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Hochschule

Eine Uni voller Barrieren

Zora Jochim studiert Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität. Sie sitzt im Rollstuhl und muss häufig viel Aufwand und Umwege für ihr Studium in Kauf nehmen. Sie kämpft deshalb für eine barriereärmere Uni.

Foto: IMAGO

bbz: Welche Barrieren hast du im Studium erlebt?

Zora Jochim: Es fängt schon damit an, dass ich in viele Gebäude der HU nicht reinkomme. Oft gehen die Türen nicht automatisch auf oder ich passe mit meinem Rollstuhl nicht hindurch. Dann muss ich warten, bis jemand kommt und mir hilft. Außerdem fallen häufig Fahrstühle aus. 

Ich benötige außerdem einen höhenverstellbaren Tisch, um bei den Seminaren mitschreiben zu können. Deshalb muss ich schon während der Semesterferien herausfinden, in welchen Räumen es solche Tische gibt. Da die HU ihre Räume nicht standardmäßig damit ausstattet, muss ich regelmäßig schauen, wie ich solche Tische organisiert bekomme. Leider gibt es für diese Angelegenheiten auch keine zentrale Stelle, die mich unterstützen könnte. Das war gerade zu Beginn des Studiums eine große Enttäuschung, die mich sehr traurig gemacht hat.

Wir haben als Studierende jetzt eigen-initiativ die AG Barrierefreiheit gegründet, die mit Fragebögen den Stand der Barriere-freiheit an der HU erfasst und versucht, auf das Problem aufmerksam zu machen.

 

Was haben die Befragten euch denn berichtet?

Jochim: Viele Menschen mit Behinderung haben sich gemeldet und berichtet, dass sie im Alltag auf erhebliche Barrieren stoßen. Eine Person musste beispielsweise ein Semester lang alleine im Keller digital an einer Vorlesung teilnehmen, weil diese in einem Raum mit besonderen Exponaten stattfand und nicht verlegt werden konnte. Ein Nachteilsausgleich wurde mit der Begründung verweigert, dass es ja Videos gab.

Eine andere Person wollte in ein Gebäude, für das es eigentlich einen Treppenlift geben sollte. Da der aber nicht da war, musste sich die Person liegend die Treppen hochziehen, während andere ihr den Rollstuhl hinterhertrugen.

Viele Studierende werden bei der Planung ihres Stundenplans auch einfach auf das Vorlesungsverzeichnis verwiesen und gebeten, sich selbst Veranstaltungen in barrierefreien Räumen zu suchen. Das war aber lange Zeit überhaupt nicht ausgewiesen. Erst seitdem die Fachschaft Philosophie Druck gemacht hat, wird dies im Vorlesungsverzeichnis gekennzeichnet.

Ein großes Problem ist auch, dass es keine dauerhaften Nachteilsausgleiche gibt. Studierende mit chronischen Erkrankungen oder dauerhaften Beeinträchtigungen müssen jedes Semester aufs Neue einen Nachteilsausgleich beantragen. Das ist ein völlig unnötiger Zeitaufwand aus meiner Sicht. 

 

Wie gehen denn die Lehrenden mit diesen Problemen um?

Jochim: Viele waren am Anfang überfordert und wussten nicht genau, wie sie mir helfen können. Ich habe aber grundsätzlich eine große Solidarität bei den Lehrenden erlebt. Viele kümmern sich selbst darum, dass ich die notwendigen Tische bekomme oder sagen mir Bescheid, wenn ein Fahrstuhl nicht geht, und suchen nach Wegen, um mir trotzdem eine Seminarteilnahme zu ermöglichen.

Ich beobachte aber leider oft, dass Lehrmaterialien genutzt werden, die nicht alle Studierenden lesen können, weil sie entweder nur in einer Sprache vorliegen oder nicht barrierefrei sind. Es sollte aus meiner Sicht aber nicht nötig sein, sich immer zu exponieren und um spezielle Unterstützung bitten zu müssen. Wir haben deshalb als AG ein Dokument mit einfachen Leitlinien erstellt, wie man barrierefreie Dokumente erstellt. Dazu gehören serifenlose Schriften, ausreichende Kontraste und die Nutzung von Word-Layouts für Überschriften, die mit einem Screen Reader genutzt werden können. Es sind solche kleinen Änderungen, die schon einen großen Unterschied machen können. Es braucht aber eine Leitlinie, damit dies zum Standard wird.

 

Gibt es gar keine Beauftragten für diese Belange?

Jochim: Es gibt ein Büro, an das sich Studierende mit Beeinträchtigungen wenden können. Die Mitarbeiter*innen dort sind sehr nett, haben aber keine wirkliche Autorität. Sie können nur schreiben und beraten, aber nichts einfordern oder umsetzen. Das Problem ist, dass diese Stellen zwar an die Unileitung angebunden sind und beraten können, aber sie haben keinen wirklichen Einfluss und können weder Geld noch Aufträge selbst vergeben oder hochschulübergreifende Leitlinien durchsetzen.

Die Unileitung wendet sich bei Fragen auch manchmal direkt an die Studierenden mit Beeinträchtigungen. An meinem Institut wurde beispielsweise eine Rampe falsch angebaut, sodass ich nicht mehr hineinkam. Es stellte sich heraus, dass es in der Bauabteilung niemanden mit Expertise für barrierefreies Bauen gibt. Deshalb musste ich bei den Bauterminen als Expertin dabei sein. Es kann nicht sein, dass ich in meiner Freizeit dorthin fahre, um zu erklären, wie man Rampen anbringt.

Mir ist bewusst, dass nicht alles sofort umgebaut werden kann, vor allem bei so vielen Gebäuden wie an der HU. Aber es muss Strukturen geben, die solche Veränderungen mit Nachdruck anstoßen können.

 

Hast du Ideen, wie man diese Situation verbessern kann?

Jochim: Es wird oft so getan, als sei es ein Problem einzelner Leute, für die man individuelle Lösungen suchen muss. Deshalb braucht es erst einmal die Anerkennung, dass die HU ein Ort voller Barrieren ist und dass dies ein tiefgreifendes Problem darstellt, das sehr viele Studierende betrifft. Viele haben ihr Studium wegen solcher Barrieren aufgeben müssen. Erst wenn man das anerkennt und bereit ist, darüber zu reden, kann man es auch verändern. Der zweite Schritt wäre, dass diese Barrieren auch weiterhin systematisch erfasst werden. Das versuchen wir mit unserer Befragung, aber wir finden, dass dies eigentlich nicht die Aufgabe von Studierenden sein sollte, sondern die Universitätsleitung Verantwortung dafür übernehmen muss.

Mittlerweile wenden sich viele Menschen mit Problemen beim Nachteilsausgleich oder beim Zugang zu Gebäuden an unsere AG. Wir sind aus der Fachschaft Sozialwissenschaften entstanden, beraten aber jetzt für die gesamte Universität. Wir helfen gerne, aber es ist eigentlich nicht unsere Aufgabe, so viele Menschen dabei zu unterstützen, dass sie überhaupt studieren können. Vieles kann durch solche Initiativen im Kleinen und mit Hilfe der Dozierenden niedrigschwellig gelöst werden. Aber ich glaube, es ist ganz wichtig zu sagen, dass die Verantwortung bei den größeren Unistrukturen liegt.   

 

Die AG Barrierefreiheit ist an die Sowi-Fachschaft der Humboldt-Universität zu Berlin angebunden und kann über deren Mailadresse erreicht werden: fs-sowi(at)refrat.hu-berlin(dot)de

 

Beratungs- und Unterstützungsangebote für Studierende mit Behinderung an der HU Berlin: 
www.hu-berlin.de/de/studium/barrierefrei