Kita-Eigenbetrieben hätte ausüben müssen.
Der neue Senat muss im Dialog mit den Gewerkschaften einen Weg finden, wie innerhalb des bestehenden Tarifvertrages die Einkommensschere geschlossen werden kann. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die Linke fordert in ihrem Wahlprogramm Einkommensverbesserungen, die SPD will sich immerhin auf Bundesebene dafür einsetzen. Auch die CDU hat das Problem erkannt und ihr Neuköllner Jugendstadtrat Falko Liecke wollte seinen ErzieherInnen gar einen Bonus von 1.000 Euro bezahlen, wurde vom Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen aber zurück gepfiffen. SPD, Linke und Grüne haben sich Forderungen des Berliner Kitabündnisses zu Eigen gemacht.
Auch den Tarifkonflikt mit den angestellten Lehrkräften hat die SPD über Jahre ausgesessen. Der Koalitionspartnerin CDU fällt hierzu nur der Ruf nach Wiedereinführung der Verbeamtung ein. Den Besoldungsunterschied von 15 Prozent zu den anderen Bundesländern will aber auch die CDU nicht schnell beseitigen.

SPD braucht neue Partnerinnen

In den vergangenen fünf Jahren haben sich viele bildungspolitische Aufgaben in Berlin angestaut. Viele sehen nach der Wahl ein Dreier-Bündnis aus SPD, Grünen und Linken als einzige Option an. Doch Blicke über die Stadtgrenze hinaus zeigen, dass Umfragen und Wahlergebnisse erheblich auseinanderliegen können. Aber: An der SPD führt in Berlin auch nach der Wahl aller Wahrscheinlichkeit nach kein Weg vorbei. Doch tief sind Enttäuschung und Misstrauen. Seit der Wende sitzt die SPD ununterbrochen im Senat. Auch sie trägt Verantwortung für Filz und Bankenskandal, der Berlin Anfang der 2000er Jahre in die größte Finanzkrise der jüngeren Geschichte gestürzt hat. Es trägt nicht zur Vertrauensbildung bei, wenn der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und Bausenator Andreas Geisel fast 10.000 Euro Wahlkampfspende von einem der führenden Baukonzerne Berlins annimmt. Die SPD braucht ein Korrektiv. Die CDU hat dabei versagt und ist als Senatsmitglied nicht mehr ernst zu nehmen. Grüne und Linke stehen bereit. Aber es braucht auch die GEW BERLIN, um alle Beteiligten ständig an die eigenen Wahlversprechen zu erinnern.


Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Deine Wahl“