Schwerpunkt „Perspektiven schaffen – wie weiter nach der zehnten Klasse?“
Einfach mal eine coole Schule machen
Am OSZ Gastgewerbe wird im Sommer der neue Bildungsgang IBA Praxis eingeführt. Der Schulleiter Jürgen Dietrich formuliert wesentliche Gelingensbedingungen. Sein Appell: »Seid mutig und stellt Lehrpläne auch mal hintenan.«
Die Rahmenbedingungen für die Einführung des 11. Pflichtschuljahres sind gesetzt. Ich finde dieses 11. Pflichtschuljahr oder vielmehr Berufs-Chancenjahr an den Oberstufenzentren gut verortet, möchte aber an dieser Stelle betonen, dass die Allgemeinbildung nicht aus ihrer Verantwortung bezüglich der Berufsorientierung zu entlassen ist, sondern vielmehr diese institutionalisiert, praxisorientiert und somit auch nachhaltig umsetzt. Das betrifft meiner Meinung nach unter anderem die verpflichtende und dokumentierte Beratung der Schüler*innen, aber auch gleichzeitig die korrekte Datenpflege und -weitergabe an die aufnehmenden Oberstufenzentren.
Diese Aspekte sind eminent bedeutsam, da ohne institutionalisierte und rechtlich verbindliche Regularien bezüglich der Berufsorientierung an den Integrierten Sekundarschulen ein nahtloses Übergangsmanagement nicht umsetzbar ist. Vor dem Hintergrund der bestehenden Rahmenbedingungen kommen die allgemeinbildenden Schulen diesen Aufgaben aktuell verantwortungsvoll nach.
Für mich bietet das 11. Pflichtschuljahr eine ganz große Chance, rechtlich geregelt an Jugendliche »heranzukommen«, die dem System bisher verloren gegangen sind.
Schnellstmöglich ins Praktikum
Um das Berufs-Chancenjahr zum Erfolg zu führen, bedarf es aus meiner Sicht der folgenden Gelingensbedingungen:
Der flexibilisierte IBA-Ausbau bildet einen wesentlichen Eckpfeiler für den erfolgreichen Übergang der Jugendlichen. In der IBA-Verordnung darf kein festgelegter Zeitraum für die schulische Einführungsphase abgebildet sein, in der die Schüler*innen noch keine Praktika machen. Schulerfahrung hat ein Großteil dieser jungen Menschen zur Genüge gesammelt, meist nicht sehr positive. Daher ist ein großer Anteil an Praxislernphasen für mich wesentlich zielführender. Wer kann und will, sollte so schnell wie möglich damit beginnen.
Ressourcen spielen an dieser Stelle natürlich wie immer eine große Rolle, denn für eine erfolgreiche Umsetzung des 11. Pflichtschuljahres bedarf es insbesondere einer sehr intensiven Beziehungsarbeit nicht nur der Bestandslehrkräfte mit den Jugendlichen! Um erfolgreiche Beziehungsarbeit zu gewährleisten, muss es zu einem Ausbau der Schulsozialarbeit und Bildungsgangbegleitung, die unter anderem für die Praktikasuche essentielle Hilfe leisten, kommen, um die multiprofessionellen Teams weiter zu stärken.
Lehrkräfte für Fachpraxis sind wichtig
Erwähnen möchte ich darüber hinaus auch die Bedeutung von Lehrkräften für Fachpraxis, wenn diese in den jeweiligen Berufsfeldern einsetzbar sind. Bei uns unterrichten die Kolleg*innen im Küchen- und Servicebereich. Viele Projekte, beispielsweise große Sonderveranstaltungen mit geladenen Gästen, wären ohne diese Kolleg*innen undenkbar. Einige von ihnen verfügen über Praxiserfahrungen in der Sternegastronomie, die sie an unsere Schüler*innen weitergeben und diese somit für die Tätigkeit in unserem Berufsfeld motivieren. Die praxiserprobten Kolleg*innen können durch ihre Anbindung an die entsprechenden Branchen einen entscheidenden Beitrag für einen gelingenden Übergang leisten.
Ein wesentliches Bindeglied zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung werden die sogenannten BSO-Teams (Berufs- und Studienorientierung) darstellen, in denen aktuell jeweils drei Kolleg*innen aus Allgemeinbildung, Berufsbildung und Jugendberufsagentur gemeinsam die Schüler*innen der Sekundarstufe I beraten. Die dort engagierten Kolleg*innen müssen auf diese neue Aufgabe entsprechend vorbereitet werden.
Die eingangs von mir erwähnte nach wie vor bestehende Aufgabe der allgemeinbildenden Schulen zur Berufsorientierung und auch die Weitergabe der vollständigen Datensätze an die aufnehmenden Schulen muss um die Weitergabe der sogenannten Förderprognosen, erweitert werden, um eine gelingende Beziehungsarbeit zu ermöglichen.
Industrie- und Handelskammer (IHK), Handwerkskammer (HWK), Ausbildungsbetriebe sowie alle an Ausbildung beteiligte Partner*innen sind in der Pflicht, Praktikumsplätze in ausreichender Anzahl, die aber auch den qualitativen Anforderungen eines gelingenden Übergangsmanagements genügen, zur Verfügung zu stellen.
Lehrpläne mal hintenanstellen
Abschließend möchte ich auf die Frage eingehen, wie es den Oberstufenzentren, speziell den Ankerschulen, gelingen kann, Schüler*innen, die sowieso schon schuldistanziert sind, erst mal in die Schule zu bekommen und dort auch zu halten. Spontan beantworte ich diese Frage, indem ich dazu aufrufe, einfach mal eine coole Schule zu machen. Indem fernab der Regularien einer normierten Schule agiert wird, Lehrpläne hintenangestellt, unsere Netzwerke genutzt und die Partner*innen in die Lernortkooperation miteinbezogen werden.
Ich persönlich unterrichte aktuell in den berufsvorbereitenden Lehrgängen. Diese Schüler*innen sind mit Sicherheit bezüglich des Arbeits- und Sozialverhaltens mit denen des zukünftigen in IBA Praxis vergleichbar. Viel Berufspraxis, wie das Arbeiten an der Bar, das Filetieren von Fisch oder das Kochen nicht alltäglicher Speisen steigert die Aufmerksamkeit der jungen Menschen und lässt sie für das Berufsfeld affin werden. Auch ein Besuch eines exklusiven Hotels mit einem Blick hinter die Kulissen – wer darf schon mal eine Präsidentensuite in Augenschein nehmen? – mit einem Gespräch mit den Auszubildenden kann zur Berufsorientierung beitragen. Und diejenigen, die dann wirklich eine Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe aufnehmen möchten, unterstütze ich gern durch einen Anruf eines potentiellen Ausbildungsbetriebes, bei dem der Hörer schnell an meine Schüler*innen übergeben wird. Wenn dieser erfolgreich gemeistert ist, kann es anschließend auch mal auf den Fußballplatz gehen – fernab des Lernplans.
Ähnlich stelle ich mir auch das Arbeiten in den Lerngruppen des 11. Pflichtschuljahres vor.
Durch die Entwicklung und Umsetzung innovativer Lernkonzepte, ähnlich des Personalisierten Lernens, einer individuellen Ermittlung der Lernausgangslagen und ganz viel Beziehungsarbeit können wir gemeinsam den uns anvertrauten Jugendlichen einen erfolgreichen Übergang ermöglichen. Und darum sollte es uns schlussendlich gehen: jungen Menschen mit schwierigen Ausgangslagen einen erfolgreichen Start in das berufliche Leben zu ermöglichen.