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Schule

Einmal und nie wieder

Aus der Schilderung einer Referendarin wird deutlich, warum sie Berlin den Rücken kehrt und die Stadt ihren Lehrkräftemangel nur schwer abbauen wird.

Foto: Adobe Stock

Von der Ausbildungsschule erhalte ich im Vorfeld weder Informationen über meinen ersten Arbeitstag noch einen Stundenplan. Informationen über schulinterne Abläufe, Zugang zu Technik, Informationen über Schulregeln oder Hinweise auf zu verwendendes Arbeitsmaterial muss ich mir im Kollegium erfragen. Ich beginne meine Arbeit, indem ich meinen eigenen Beamer mitbringe. Ich werde zur Springer-Aufsicht eingeteilt, ohne eine Gebäudeführung erhalten zu haben. Es dauert sechs Wochen, bis meine Kopiermarke freigeschaltet ist, drei Monate, bis ich einen Schlüssel für die Technikschränke habe und ein Dreivierteljahr, bis ich in den relevanten Mail-Verteilern bin. Nach einem Dreivierteljahr begrüßt mich die Fachbereichsleitung meines Nebenfaches mit »Willkommen an unserer Schule und viel Erfolg im Referendariat«. Weiteren Kontakt während meiner Ausbildung haben wir nicht.

Allein gelassen

Meinen Stundenplan soll ich mir auf Anweisung der Schulleitung selbst zusammenstellen, indem ich Kolleg*innen anspreche, wer mir Unterricht abgeben könne. Auf diese Weise gerate ich in eine der schwierigsten Klassen der Schule, die bis zum Ende meines Referendariats meine Examensklasse bleiben wird. Bitten um Zuteilung einer weiteren Klasse als alternative Lerngruppe für das Examen werden nicht stattgegeben. Der doppelt gesteckte Fachkollege, mit dem ich mich bereits gemeinsam der Klasse vorgestellt habe, wird aus der Doppelsteckung genommen, damit ich lerne, eigenständig zu unterrichten. Ausbildungsunterricht unter Anleitung wird mir also verwehrt. Am Tag vor meinem Examen wird wegen Schülern der Lerngruppe zwei Mal die Polizei gerufen, beim zweiten Mal wird ein Schüler wegen Verstoß gegen das Waffengesetz in Handschellen vom Schulhof geführt. Im Examen legt die Lerngruppe, gemessen am Unterrichtsalltag, eine Glanzleistung hin. Trotzdem werden meine Examensstunden in beiden Fächern mit »mangelhaft« bewertet.

Vom zuständigen Allgemeinen Seminar ist wenig Hilfestellung zu erwarten. Obwohl die Mittelstufe meiner Stammschule die Kriterien einer »Brennpunktschule« erfüllt, werde ich zwei Seminaren an bilingualen Gymnasien zugewiesen. Für die Modulprüfung »Unterrichten« erhalte ich einen Termin mitten im Lockdown, zu einem Zeitpunkt, an dem die von der Senatsverwaltung bereitgestellten Endgeräte für Schüler*innen gerade erst ausgeliefert wurden. Hinzu kommt, dass in meinen Lerngruppen ein Drittel bis die Hälfte der Schüler*innen in die Schuldistanz abrutschen. Die Pandemieverordnung mit der Möglichkeit, Aufgabenstellungen nicht mit aktuellen Unterrichtsbeispielen, sondern »theoretisch« beantworten zu können, wird nicht angewandt.

Alarm schlagen vergeblich

Sechs Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres schlage ich bei Schulleitung, Fachseminarleitung und Leitung des Allgemeinen Seminars Alarm: Viele Schüler*innen meiner Examensklasse zeigen große Anpassungsschwierigkeiten an die Rückkehr in den Schulalltag. Unterricht ist phasenweise in der Klasse nur eingeschränkt möglich. Mir ist unklar, wie ich die Klasse auf eine Examensstunde vorbereiten soll. Es passiert: Nichts.

Noch im Auswertungsgespräch teile ich der Prüfungskommission mit, dass eine Verlängerung des Referendariats und eine Weiterbeschäftigung im Berliner Schuldienst für mich nicht in Frage kommen. Zwei Wochen später bestätige ich der Schulleitung gegenüber schriftlich meine Kündigung. Eine Antwort auf meine E-Mail erhalte ich nicht, das Ende meiner Tätigkeit kläre ich mit der Sekretärin.

Ich fordere die Senatsverwaltung dringend auf, die Ausbildungsbedingungen für Referendar*innen und Berufseinsteiger*innen zu verbessern. Ein »das ist eben im Berliner Schuldienst so« und ein »vielleicht liegt es ja an Ihnen« deuten auf ein Ausleseprinzip hin, das keinesfalls von Besten-Auslese, sondern von Gleichgültigkeit geprägt ist und in einem sozialen Beruf keinen Platz haben sollte. Erst recht ungeeignet ist das Vorgehen, um den eklatanten Lehrkräftemangel zu beheben.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46