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Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit

Es gibt so viel, was gesagt werden will

Die Heilpädagogin Claudia Nuß-Jansen setzt sich in ihrer Arbeit mit der Unterstützten Kommunikation dafür ein, dass diese wahr- und ernstgenommen wird und erzählt von ihrer Begeisterung für die Kommunikationsförderung.

Sozialarbeiterin Claudia Nuß-Jansen Foto: Jeannine Schätzle

bbz: Wie bist du zur sozialen Arbeit gekommen?

Nuß-Jansen: Ich habe Heilpädagogik mit Schwerpunkt Unterstützte Kommunikation (UK) studiert und bin außerdem noch systemische Beraterin und Fachreferentin der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. Ich bin schon früh mit diesem Bereich in Kontakt gekommen, weil meine Schwester Sozialpädagogin ist und in einem großen Träger der Eingliederungshilfe in Süddeutschland arbeitet und meine Mutter lange bei einem begleitenden Fahrdienst mit Menschen mit Behinderung gearbeitet hat. Da habe ich sie schon in meiner Jugendzeit hin und wieder unterstützt. Nach der Schule habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr an einer Schule mit Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung gemacht. Danach war für mich klar, dass ich in dem Bereich bleiben will.

 

Wo arbeitest du im Augenblick?

Nuß-Jansen: Im Moment leite ich eine Beratungsstelle bei Cooperative Mensch eG. für Unterstützte Kommunikation. Wir beraten und begleiten Menschen, die sich lautsprachlich nicht oder nur eingeschränkt mitteilen können, aber auch Angehörige und Fachpersonen. Wir bieten für Externe und Mitarbeitende Schulungen, Fortbildungen, Teamberatungen und Workshops an, unterstützen bei der Beantragung von Hilfsmitteln, arbeiten mit anderen Trägern zusammen und organisieren einmal im Monat ein Vernetzungstreffen.

 

Wer bietet in Berlin noch solche Beratungen an?

Nuß-Jansen: Es gibt eine weitere Beratungsstelle von einem anderen Träger der Eingliederungshilfe und einzelne Fachkräfte, die Beratung anbieten. Ergänzend dazu gibt es mittlerweile Beratungsangebote an Schulen mit unterschiedlichem Förderschwerpunkt und vereinzelt Kolleg*innen in der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) mit diesem Schwerpunkt. Aber es ist für Betroffene häufig eine Herausforderung, eine passende Stelle zu finden. Da sich UK-Beratung nicht finanzieren lässt, gibt es viel zu wenige Beratungsstellen für Unterstützte Kommunikation.

 

Die Beratung wird nicht refinanziert?

Nuß-Jansen: Nein, die meisten Beratungsstellen sind deutschlandweit mit einer Aktion Mensch-Förderung gestartet. Das muss sich nach drei Jahren refinanzieren und nach fünf Jahren wird die Förderung eingestellt. Ganz viele Beratungsstellen sind nach diesen fünf Jahren wieder eingestampft worden, weil sich UK-Beratung nicht finanzieren lässt. Kommunikationshilfsmittel können finanziert werden, beispielsweise über die Krankenkasse oder über die Unfallversicherung, je nachdem, aus was für einem Grund die Person sich lautsprachlich nicht mitteilen kann. Aber Beratung an sich lässt sich nicht über die Krankenkasse finanzieren. Wenn eine logopädische Praxis eine Kommunikationsförderung mit Schwerpunkt auf Unterstützte Kommunikation anbietet, lässt sich das über die therapeutische Verordnung abrechnen.

 

Seid Ihr auf dem Weg, um eine Regelfinanzierung zu erreichen?

Nuß-Jansen: Ja, der Dachverband Gesellschaft für Unterstützende Kommunikation e.V. oder die Bundesarbeitsgemeinschaft für UK-Beratungsstellen setzt sich für eine Finanzierung ein. Aber es ist schwierig, diese Leistungen irgendwo unterzubringen, also beispielsweise im Leistungskatalog der Krankenkassen. Die Krankenkassen wollen das nicht finanzieren, weil sie teilweise schon die Hilfsmittel finanzieren und irgendwie findet die Begleitung ja auch statt, aber eben nicht immer gut. Erst kürzlich wurde ein Projekt von der Universität zu Köln, die dieses Ziel verfolgt hat, nicht weiter gefördert.

 

Ist eine Finanzierung über die Eingliederungshilfe möglich?

Nuß-Jansen: Kommunikationsassistenz lässt sich über die Eingliederungshilfe beantragen, wenn eine Person beispielsweise mit einem technischen Sprachausgabegerät versorgt wurde und die Wirksamkeit sichergestellt werden soll. Die Beantragungen sind häufig zäh und langwierig und die vorhergehende Beratung wird nicht finanziert.

 

Was denkst du, welche Kompetenzen braucht man für deinen Job?

Nuß-Jansen: Ich glaube, es ist gut, wenn man kommunikativ ist, Lust auf Menschen hat und ein gutes Einfühlungsvermögen. Man muss sehr geduldig sein und muss Freude daran haben, den Anderen die Möglichkeit zur Kommunikation zu geben.

 

Ihr habt sicherlich auch mit Eltern zu tun, die vielleicht andere Vorstellungen davon haben, wie die Unterstützte Kommunikation laufen soll oder was möglich ist.

Nuß-Jansen: Wenn wir Beratung anbieten, dann immer im Mehr-Personen-System. Es ist wichtig, dass sich alle Bezugspersonen zusammensetzen. Und es ist in der Tat so, dass manchmal die Ansichten auseinandergehen. Eltern wünschen sich mehr Unterstützung von den Fachkräften und andersherum. Dann liegt es an uns, alle zusammenzuführen und zu beraten, wie man die Aufgaben gut verteilen kann. Wichtig ist es vor allem, die nicht sprechende Person in den Fokus zu rücken und zu schauen, was sie sich wünscht.

 

Ihr bietet also Beratung auf mehreren Ebenen an, einmal auf der fachlichen und einmal auf der individuellen, psychosozialen Ebene?

Nuß-Jansen: Das macht es so spannend und so vielfältig. Es ist Fachberatung, weil die Bezugspersonen häufig mit einem klaren Wunsch kommen. Sie wollen beispielsweise wissen, was das richtige Hilfsmittel ist oder, wie Kommunikationsformen erweitert werden können. Da ist Fachwissen gefragt. Auf der anderen Seite muss ich diagnostisch beobachten, auf welcher kommunikativen Ebene steht die Person? Und kann ich die unterschiedlichen Bedürfnisse zusammenführen und die Wünsche der nicht-sprechenden Person in den Fokus aller stellen? Das macht es manchmal sehr herausfordernd, aber auch besonders spannend.

 

Gibt es Erlebnisse, die dich besonders geprägt haben in deinem beruflichen Alltag?

Nuß-Jansen: Ich erinnere mich gerne an den ersten Wachkoma-Patienten, mit dem ich gearbeitet habe. Der war, als ich kam, schon sieben Monate diagnostiziert im Wachkoma. Ich habe ihn beobachtet, das genau dokumentiert und bin die Unterlagen immer wieder durchgegangen. Irgendwann habe ich mit einer Pflegefachkraft gesprochen, die zu mir sagte, dass er sie immer genau mit dem Blick verfolgen würde, wenn sie von der linken Bettseite auf die rechte Bettseite wechselte. Man konnte das kaum sehen, weil er nur das linke Auge einen ganz kleinen Spalt öffnen konnte. Daraus konnten wir dann ein Zeichen für Ja und Nein entwickeln. Es hat sich herausgestellt, dass der Mann nicht im Wachkoma war, sondern Locked-In, also bei vollem Bewusstsein. Er hat alles mitbekommen, war aber einfach nicht in der Lage, sich mitzuteilen. Das war so ein berührender Moment, als wir das festgestellt hatten und ich es seiner Lebensgefährtin mitteilen konnte. In der UK ist es besonders wichtig, sehr aufmerksam für die individuellen Zeichen zu sein, diese wahrzunehmen, zu interpretieren und zu beantworten. Bei uns »mundsprechenden« Personen liegt viel Verantwortung.

 

Was macht dir in deiner Arbeit besonders viel Spaß?

Nuß-Jansen: Was mir wirklich am Herzen liegt, ist die Kommunikationsförderung, besonders auch in größeren Runden. Es ist spannend, wenn viele unterstützt kommunizierende Personen zusammenkommen, die sich eigentlich sonst nicht so häufig begegnen. Einfach mal zu sehen, was eine andere Person vielleicht mit einem Sprachausgabegerät kann. Auch Einzelförderungen machen mir viel Spaß. Zu merken, dass es so viel gibt, was gesagt werden will und, dass es an mir liegt, herauszufinden, wie wir das versprachlichen können. In den letzten Jahren habe ich die Arbeit mit Fachkräften im Hinblick auf Fortbildungen und Workshops schätzen gelernt. In den Einführungskursen für Unterstützte Kommunikation ist es immer wieder schön zu sehen, wie ich die Menschen erreiche und wie verblüfft sie darüber sind, was es für Möglichkeiten gibt.

 

Gibt es Bereiche, in denen du besondere Herausforderungen siehst oder Entwicklungsbedarf?

Nuß-Jansen: Ich denke, wenn es eine gute Finanzierung für UK-Beratung und auch für die anschließende Begleitung gäbe oder mehr logopädische Praxen, die geschult in Unterstützter Kommunikation sind, dann wäre eine bessere Versorgung möglich. Es gibt zwar immer mehr Fachkräfte, die geschult sind, aber der Bedarf ist wesentlich höher als das Angebot. Wir sind zwei Beratungsstellen der Eingliederungshilfe in Berlin und unsere hat im Moment Wartelisten bis zu sechs Monaten. Das ist sehr schade, weil wir manchmal Beratungen an Hilfsmittelfirmen abgeben müssen, damit es nicht so lange dauert, bis die Personen ein Angebot bekommen. Ich wünsche mir, dass der Senat Stellen schafft, die refinanziert sind und die gut in die Berliner Beratungslandschaft eingebunden sind. Im Moment finanziert die Cooperative Mensch eG. das Projekt eigenständig. Das heißt, der Träger leistet sich diese Beratungsstelle, weil er den großen Bedarf erkennt. Deswegen bin ich in der Luxussituation, hier in der Beratungsstelle arbeiten zu können. Letztlich aber gibt es davon noch viel zu Wenige.

 

Warum erscheint es so schwierig, für die Unterstützte Kommunikation mehr Aufmerksamkeit und eine bessere Finanzierung zu bekommen?

Nuß-Jansen: In Deutschland hat sich das Fachgebiet der Unterstützten Kommunikation anders entwickelt als in anderen Ländern. In anderen Ländern ist die UK klassischerweise bei den Sprachtherapeut*innen und den Logopäd*innen angegliedert, während in Deutschland die Unterstützte Kommunikation aus der Sonderpädagogik kam. Deswegen gibt es in Deutschland immer noch wenige Sprachtherapeut*innen oder Logopäd*innen, die Unterstützte Kommunikation anbieten, aber viele andere Berufsgruppen, die das mit abdecken und es hat ja immer irgendwie funktioniert. Da sehen die Krankenkassen nicht den Bedarf, etwas anderes als die Hilfsmittel zu finanzieren oder eben die Heilmittelverordnung.

 

Gibt es noch etwas, was du dir für dein Berufsfeld wünschst?

Nuß-Jansen: Ja, mehr Sichtbarkeit auf politischer Ebene. Gerade im Zusammenhang mit der UN Behindertenrechtskonvention und dem daraus resultierenden Bundesteilhabegesetz wurde das Thema Partizipation und Teilhabe immer größer. Berlin will mit dem Teilhabeinstrument die assistenznehmenden Menschen stärker in den Fokus rücken und mehr deren Wünsche und Bedürfnisse erfassen. Aber, wenn eine Person nicht dazu in der Lage ist, sich lautsprachlich zu äußern oder Einschränkungen im Lautsprachverständnis hat, dann ist es schwierig, die Wünsche und Bedarfe zu ermitteln.

 

Wie kann das gelingen?

Nuß-Jansen: Es braucht letztlich eine funktionierende Kommunikation, damit die Person tatsächlich partizipieren kann. Auch Personenkreise, die man gar nicht fragen kann, können alternative Zeichen zur Kommunikation zeigen. Aber es ist an uns, als Kommunikationspartner*innen, diese wahrzunehmen und entsprechend zu interpretieren und daraus Teilhabebedarfe oder Wünsche abzuleiten.   

 

Unterstützte Kommunikation (UK)

Das Fachgebiet beschäftigt sich damit, für Menschen, die nicht oder nur eingeschränkt lautsprachlich kommunizieren, Wege zur Kommunikation zu finden und sie in diesen unterschiedlichen Kommunikationsformen zu unterstützen. Dies bedeutet, herauszufinden, wie jede Person kommuniziert und zu schauen, ob es ergänzende Formen oder Hilfsmittel braucht, um die Person besser zu verstehen.

Zu den Kommunikationsformen gehören zum einen körpereigene Zeichen: Mimik, Gestik, Laute, Wörter aber auch Gebärden. Und zum anderen körperexterne Kommunikationen über Symbole, Bildkarten und Piktogramme, die auf unterschiedliche Weise ausgewählt werden können. Dies geht von einzelnen Symbolen über Kommunikationstafeln oder Kommunikationsordnern mit vielen Symbolen, hin bis zu komplexen Sprachausgabegeräten mit umfangreichem Vokabular. Oder auch zu Oberflächen mit Tastaturen, mit denen Menschen mit schriftsprachlichen Fähigkeiten sich verständlich machen können. Das Sprachausgabegerät ist dann die Stimme für die Person, die sich sonst nicht lautsprachlich oder nur eingeschränkt äußern könnte.

 

Serie – Die bbz stellt vor SOZIALARBEITER*INNEN. Alle Interviews der Serie hier

 

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Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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