Gewerkschaft
Endlich wieder in Präsenz
Die Landesdelegiertenversammlung (LDV) hat eine umfangreiche Studie zur Arbeitszeit von Lehrkräften beschlossen. Schwerpunkt der Frühjahres-LDV war jedoch das Thema Organisationsentwicklung.
Zweieinhalb Jahre ist es her, dass die Landesdelegiertenversammlung (LDV) der GEW BERLIN letztmals »in Präsenz« zusammenkam. Am 17. und 18. Mai 2022 war es in den Tegeler Seeterrassen endlich wieder soweit. Aber auch zum Auftakt der LDV sollte Corona einmal mehr die Hauptrolle spielen. Die Delegierten diskutierten über das Ob und das Wie eines Hygienekonzepts für die LDV, über Masken- und Testpflicht und Gesundheitsschutz – über all die Fragen also, die die GEW und unsere Bildungseinrichtungen in den letzten zwei Jahren in Atem gehalten haben. Im Ergebnis entschlossen sich die Delegierten gegen ein Hygienekonzept und für eine Rückkehr in das alte Normal.
Einer der wichtigsten Beschlüsse dieser Frühjahrs-LDV ist die Studie zur Arbeitszeit von Lehrkräften, die die GEW BERLIN durchführen wird. Im Rahmen der Studie wird die Arbeitszeit über ein gesamtes pädagogisches Jahr erhoben und zusätzlich die wahrgenommene Arbeitsbelastung erfragt. Die Landesdelegiertenversammlung hat sich mit einer Zweidrittelmehrheit für die Durchführung der Studie ausgesprochen. »Vormittags Unterricht, nachmittags frei« – mit diesen Klischees über das lockere Lehrer*innen-leben hatte spätestens die niedersächsische Arbeitszeitstudie 2016 endlich aufgeräumt. In Wahrheit leisten Lehrkräfte nämlich nicht selten kräftig Überstunden. Mehr als zwei Stunden wöchentlich sind es an niedersächsischen Gymnasien, mehr als eine Stunde im Schnitt an Grundschulen. In Berlin liegt die Unterrichtsstundenverpflichtung genauso hoch oder sogar höher als in Niedersachsen. Die geplante Studie wird uns ermöglichen, die Arbeitszeit verlässlich sowie gerichtsfest zu erfassen und auf dieser Basis politische und juristische Auseinandersetzungen zu führen.
Wie erfolgreich unser Vorhaben werden wird, hängt auch von der Beteiligung der Kolleg*innen ab. Wir suchen etwa 5.000 Lehrer*innen, die ein Jahr lang mit einem eigens entwickelten Online-Tool ihre Arbeitszeit dokumentieren. Los geht es im Jahr 2023. Wir halten euch über die Vorbereitungen auf dem Laufenden!
GEW fordert Taskforce Lehrkräftebildung
Der Lehrkräftemangel beschäftigt die Stadt seit Jahren und spitzt sich immer weiter zu. Die Forderung der GEW BERLIN nach einer Ausbildungsoffensive hat es immerhin schon in die bildungspolitischen Debatten der Koalition geschafft. Auch den Landesdelegierten lag ein umfangreicher Antrag zur Lehrkräftebildung vor, der auf sehr große Zustimmung traf. Der GLV wird beauftragt, sich gegenüber dem Senat dafür einzusetzen, dass unverzüglich eine Qualitätsoffensive für die drei Phasen der Berliner Lehrkräftebildung implementiert wird. Der Senat wird aufgefordert, zur Koordinierung eine Taskforce Lehrkräftebildung zu gründen, die aus Bildungs- und Wissenschaftsverwaltung sowie den Universitäten inklusive der Schools of Education besteht und an der Personal- und Studierendenvertretungen sowie die GEW BERLIN und externe Wissenschaftler*innen beratend beteiligt sind (mehr zum Thema auf Seite 8–11).
Natürlich beschäftigte auch das Thema Verbeamtung wieder die Delegierten. Die GEW BERLIN fordert den Finanzsenator Daniel Wesener und die Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse auf, die Bedingungen unter denen die Verbeamtung von Lehrkräften erfolgen soll, bekannt zu geben und mit der GEW BERLIN hierzu in Gespräche zu treten. »Die Beschäftigten haben einen Anspruch darauf zu erfahren, ob sie zu dem Kreis der zu verbeamtenden Lehrkräfte gehören und welche Regelungen auf sie angewandt werden sollen«, heißt es in dem Beschluss der LDV. Insbesondere ruft die GEW BERLIN die zuständigen Verwaltungen auf, zu erklären, wie das im Koalitionsvertrag angekündigte »Lösungsmodell zum Nachteilsausgleich« für angestellte Lehrkräfte, die nicht verbeamtet werden können oder wollen, aussehen soll. Die GEW BERLIN fordert ein Modell, mit dem die statusbedingten Unterschiede im verfügbaren Einkommen ausgeglichen werden.
Wie geht MitmachGEWerkschaft?
Großen Raum nahm am zweiten Tag der LDV das Thema Organisationsentwicklung ein, oder anders ausgedrückt die Frage: Wie kann die GEW BERLIN zur echten Mitmachgewerkschaft werden? Im Rahmen einer Zukunftswerkstatt hatte eine Gruppe Mitglieder in den vergangenen Monaten Ideen gesammelt und Vorschläge entwickelt, wie die Strukturen zur Beteiligung verbessert werden könnten (siehe auch Seite 29). Die LDV sollte einige dieser Vorschläge jetzt mit den nötigen Ressourcen ausstatten und zur Umsetzung verhelfen.
Die Bezirke, Abteilungen, Fachgruppen, Personengruppen der GEW BERLIN sind aufgefordert, aktivierende Neumitgliederbetreuung zu machen und jeweils eine zuständige Person für die Neumitgliederbetreuung zu benennen. Diese sollen für mehr »Willkommenskultur« und ein besseres Ankommen neuer und interessierter Mitglieder sorgen. Von Seiten des Geschäftsführenden Landesvorstandes (GLV) sind Fortbildungs- und Vernetzungsangebote für diese »Begrüßer*innen« geplant.
Aus der Zukunftswerkstatt ist auch die Forderung erwachsen, Funktionsweisen und Strukturen der GEW BERLIN transparenter und verständlicher darzustellen. Die LDV hat nun beschlossen, Geld zur Verfügung zu stellen, um visuelle Darstellungen zu produzieren, die vor allem über die Webseite zur Verfügung gestellt werden und eine Orientierung für Mitglieder erleichtern sollen.
Um die GEW BERLIN als Mitmachgewerkschaft weiter zu entwickeln, wird der GLV zudem beauftragt, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die bis zur LDV im Herbst ein Konzept zur Förderung der Wertschätzungskultur für die GEW BERLIN entwirft. In einem weiteren Beschluss fordert die LDV die Leitungen der Bezirke, Abteilungen, Fachgruppen, Personengruppen und Arbeitsgruppen auf, erfolgreiche Modelle der Mitgliedergewinnung, -aktivierung und -bindung an die Geschäftsführung zu melden. Die Geschäftsführung stellt ein entsprechendes Formular zur Erhebung der Erfolgsmodelle (»best prac-tices«) zur Verfügung, fasst sie zusammen und stellt sie der LDV in Herbst 2022 zur Verfügung.
Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Ehrenamt verbessern
Zur Vereinbarkeit von Sorgearbeit und gewerkschaftlichem Engagement werden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: Um die Betreuung von Angehörigen während der Zeit von GEW-Sitzungen durch bezahlte Sorgearbeit zu gewährleisten, wird ein Zuschuss zu den Kosten in Höhe von bis zu 15 Euro/Stunde gezahlt. Ebenso kann die GEW BERLIN anlassbezogen Personen mit einem Arbeitsvertrag oder über eine entsprechende Agentur anstellen. Die GEW BERLIN ermöglicht bei individuellem Bedarf die Mitnahme von zu versorgenden Angehörigen und/oder unterstützende Sorgepersonen zu GEW-Veranstaltungen. In der Geschäftsstelle der GEW BERLIN wird außerdem eine*n Zuständige*n durch den GLV benannt, die/der sich explizit um die Vereinbarkeit von Sorgearbeit und gewerkschaftlichem Engagement bei Sitzungen und GEW-Veranstaltungen kümmert, aber auch bei anderen Formen des gewerkschaftlichen Engagements berät.
Die GEW BERLIN lebt vom Engagement ihrer ehrenamtlich aktiven Mitglieder. Dieses Signal hat die Frühjahrs-LDV gesendet. Die Unterstützung ehrenamtlichen Engagements ist entscheidend, um Menschen für die Arbeit in der GEW zu gewinnen. Dazu gehören Fragen der Vereinbarkeit von Ehrenamt mit anderen Lebensbereichen und die Zugänglichkeit von Gremien und Arbeitsgruppen. Hoffen wir, dass wir mit den Beschlüssen der Frühjahrs-LDV einen Schritt auf dem Weg zur echten MitmachGEWerkschaft gemacht haben.
Inga Kreuder nimmt zum ersten Mal in Präsenz an der LDV teil und freut sich nach zwei Mal digitaler Teilhabe endlich auch außerhalb ihrer Abteilung Berufsbildende Schulen Gesichter zu sehen und andere Landesdelegierte kennenzulernen. Die Lehrerin für Politik und Geschichte ist hier, um mitzuentscheiden, zu welchen Themen sich die GEW positioniert und wohin sie sich entwickelt. Sie nimmt nach den zwei Tagen vor allem die spannenden Inputs aus der Arbeitsphase in Kleingruppen mit und viele Anstöße aus der Diskussion rund um den Antrag zur Kommunikationskultur.
Vita Flohr, die als Erzieherin bei den Eigenbetrieben Süd-West tätig ist, ist seit Herbst 2021 Mitglied der LDV, weil sie sich in dem höchsten Gremium der GEW BERLIN beteiligen möchte. Besonders wichtig für die gewerkschaftliche Arbeit ist ihr die persönliche Interaktion, deshalb freut auch sie sich, dass die LDV wieder in Präsenz stattfinden konnte. Sie wünscht sich für die Zukunft, dass sich noch mehr Kolleg*innen aktiv in der GEW engagieren.
Seit über 30 Jahren arbeitet Mustafa Gül-Peköz als Erzieher in Friedrichshain-Kreuzberg, seit 2020 ist er Mitglied der LDV. Ihm ist es wichtig mitzureden und mitzugestalten und mit anderen gemeinsam bestimmte Ziele zu erreichen. Ihn interessiert insbesondere die Weiterentwicklung der ergänzenden Förderung und Betreuung, der ehemaligen Horte, in Grundschulen. Er findet die Ziele der GEW BERLIN spannend und möchte diese in seine Praxis weitertragen. Was ihm bei der LDV wieder einmal klarwurde, ist, dass viele Themen einen langen Atem brauchen.