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Schwerpunkt "Gewalt und Sexismus kontern"

Erst brodelte es im Netz und dann im Hörsaal

Mit dem Hashtag #metoohistory lösten Historikerinnen eine Bewegung aus, die rasch Resonanz fand und sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Fachcommunity einen Nerv traf. Hier die ungekürzte Version des Textes.

Foto: BETSI SCHUMACHER/BERLIN BRUISERS E.V

Unsere Initiative gegen Machtmissbrauch in den Geschichtswissenschaften begann im Juli 2023 mit einem Post auf der Plattform X: „Hallo und guten Abend - an dieser Stelle wird Berichterstattung zu Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt an Hochschulen im Bereich der Geschichtswissenschaften gesammelt – helft uns dabei und verwendet #metoohistory, wenn ihr zu dem Thema schreibt und kommentiert." Der Hashtag #metoohistory wurde kurzerhand von Franziska Davies, Janine Funke, Anna Hájková, Julia Herzberg und Marie Huber ins Leben gerufen. Kurz darauf schlossen sich Claudia Rösch und ich der gleichnamigen Initiative an.

 

Warnungen wurden nicht ernst genommen

 

Vorausgegangen waren wenige Tage zuvor öffentlich gewordene Vorwürfe sexualisierter Übergriffe, Mobbing und systematischen Machtmissbrauchs eines Dozenten am Institut für Geschichtswissenschat (IfG) der Humboldt-Universität Berlin. Im Fokus der medialen Aufmerksamkeit – vor allem durch ausführliche Recherchen des Tagesspiegels – stand dabei die offenbar seit zwei Jahrzehnten praktizierten Formen sexualisierter Belästigung gegenüber Studentinnen und Mitarbeiterinnen an der Universität. 

 

Bereits mehrfach und zuletzt im Januar 2023 hatte die Fachschaft der Studierenden des IfG Beschwerden gegenüber der Hochschulleitung formuliert. Gremien, wie die übergeordnete Studierendenvertretung der Uni, der Referent*innenRat, bestätigten in Stellungnahmen, dass die Vorwürfe bekannt waren, würden aber von Seiten des Präsidiums „jedoch abgeblockt oder nicht ernst genommen … oder man sagte uns, dass man nichts machen könne“.

 

Strukturen ohne Wirkung

 

In internen Strategien wurden rechtliche Konsequenzen für den Beschuldigten, Anlaufstellen für Betroffene und Optionen zur Prävention weiteren übergriffigen Verhaltens erörtert, worin unter anderen Studierendenfachschaft, Frauenbeauftragte, Personalrat und Unipräsidium involviert waren. Zum Schutz Betroffener war bis dato von einer Einbeziehung der Öffentlichkeit abgesehen worden. Die nun medialen Berichte sorgten für einen Aufschrei in der Fachkultur und breiten Gesellschaft.

 

An der Uni kursierten schon lange Gerüchte, Mutmaßungen und Geschichten über sexualisierte Übergriffe. Dass das Thema nicht neu ist, zeigt sich auch darin, dass in den 1990er Jahren universitäre Stellen für Gleichstellungspolitik und Ombudspersonen etabliert wurden. Hochschulinterne Strukturen und Abläufe, wie Ombudsstellen und Meldeverfahren existierten zwar, bewirkten aber wenig hinsichtlich eines Schutzes Betroffener oder einer konsequenten Nachverfolgung der Anschuldigungen. Denn die Verfahrenswege sind meist nicht synchronisiert, an verschiedene Stellen gemeldete Fälle werden meist nicht untereinander ausgetauscht. Zudem sind zwar meist die Anlaufstellen, aber nicht die Abläufe bekannt oder transparent.

 

Viele Fälle doch die Unileitung schweigt

 

Und ein übergreifendes Bewusstsein für das Thema fehlt(e). Der fehlende Diskurs bedingt, dass das Thema schambehaftet ist. Mitunter berichteten Studierende und Beschäftigte von eigenen Erfahrungen, die teilweise bereits Jahre zurücklagen. In sogenannten „whisper networks“ gaben vor allem Studentinnen untereinander bereits seit vielen Jahren weiter, keine Kurse besonders bei diesem Dozenten zu belegen bzw. durch Prüfungsleistungen auf bilaterale Sprechstunden mit ihm und auf Benotungen angewiesen zu sein. Leider keine einmalige, sondern eine bewährte Strategie im Alltag universitärer (Aus)Bildungshierarchien.

 

Ein krasser Einzelfall also? Mitnichten! Im August wurden weitere Vorwürfe laut, nun am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften (IAAW) der selbigen Universität. Ein bereits im Mai 2023 veröffentlichter Essay zum Zusammenhang universitärer Machtstrukturen und Missbrauch im akademischen Umfeld sowie mit intersektionaler Diskriminierung sorgte nun für weitere Schlagzeilen. Darin schildert eine Wissenschaftlerin namentlich eigene Erfahrungen eines sexualisierten körperlichen Übergriffs im Rahmen eines universitären Festes des Global History-Programms. Beim Lesen des Texts verschlug es mir die Sprache. Trotz dieser bekannten Vorfälle eklatanten Machtmissbrauchs und Übergriffe, passierte scheinbar nichts.

 

Das Schweigen bricht

 

Ein unhaltbarer und andauernder Zustand, der unserer Meinung nach eine öffentliche Plattform brauchte. Die gezielte Ansprache von anderen Historikerinnen mit medialer Reichweite auf Socialmedia ermöglichte zügig, eine breite Aufmerksamkeit für das Thema zu erzeugen. Als kleine Gruppe von acht Historikerinnen kamen wir miteinander in den digitalen Austausch. Wir griffen die mediale Berichterstattung auf, trugen Statements zu den bekannten Fällen zusammen und verwiesen auf Anlaufstellen für Betroffene. Wir wollten einen Beitrag dazu leisten, das so lange ausgehaltene Schweigen zu durchbrechen.

 

Offenbar trafen wir damit einen Nerv. Wir erhielten unzählige Reaktionen aus unserer Fachcommunity mit weiteren Erfahrungsberichten, teilweise von den beiden öffentlich diskutierten Fällen, aber auch von anderen Personen begangene Übergriffe. Über den Socialmedia-Account, unter Verweis auf den Hashtag #metoohistory oder im persönlichen Gespräch bestätigten viele Gesprächspartner*innen, von Vorfällen mitbekommen bzw. Gerüchte darüber gehört zu haben.

 

Die Personen schilderten eigene Erfahrungen oder als sogenannte ‚Bystander‘, d.h. als Augenzeug*innen von Übergriffen und Vorfällen sexualisierten Machtmissbrauchs und Fehlverhaltens in Studium und Arbeit an der Hochschule. Denn sexualisierte Belästigung bildet nur eine Dimension ab, wie Personen in Machtpositionen ihre Stellung zum eigenen Vorteil gegenüber anderen ausnutzen.

 

Unistrukturen bedingen Missbrauch 

 

Die Strukturen im deutschen Wissenschaftssystem führen zu mehrfachen Abhängigkeitsverhältnissen und Machtasymmetrien. Denn Hochschulen sind hierarchisch aufgebaut und Orte kompetitiven Arbeitens. Eine hohe Befristungsquote und zu kurze Arbeitsverträge, eine auf Drittmittelförderung ausgerichtete Förderlogik von Projekten und chronisch sinkende Haushaltsfinanzierung der Universitäten, zu viele Personen für zu wenige Stellen und fehlendes Personal zur Erfüllung der Lehre und Studierendenbetreuung charakterisieren die Hochschullandschaft. Selbst ‚die Besten‘ können auf eine Berufung zur Professur und damit Entfristung also existenzielle Absicherung meist nur hoffen. 

 

Institute und Lehrstühle setzen sich aus Professuren zusammen, denen wiederum das Personal zugeordnet ist. Die Mehrheit der Angestellten sind befristet beschäftigt. Nur wenige besitzen dauerhafte Positionen. Nicht selten ist der Vorgesetzte auch die Person, die die Qualifikationsarbeit (Studienleistungen, Promotion, PostDoc-Projekte) betreut und über eine mögliche Weiterbeschäftigung entscheidet. 

 

Für Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft hängt beispielsweise der Aufenthaltsstatus vom Beschäftigungsstatus ab. Reputation ist die Grundlage einer wissenschaftlichen Karriere, das heißt Netzwerke zu knüpfen, Empfehlungsschreiben und Kontakte in die disziplinären Kontexte zu erhalten, wird nicht unwesentlich durch die Vorgesetzten als ‚etablierte/profilierte‘ Wissenschaftler*innen ermöglicht.

 

Öffentlicher Druck zwingt Präsidium aus der Reserve

 

All dies führt dazu, dass sexualisierte Übergriffe und Machtmissbrauch nicht gemeldet werden oder erst dann, wenn eklatante Vorfälle und Grenzüberschreitungen stattgefunden haben. Erst durch die öffentliche Aufmerksamkeit und mediale Berichterstattung, vor allem der Berliner Wissenschaftsredakteurin Eva Murašov, zum langjährigen Fehlverhalten schien nun entsprechender Druck zu entstehen, sodass das HU-Präsidium den beschuldigten Dozenten freistellte und sowohl juristische Konsequenzen als auch strukturelle Aufarbeitung anstieß.

 

Als engagierte Historikerinnen setzten wir uns nicht das erste Mal mit den strukturellen Bedingungen von Abhängigkeiten, Machtasymmetrien und damit verbundenen Freiräumen für Fehlverhalten, wie sexualisierten Machtmissbrauch, auseinander. Wir kannten bereits Organisationen, die sich mit dem Thema fundiert beschäftigten, wie das Netzwerk Machtmissbrauch in der Wissenschaft (Netzwerk MaWi), das Margarethe-von-Brentano-Zentrum (MvBZ) oder die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof). 

 

Zum Teil waren wir selbst über Gremienarbeit oder eigene Erfahrungen sensibilisiert. Aber wie konnten wir eine fachspezifische Debatte anstoßen? Wir wollten die aktuelle öffentliche Empörung nutzen, damit sich endlich etwas bewegt – und damit Betroffene endlich gehört werden und Täter sanktioniert werden. Aber vor allem, dass über die krasse Einzelfälle in der nun öffentlichen Debatte hinaus das strukturelle Problem innerhalb des Wissenschaftssystems und der eigenen Fachkultur anerkannt wird.

 

Kritische Stimme beim Historikertag

 

Kurzerhand ergab sich für uns die Möglichkeit auf dem nahenden Historikertag, der größten geisteswissenschaftlichen Konferenz in Deutschland und der traditionsreichsten Tagung der deutschen Geschichtswissenschaften, der Mitte September 2023 in Leipzig stattfinden sollte, eine außerordentliche Veranstaltung durchzuführen. Veranstaltet durch den Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands (VHD), der sich selbst als Interessenvertretung der geschichtswissenschaftlichen Fachcommunity versteht, „für fachwissenschaftliche Standards in der Geschichtskultur und in der Wissenschafts- und Bildungspolitik“ eintritt und themen- wie epochenübergreifend vor allem die professorale Statusgruppe alle zwei Jahre zusammenbringt, bot sich eine gute Möglichkeit. 

 

Wir initiierten eine als „Zuhörveranstaltung“ geplante Gesprächsrunde. Ziel war dabei, über die mediale Berichterstattung eklatanter Einzelfälle hinaus ein kritisches Bewusstsein für das systemimmanente Problem in der hierarchisch organisierten Wissenschaft zu erzeugen und einen Austausch zwischen Studierenden, Mittelbau, Professor*innen sowie Vertreterinnen unserer Initiative #metoohistory und des VHD zu schaffen. 

 

Wir waren im Vorfeld nervös. In der kurzen Vorbereitungszeit verwarfen wir immer wieder einzelne Programmteile. Wir wollten einen Zugang zum Thema schaffen – zum einen über Daten zum institutionellen Problem von Machtmissbrauch innerhalb der Wissenschaft und durch vorgetragene Vorfälle sexualisierter Übergriffe die Bandbreite und das Ausmaß verdeutlichen. Zum anderen wollten wir über arbeitsjuristische Grundlagen Wissen für konkrete Handlungsspielräume ansprechen und für unsere Fachkultur anwenden.

 

Oberste Priorität hatte dabei, die Betroffenen zu schützen. Gleichzeitig wollten wir nicht auf mediale Einzelfälle verweisen, einerseits aufgrund der juristischen Brisanz im Raum stehender Vorwürfe, andererseits um bereits niedrigschwelligere Formen und Dimensionen von Machtmissbrauch nicht zu verharmlosen. Wir entschieden uns bewusst, keine offene Diskussion in unser 90-minütiges Format einzubinden.

 

Viel Zuspruch und Empörung in der Fachcommunity

 

Das Bedürfnis in der Fachkultur, über das Thema zu sprechen, war deutlich spürbar. Vor der Tagung hatten wir weitreichend für unsere Veranstaltung geworben – auf Socialmedia, persönlich und vor Ort über Aushänge. Während der Konferenz erreichte uns wiederholt Zuspruch, das Thema endlich zu adressieren. Uns kam von vielen Personen zu Ohren, dass sie planten, an unserer Veranstaltung teilzunehmen. Da wir kurzfristig in das Programm des Historikertags aufgenommen worden waren und eine digitale Übertragung planten, konnten uns die Organisator*innen aus den vorhandenen Raum-Kapazitäten nur einen regulären Seminarraum mit etwa 30 bis 40 Sitzplätzen anbieten. 

 

Die Situation vor Ort erinnerte an eine Universitätsbesetzung – im Veranstaltungsraum selbst standen die Interessierten dicht aneinandergedrängt, weitere Personen versuchten in den Raum zu kommen, andere saßen bereits im Flur. Eine aufgeladene Atmosphäre – niemand wollte die Veranstaltung verpassen. Wie auch immer, kurzerhand stand doch ein leerer Hörsaal zur Verfügung. Wir zogen um, begannen mit etwa 30 Minuten Verspätung. Auch wenn andere Sektionen bereits starteten, verblieb die Mehrheit des Publikums im Hörsaal. Das Interesse blieb groß – über 300 Personen nahmen teil.

 

Ein Eindruck, der mir persönlich hängengeblieben ist, war das vielfache Kopfnicken aus dem Publikum während des Gesprächs als eine Form nonverbaler Zustimmung zu den Situationen und Strukturen sexualisierten Machtmissbrauchs. Es gab ein konstruktives Gespräch aber auch variierende Meinungen. Eine Gruppe Promovierender verließ als bewusstes Signal von Empörung gegen eine Äußerung der stellvertretenden Vorsitzenden des VHD den Hörsaal. 

 

Es wurde deutlich, dass wir mit einem strukturellen Problem in der (Geschichts-)Wissenschaft konfrontiert sind. Gleichzeitig zeigte sich, dass das tatsächliche Ausmaß noch zu wenig Beachtung findet und wirksame Strukturen zur Lösung dieses anhaltenden Zustands bislang fehlen. In den Gesprächen offenbarten sich deutliche Unterschiede im Bewusstsein für die systemische Bedeutung dieses Problems sowie in den Vorstellungen über mögliche Handlungsstrategien.

 

Aus einem Impuls wird eine Bewegung

 

Die Veranstaltung war das erste persönliche Aufeinandertreffen unserer Initiative. Das große Interesse an diesem Thema war sichtbar geworden. Wir hatten mit dem Hashtag den Anstoß für eine fachspezifische Debatte gesetzt. Wie wollten wir nun weitermachen? Von diesen Fragen waren die folgenden Monate unserer Arbeit geprägt. 

 

Als kleine Gruppe in anspruchsvollen Lebenssituationen sowie beruflichen Abhängigkeiten – entweder durch befristete (Qualifizierungs-)Stellen, fachliche und vor allem kollegiale Nähe zu Betroffenen – standen wir vor neuen Herausforderungen, die die öffentliche Sichtbarkeit von #metoohistory mit sich brachte. Wann sprechen wir namentlich als Einzelpersonen, wann als Initiative – Rollenkonflikte sind bei einem so heiklen Thema keine Seltenheit.

 

Wir setzten unsere Aktivitäten zuerst bei X, nun bei LinkedIn fort. Wir haben eine Email-Adresse eingerichtet, an die sich Betroffene vertraulich wenden. Bei Anfragen durch Institute, Fachgruppen und Initiativen aus den Geschichtswissenschaften verweisen wir auf etablierte Organisationen. Denn wir verfügen weder über juristische oder psychologische Qualifikation noch betreiben wir eigene empirische Erhebungen zu den Verhältnissen in den Geschichtswissenschaften. 

 

Wir bringen uns als Einzelpersonen oder gemeinsam als Initiative mit unserem Wissen und unseren Netzwerken bestmöglich in die Fachkultur-Debatte ein. Dabei müssen wir unsere Kapazitäten stetig neu reflektieren, miteinander besprechen und vor allem auch viel Dampf ablassen – denn die Anfragen und Erfahrungen, die uns erreichen, liegen schwer. Kein einfaches Thema für ein politisches Engagement nach ‚dem akademischen Feierabend‘. Überlegungen, die Sichtbarkeit unserer Initiative in eine strategische Kampagne zu überführen, haben wir vorerst verworfen, im Bewusstsein um die notwendigen Ressourcen. 

 

Eine breite Debatte wurde entzündet

 

Die neu geschaffene Öffentlichkeit, die Entrüstung über ausbleibende Urteile der medial diskutierten Fälle an den Berliner Universitäten und eine Stärkung für Solidarisierung, zeigten Wirkung. Der VHD verabschiedete im Oktober 2023 eine Resolution gegen Machtmissbrauch und gründete eine Arbeitsgruppe für fachethische Fragen innerhalb des Verbands, welche erst kürzlich eine Umfrage durchführte. Die Ergebnisse stehen noch aus.

 

Bereits aktive Gruppen setzen ihr Engagement für die Aufarbeitung, Aufklärung und Umstrukturierung missbrauchsfördernder Strukturen und Abläufe im universitären Umfeld fort. Im Januar 2025 veröffentlichte der HU-Referent*innenRat eine Umfrage, um studentische Dimensionen intersektionaler Abhängigkeiten strukturellen Machtmissbrauchs aufzuzeigen.

 

Fachspezifische Diskussionen fanden Eingang in übergeordnete wissenschaftspolitische Diskurse. 2024 griffen gleich mehrere Tagungen und Workshops die fachspezifischen Dimensionen von sexualisiertem Fehlverhalten, Übergriffen und Diskriminierung auf. Die größte Signalwirkung dürfte wohl die „Empower to speak up“-Tagung der Technischen Universität Berlin gehabt haben. Denn erstmals setzte sich eine Hochschule mit den institutionellen Dimensionen kritisch auseinander und leitete konkrete Strategien und Arbeitsaufträge ab, um zum einen Praktiken des Machtmissbrauchs aufzudecken und zu sensibilisieren, Täter zu sanktionieren, Betroffene zu unterstützen und zum anderen Strukturen aufzubrechen und präventiv zu agieren. Eine Fortsetzung für 2025 ist bereits angekündigt.

 

Die GEW arbeitet auf Berliner Landes- und Bundesebene aktiv an Strategien. Ein entsprechender Antrag wurde vom Hauptvorstand für 2025 als ein Themenschwerpunkt angenommen.

 

Immer wieder werden investigative Recherchen von Journalist*innen veröffentlicht, die die Ausmaße und Dimensionen von Machtmissbrauch im Wissenschaftssystem thematisieren. Es hat sich also einiges getan in den vergangenen zwei Jahren. Eine öffentliche Debattenkultur wurde entzündet.

 

Machtasymmetrien bleiben bestehen

 

Gleichzeitig bestehen die institutionalisierten Machtasymmetrien an Hochschulen fort, die begünstigen, dass Personen ihre herausgestellten Positionen ausnutzen können. Die weithin fehlende Verbindung universitärer Anlaufstellen und Ombudspersonen verhindert eine effektive Nachverfolgung und Sanktionierung von Fehlverhalten. 

 

Das aktuelle System schützt Täter*innen, erschwert es, die etablierte Kultur des Schweigens nicht nur punktuell zu durchbrechen und vor allem belastet es Betroffene. Diese müssen über die gemachten Erfahrungen hinaus Angst, Anonymität und Stigmatisierung überwinden, um die Vorfälle zu melden. Wir wissen von vielen Betroffenen; die Dunkelziffer bleibt hoch. Vielerorts fehlt das Vertrauen in die entsprechenden Stellen, auch weil strafrechtliche Konsequenzen, losgelöst vom universitären Meldewesen und der Fachkultur-Debatte, stattfinden.

 

Die Anfang September 2023 ausgesprochene Kündigung des HU-Dozenten musste die Uni-Leitung im Kontext eines Gerichtsverfahrens vorerst zurücknehmen. Trotz des Engagements von studentischen Gremien und Einzelpersonen und der mutigen Entscheidung vieler Betroffener und Bystander, in dem Prozess sogar namentlich auszusagen, konnten die Aussagen des Dozenten, er habe sich immer korrekt verhalten, nicht widerlegt werden. Die in einem außergerichtlichen Vergleich vereinbarte Kündigung zum Juni 2024 bedeutete zwar eine unmittelbare Freistellung von der Lehre und damit unmittelbarem Kontakt zu Studierenden und Wissenschaftler*innen, aber eben auch weitergezahlte Bezüge.

 

Im Falle der Vorwürfe gegen den Professor am IAAW folgten bisher – soweit bekannt – keine personalrechtlichen oder juristischen Konsequenzen. Als Lehrender, als Gutachter zahlreicher Fachzeitschriften sowie als geladener Sprecher auf wissenschaftlichen Veranstaltungen verfügt er weiterhin über weitreichende Machtpositionen.

 

Der Kampf geht weiter, weil Täter mächtig bleiben

 

Um wirksame Veränderungen zu erreichen, bedarf es mehrerer entscheidender Schritte. Zunächst müssen unabhängige Plattformen geschaffen werden, die einen sicheren Raum für Austausch bieten. Gleichzeitig ist es wesentlich, dass sich Akteure über einzelne Initiativen und Statusgruppen hinweg kollektiv solidarisieren, koordinieren und gemeinsam handeln. Eine Normalisierung des offenen Diskurses muss gefördert werden, um verborgene Machtstrukturen und Schwachstellen im System zu erkennen und zu benennen. Die systematische Dokumentation von Vorfällen sowie das Aufdecken und Verbreiten vorhandenen Wissens sind dabei unverzichtbar. Von Personen in Machtpositionen muss konsequent Verantwortung eingefordert werden. Zur Untermauerung der Arbeit sollte bestehende Forschung zu den Auswirkungen sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauchs herangezogen und professionelles Fachwissen einbezogen werden. Nicht zuletzt gilt es, die Diskussion und die Aktionen kontinuierlich aufrechtzuerhalten, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken.

 

Vor zwei Jahren haben wir als Initiative begonnen, einen Raum zum Sprechen einzufordern, und auch diejenigen in die Diskussion zu holen, die sich lieber darum gedrückt hätten. #metoohistory hat einen wichtigen Impuls gesetzt, indem wir die schon so lange rumorenden Unzufriedenheiten zum richtigen Zeitpunkt aufgegriffen und eine öffentliche Auseinandersetzung angestoßen haben. 

 

Daraus haben sich wichtige Vernetzungen ergeben, etablierte Institutionen, die darüber forschen und praktische Handreichungen erarbeitet haben, bekamen eine größere Sichtbarkeit und werden nun stärker im Kontext der Geschichtswissenschaften reflektiert und herangezogen. Das Engagement von Fachverband, Statusgruppenvertretungen und Einzelpersonen tragen zur andauernden Diskussion und strukturellen Aufarbeitung in unserer Fachdisziplin bei.

 

Solange die Täter*innen Positionen innehaben, in denen niemand an ihnen vorbeikommt, solange wird struktureller Machtmissbrauch und damit auch sexualisierter Machtmissbrauch, fortbestehen. Aktuell liegt unser Fokus darauf, stark zu machen, dass die Diskussion nicht zu Ende ist und nicht einfach kommentarlos wieder ‘business as usual’ erfolgen darf. Nur gemeinsam können wir die komplexen Hierarchien, Prozesse und Praktiken (sexualisierten) Machtmissbrauchs aufbrechen. 

 

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