bbz 01 / 2017
Eine Sprache, die alle anspricht
Wer im Deutschen Wörter gebrauchen will, die niemanden benachteiligen, kommt schnell an Grenzen. Aber eine Sprache, die alle anspricht, ist möglich und kann sogar Spaß machen.
Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch hat sich schon in den 1970er Jahren intensiv mit Sprache und Geschlecht auseinandergesetzt. Im Suhrkamp Verlag erschien ihr Buch »Das Deutsche als Männersprache« mit kleinen Aufsätzen und Glossen. In einem Text berichtet sie von einem Sprachwissenschaftler aus einer Berliner Männergruppe. Von ihm hatte Luises »Provinz-Ohr« das Wort »Mitgliederinnen« aufgeschnappt. Als Sprachwissenschaftlerin erklärte sie ihrem Kollegen, dass »das Mitglied« geschlechtsneutral sei. Doch er und viele andere in der Westberliner Szene zeigten sich unbeeindruckt. Sie sprachen weiter von »Mitgliederinnen und Mitgliedern«.
Einige lehnten allerdings auch diese Formulierung ab. Denn wo käme das Wort »Mitglied« denn her? Damit seien doch Personen »mit Glied« gemeint, oder nicht? Und gerade hier unterscheiden sich doch die Geschlechter. Deshalb erfanden ein paar Frauen das kecke Wort »Mitklitoris«. Vielen ging es wohl doch nicht so leicht über die Lippen, bald gab es die Kurzform »Mitklit«, was dann fast schon wieder wie »Mitglied« klang. Zur Vermeidung von Missverständnissen kreierte deshalb eine Bekannte von Luise das Wort »Mitfrau«. Mitfrauen gab es fortan in manch Frauengruppen und -vereinen.
Sprache beeinflusst Wahrnehmung
Diese Episode von Luise F. Pusch spielt vor vielen Jahren. Sie mag amüsieren, Kopfschütteln hervorrufen oder gar verärgern. Festzustellen bleibt allerdings: Wir haben auch im Jahr 2016 das Problem nicht ganz gelöst. Die meisten der über 26.000 Menschen in der GEW Berlin würden sich heute wohl problemlos als Mitglieder bezeichnen. Aber schon bei der konkreten Anrede, die alle einschließt und niemanden diskriminiert, kann es tückisch werden.
Aber ist der Aufwand eigentlich notwendig? Was ist denn das Problem, wenn es sprachlich nur Professoren, Schulleiter, Lehrer, Schüler, Erzieher und Sozialpädagogen gibt? Bei diesen Bezeichnungen sind doch alle mitgemeint, oder? Deshalb zunächst zur sprachwissenschaftlichen Empirie: Viele Forschungen untersuchen die Perzeption, also den Einfluss von sprachlichen Formen auf Wahrnehmung und Bewusstsein. Diese zeigen durchgängig, dass bei der Verwendung von männlichen Personenbezeichnungen Männer assoziiert werden.
Studien haben beispielsweise nachgewiesen, dass sich bei Stellenausschreibungen mit nur der Berufsbezeichnung in der männlichen Form tatsächlich weniger Frauen bewerben. Wenn für eine Kommission nur »Experten« gesucht werden, dann gibt es kaum Frauen in diesem Gremium. Selbst bei Berufen, die meistens Frauen ausüben, wird bei der Verwendung der männlichen Form in der Regel ein Mann assoziiert. Diese Forschungsergebnisse sind noch eindeutiger bei Kindern. Selbst wenn diese in ihrem eigenen Leben nur Erzieherinnen kennen gelernt haben, denken sie bei der Rede von Erziehern nur an Männer.
Die Benutzung von männlichen Personenbezeichnungen für alle führt also zu vielen Fehlschlüssen. Der feministische Vorwurf, dass Frauen bei der Verwendung der maskulinen Grammatikform nicht mitgedacht und unsichtbar gemacht werden, stimmt. Spätestens an dieser Stelle sollte klar werden: Sprache ist nicht nur ein bloßes Kommunikationsmittel. Mit Sprache werden nicht einfach Nachrichten übermittelt und Wirklichkeit beschrieben. Sprache konstruiert Wirklichkeit und beeinflusst Wahrnehmungen, Haltungen und Normen. Deshalb ist ein geschlechterbewusster, inklusiver Sprachgebrauch notwendig. Doch wie kann er konkret aussehen?
Es gibt viele Arten zu gendern
An der Universität Leipzig wurde 2013 die Grundordnung überarbeitet. Viele fanden in dem Text die ständige Nennung der weiblichen und männlichen Form wie bei Professorinnen und Professoren zu aufwändig. Deshalb wurde kurzerhand ein ungewöhnlicher Beschluss gefasst: In der gesamten Grundordnung werden nur feminine Personenbezeichnungen verwendet – und Männer sind halt mitgemeint.
Auch die Sozialpsychologin Gisela Steins und Norbert Nothbaum finden die ständige Nennung der weiblichen und männlichen Form zu anstrengend. Deshalb schlagen sie die stochastische Genuswahl vor. Das klingt kompliziert, ist aber ganz einfach. Denn bei einem Text wird einfach per Münzwurf entschieden, ob bei allgemeinen Personenbezeichnungen die weibliche oder männliche Form verwendet wird. Steins und Nothbaum weisen am Anfang ihrer Texte einfach auf dieses Verfahren hin – und anscheinend lässt sich niemand von den wechselnden Personenbezeichnungen verwirren.
Wer die Bezeichnung von Personen gern dem Zufall überlassen will, dem*der sei der Leitfaden für eine geschlechtersensible und inklusive Sprache der Universität Köln empfohlen. Denn hier gibt es die Bastelvorlage für einen Würfel für Unentschlossene, der allerlei Formen und Wortendungen bereithält. So lassen sich für viele Personen geschlechtsneutrale Formulierungen wie Schulleitung, Lehrkräfte oder Personalvertretung finden. Auch durch die Substantivierung von Verben können Bezeichnungen oft geschlechtlich neutralisiert werden. Also statt Studentinnen und Studenten lieber Studierende, so wie es heute im Sprachgebrauch vieler Hochschulen normal ist.
Der Würfel hat noch weitere Varianten. Die Doppelnennung lässt sich verkürzen, beispielsweise durch das große Binnen-I wie in MitarbeiterInnen. Solche Worte gab es lange bei den Grünen. 2015 haben sie sich aber für das Gender-Sternchen entschieden. Durch das Sternchen werden Paarformeln gebildet, die immer noch die weibliche und männliche Form beinhalten. Worte wie Schüler*innen sparen Platz und lassen gleichzeitig sprachlich Raum für Menschen mit verschiedenen Geschlechtern und Geschlechtsidentitäten. Die Worte lassen sich mit einer kleinen Pause am Sternchen übrigens auch problemlos sprechen. Ähnlich funktioniert auch der Unterstrich wie in Lehrer_innen.
Personenbezeichnungen einfach würfeln?
Lann Hornscheidt von der HU Berlin möchte den Sprachgebrauch nicht dem Zufall überlassen. Mit der AG Feministisch Sprachhandeln hat Lann Anregungen zum antidiskriminierenden Sprachhandeln herausgegeben und empfiehlt eine ständige Reflexion. Manche möchten beispielsweise nicht als Mann oder Frau angesprochen werden. Lann Hornscheidt selbst bezeichnet sich als Professx. Doch das Gender-Sternchen kann hier helfen und gilt in vielen Kontexten im Moment als »state-of-the-art«.
Mit Sprache offen und kreativ sein
Eine Verständigung auf die Verwendung des Gender-Sternchens ist deshalb nur konsequent. Weiterhin lohnen sich folgende Fragen: Spreche ich alle an, die gemeint sind? Werden durch die Bezeichnung alle gleichermaßen sichtbar? Wie bezeichne ich Personen? Und welche Unterschiede mache und manifestiere ich damit? Und ansonsten ist mit Sprache natürlich vieles möglich.
Sprache dient nicht nur der Nachrichtenübermittlung, sie lebt ja – und verändert sich dadurch, wie Menschen sie verwenden. Das ist eine Herausforderung, kann aber auch Spaß machen. Bei mir gibt es zum Beispiel Autor*innen, eine Email-Verteilerin und das Anrufbeantwortende – ist ja schließlich das Gerät, nicht wahr? Die Nachrichten kommen schon irgendwie an, glaubt mir.
Studenten. Nur verwenden, wenn tatsächlich nur Männer gemeint sind. Studien zeigen, dass bei männlichen Formen in der Regel nur Männer assoziiert werden – auch wenn es viel mehr Studentinnen als Studenten gibt.
Studentinnen und Studenten. Bei der so genannten Paarformel werden zwar zwei Geschlechter benannt, aber Texte werden durch die Doppelnennung natürlich sehr viel länger. Außerdem bleiben andere Geschlechter und Geschlechtsidentitäten sprachlich unberücksichtigt.
StudentInnen. Das so genannte Binnen-I verkürzt die Paarformel stark. Andere Geschlechter und Geschlechtsidentitäten werden aber nicht explizit berücksichtigt.
Studierende. Die geschlechtsneutrale Formulierung durch die Substantivierung von Verben lässt Geschlecht sprachlich erstmal verschwinden. Allerdings ist die Frage, welche Personen bei dieser Formulierung tatsächlich assoziiert werden.
Student*innen (oder Student_innen). Das Gender-Sternchen oder der Gender-Gap beinhaltet die männliche und weibliche Form und lässt außerdem noch Raum für Menschen mit verschiedenen Geschlechtern und Geschlechtsidentitäten.
Zum Weiterlesen:
GEW (2016): Eine Sprache, die alle anspricht. Geschlechterbewusste Sprache in der Praxis. Abrufbar hier (03.11.2016)
Pusch, Luise F. (2013): Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik (13. Auflage). Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Nothbaum, Norbert/Steins, Gisela (2010): Nicht sexistischer Sprachgebrauch: die stochastische Genuswahl. In: Steins, Gisela (Hrsg.): Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung (S. 409-415). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Gleichstellungsbeauftragte der Universität zu Köln (2014): ÜberzeuGENDERe Sprache. Leitfaden für eine geschlechtersensible und inklusive Sprache. Abrufbar hier (03.11.2016)
AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt-Universität zu Berlin (2015): Was tun? Sprachhandeln – aber wie? W_ortungen statt Tatenlosigkeit. Zu bestellen hier (03.11.2016)