Tendenzen
Extrem rechte Comics
In den letzten Jahren lässt sich eine Zunahme extrem rechter Comic-Publikationen im deutschsprachigen Raum beobachten. Wiederkehrende Narrative sind der Rächer, der Außenseiter und die dystopische Überzeichnung aktueller politischer Entwicklungen.
Comics und Comicelemente lassen sich seit Jahrzehnten in Publikationen unterschiedlicher extrem rechter Spektren finden. Sie erscheinen als kurze Comicstrips in Zeitungen, Magazinen oder Fanzines, werden im Wahlkampf von Parteien massenhaft verteilt oder gar als eigenständige Produktionen herausgebracht.
Wahlkampf- und Parteicomics machen einen wesentlichen Teil der extrem rechten Comics aus. Die ideologischen und programmatischen Bezüge stehen dabei klar im Vordergrund, auf künstlerische Ästhetik oder anspruchsvolle Handlungen wird hingegen wenig Wert gelegt. Allein in der NPD-Parteizeitung »Deutsche Stimme« erschienen mehrere Comicreihen, darunter »Willy Widerstand« (1998/1999) oder »Alex« (2007). Zur Bundestagswahl im Jahr 2009 veröffentlichte die NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) den aus dem Englischen übersetzten Comic »Enten gegen Hühner«, der laut Partei in einer Auflage von 30.000 Stück kostenlos verteilt wurde. Dies ist lediglich ein Beispiel für einen Comic, der mit dem Versuch verbreitet wurde, im Wahlkampf ein jüngeres, rechtsoffenes Klientel anzusprechen. Ähnliche Projekte sind von der FPÖ (»Der blaue Planet«) oder der AfD (»Zeit für die Wende 2.0«) bekannt. Während Heinz-Christian Strache im Jahr 2009 als blauer Superman gegen die korrupte EU-Elite ankämpft, verspricht der während des Thüringer Wahlkampfes im Jahr 2019 verbreitete AfD-Comic angesichts einer »gleichgeschalteten Politik« eine »friedliche Revolution mit dem Stimmzettel«. Auch die Berliner AfD-Fraktion gab in den Jahren 2017 und 2018 einen achtteiligen Comic namens »Emilia and friends« heraus.
Der Versuch, rechte Positionen zu normalisieren
Anspruchsvoller sind hingegen jüngere Versuche aus dem neurechten Milieu, sich in der Comic-Szene zu etablieren und extrem rechte Positionen über das Medium Comic zu normalisieren. Bereits das zwischen den Jahren 2017 und 2020 erschienene Arcadi-Magazin richtete sich an ein jugendliches Publikum und verhandelte nicht nur Lifestyle-Themen im Kontext identitärer Narrative, sondern druckte auch zahlreiche eigene Comics ab. Deren grafische Qualität sowie der hohe Stellenwert, die diese im Magazin einnahmen, verdeutlichen, dass Comics hier nicht nur als politisches Sprachrohr begriffen werden. Vielmehr setzen sich die Macher*innen kontinuierlich mit dem Medium auseinander. Eine in Arcadi zu findende Reihe ist der Comic »Outdoor Illner«. Die Kunstfigur wurde vor einigen Jahren von dem YouTuber Christian Illner aus Trier geschaffen und repräsentiert einen naturverbundenen jungen Mann, der sich mit einer »Mischung aus Blödelei und Menschenverachtung« (Zitat Portal »Endstation Rechts«) im jungen, neurechten Milieu einen Namen gemacht hat. So stellt »Outdoor Illner« in dem im Herbst 2020 herausgegebenen und kurz darauf indizierten Computerspiel »Heimat Defender« des Netzwerkes »Ein Prozent« einen der auszuwählenden Charaktere dar. Auch Podcasts und YouTube-Filmchen lassen sich von und über Illner finden. In einer Geschichte trifft »Outdoor Illner« auf Zombies, die sich hilfesuchend an ihn wenden: Die Menschen seien von den Medien verstrahlt und böten keine Nährstoffe mehr, Zombifreund*innen seien zu Veganer*innen mutiert und demonstrierten für den Hambacher Forst. Der Protagonist kommt mit klugen Ratschlägen zu Hilfe, denn, »wer selbst innerlich verrottet, kann den Kosmos nicht wiederherstellen«. Die wiederkehrenden Motive von Naturverbundenheit und Technikkritik vertritt Illner auch im Gespräch mit dem Identitären Martin Sellner in dessen Format »MS live«. Dort empfiehlt er die Lektüre von Heidegger und den Rückzug in den Wald als Mittel gegen Defätismus. Auch für das rechte Online-Projekt »Gegenuni«, das Online-Kurse, Seminare und Lesekreise für ein rechtsintellektuelles Milieu anbietet, tritt Illner als Dozent auf. Das Beispiel zeigt, dass sich dieses junge, neurechte Milieu diverser Formate bedient und dabei gegenseitig rezipiert, um Bekanntheitsgrad und Reichweite zu erhöhen.
Kulturkampf von Rechts
Während das Arcadi-Magazin mittlerweile sein Erscheinen eingestellt hat, existiert mit dem Hydra Verlag aus Dresden seit dem Jahr 2019 ein extrem rechter Verlag, der sich unter dem Motto »Comics gegen Gleichschaltung« auf Comic-Produktionen spezialisiert hat. Im Eigenverlag werden Comics und Fanartikel produziert, zudem kauft Hydra Titel aus dem Ausland ein und übersetzt sie. Viel Augenmerk erhält das Marketing, so wird großflächig plakatiert, in sozialen Medien gibt es allerlei Beiträge und Videos sowie Aufrufe zur Beteiligung an Projekten. Künstler*innen, die angeblich aufgrund »politischer Differenzen« keinen Platz mehr in der Mainstream-Comicszene finden könnten, werden direkt von Hydra angesprochen und dabei auch finanziell unterstützt. So vergab der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp dem Verlag im Sommer 2022 ein einjähriges Stipendium in Höhe von monatlich 500 Euro für die Veröffentlichung eines »Abenteuercomics« über den Jagdflieger Manfred von Richthofen. Angesiedelt ist das selbsternannte »kreative Zentrum« der extrem rechten »Gegenkultur« in einem zweistöckigen Neubau in Dresden. Unter dem Banner von »Ein Prozent« versammeln sich dort diverse Podcasts und Youtube-Formate. Zudem haben neben dem neurechten Jungeuropa Verlag auch die PR-Agentur Archetyp und der Oikos Verlag hier ihren Sitz. Verlags- und Lesetreffen werden gemeinsam durchgeführt. Bei Hydra-Comics handelt es sich um ein gut vernetztes Ein-Mann-Projekt: Alleiniger Geschäftsführer ist der ehemalige Bundesvorsitzende der JN, Michael Schäfer. In der dystopischen Zukunft der »Hydra Comics« trägt die Nachrichtenmoderatorin Hijab, Greta Thunberg regiert von einem Hinterzimmer aus die Welt und der Protagonist muss sich durch körperliche Arbeit in der Natur seiner Männlichkeit besinnen, bevor er es mit derart finsteren Mächten aufnehmen kann.
Widerstand gegen Feminismus und Klimaaktivismus
Die Zunahme extrem rechter Comic-Publikationen im deutschsprachigen Raum hat mehrere Gründe. Auch in der Comic-Szene gab es in den vergangenen Jahren ein Umdenken. Rassistische und sexistische Klischees wurden kritisiert, neue Held*innen sind entstanden. Gleichzeitig haben viele Herausgeber*innen und Zeichner*innen jüngerer extrem rechter Veröffentlichungen eine Verbundenheit mit dem Medium und Kenntnisse der Comic-Szene. Ihnen geht es nicht um Wahlkampf, sondern um einen Kulturkampf von rechts. Die Geschichten handeln vom Widerstand gegen eine vermeintliche linksliberale Hegemonie in der Popkultur, gegen Feminismus und Klimaaktivismus. Die Figuren schaffen es, den Opferstatus abzuwerfen, um sich dann entweder in Selbstjustiz zu üben oder der Natur und dem wahren Leben zuzuwenden. Auch die steigende Anerkennung von Comics als Medium im deutschsprachigen Raum könnte ein Grund für die Zunahme extrem rechter Comic-Veröffentlichungen sein. Deren Produzent*innen möchten den Aufschwung nutzen, den der Comic-Markt jüngst zu verzeichnen hatte. Das zeigt sich auch an dem ausgeprägtem Konsumangebot an Fan-Artikeln oder Podcasts. Allerdings passt dies nur schwer in das ständig wiederholte Mantra der Hydra-Comics von einem »linkskapitalistischen Verwertungs- und Optimierungsprozess«, den man bekämpfen müsse. Umso mehr versuchen sich die Herausgeber*innen und Zeichner*innen selbst auf ihren Blogs, in Foren und auf Veranstaltungen als eine rebellische Minderheit zu inszenieren, ähnlich wie ihre Protagonist*innen. Versuche, sich in der deutschen Comic-Szene zu etablieren, scheiterten bislang. Dass die extrem rechten Comics und ihre Produzent*innen keinen Anschluss finden, spiegelt sich auch in den Schaufenstern der Comic-Läden wider, in denen üblicherweise keines der hier besprochenen Bücher oder Hefte zu finden ist. Auch auf Festivals, bei Preisverleihungen und Messen spielen diese Comics keine Rolle. Die nicht zuletzt durch Hydra-Comics erreichte Professionalisierung von Erzählungen, Ästhetik und Vermarktung bleibt vorerst reine Selbstbespaßung der extremen Rechten.
Der Text entstammt der Publikation »magazine« des antifaschistischen pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz) vom Dezember 2022 und wurde für die vorliegende Ausgabe gekürzt und überarbeitet.
GEW aktiv gegen AfD-Parteitag
Aktive der GEW BERLIN beteiligten sich Ende Juni an Protesten und Sitzblockaden gegen den Bundesparteitag der AfD in Essen. Konstantin Kieser und Inés Heider berichten: www.gew-berlin.de/aktuelles/detailseite/essen-stellt-sich-quer-wir-widersetzen-uns
Infos zum »III. Weg«
Die Aktivitäten der rechtsextremen Kleinstpartei »Der III. Weg« in Berlin haben in den letzten Monaten stetig zugenommen. Zusammen mit dem antifaschistischen pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz) hat die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus eine Handreichung zu Hintergründen, Aktivitäten und Handlungsempfehlungen erstellt. Download unter folgendem Link bzw. gegen Übernahme der Portokosten bestellbar.