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bbz 03 / 2019

Feminismus und ich

Jede*r entdeckt den Feminismus auf eigene Weise. Unsere Autorin berichtet über ihre Erfahrungen und ihre alltägliche Konfrontation mit sexistischen Rollenbildern und Erwartungen

Menschen neigen dazu, zu allem eine Meinung zu haben. Bevor du diesen Artikel liest, bitte ich dich deshalb um Folgendes: Nähere dich meinen Worten ohne jegliche Voreingenommenheit. Nimm dir vor, meinen Standpunkt zu verstehen. Hinterfrage ruhig meinen Standpunkt. Hinterfrage nun deinen Standpunkt. Los geht’s.

Feminismus fordert die soziale, ökonomische und politische Gleichheit aller Geschlechter. Auch wenn der Begriff irreführend wirkt, ist der Weg des Feminismus also nicht nur ein weiblicher, sondern auch ein männlicher. Denn beiden Geschlechtern werden systematisch Stereotype und Geschlechterrollen aufgezwungen.

Hast du dich noch nie gefragt, warum rosa eine Mädchenfarbe und blau eine Jungsfarbe ist? Oder warum der Begriff »pussy« abwertend ist, obwohl er nur auf das weibliche Genital verweist? Und weshalb ein Mädchen oder eine Frau, die sich in ihrer Sexualität wohlfühlt, als »Schlampe« bezeichnet wird? Ist dir aufgefallen, dass die Wickeltische für Kinder auf Damen- und nicht auf Herrentoiletten zu finden sind? Dass »schwul« als Beleidigung funktioniert, weil ein Mann angeblich seine Männlichkeit verliert, wenn er einen Mann liebt? Oder dass weibliche Brustwarzen auf Instagram zensiert werden und männliche nicht?

Feminismus als Pop

Vielleicht hast du es mitbekommen. In den letzten Jahren ist der Feminismus Teil der Popkultur geworden. Feminismus hat sich zu einem Trend entwickelt. Plötzlich war jeder Feminist. Bei H&M gab es rosafarbene T-Shirts mit feministischen Aufschriften, Dior verkaufte das gleiche Kleidungsstück mit der Aufschrift »We Should All Be Feminists« und im Fernsehen lief eine Serie namens »Supergirl« (– als Äquivalent zu Superman, versteht sich). Das alles ist schön und gut. Jedoch muss ich mir eingestehen, dass der Feminismus immer noch ein Mythos ist. Weil der eigentliche Wandel uns noch bevorsteht: der Wandel in den Köpfen der Menschen.

Ich bin Türkin. Meine Familie würde ich als liberal mit konservativen Wurzeln bezeichnen. Meine jüngeren Tanten sind emanzipiert, mein Onkel beschreibt mich als die Zukunft der Autonomen. Und trotzdem habe ich erkannt, dass auch in meiner Welt so einiges nicht stimmt.

Mit 13 Jahren hörte ich das erste Mal von Chimamanda Ngozi Adichie, einer nigerianischen Autorin. Sie sprach in einem der berühmten TEDx Talks über Feminismus. Sie bescherte mir einen neuen Blickwinkel auf unsere Gesellschaft. Die Folgen des Perspektivwechsels merkte ich eines Abends. Meine Tante und mein Onkel kamen mit meinen Cousins zu Besuch. Ein ganz normaler Abend mit türkischem Gebäck und Fußballgerede, als mich meine Mutter plötzlich aufforderte, den Männern Tee zu servieren. Ich weigerte mich. Ich war ein Kind und ich war faul, also fragte ich, warum nicht mein Cousin den Tee servieren könne. In dem Moment hatte ich einfach keine Lust, Tee zu servieren. Die Antwort auf meine Frage könnt ihr euch denken.

Ich sage nicht, dass alle Familien so funktionieren. Es muss nicht deine Realität sein, aber es ist meine. In den nächsten Jahren häuften sich solche angespannten Wortwechsel zwischen meiner Familie und mir. Mal sollte ich unbedingt heiraten, mal sollte ich mich wie eine ordentliche Tochter kleiden und einmal hieß es, ich sollte nicht alleine auf der Straße unterwegs sein, weil man mich belästigen könnte. Genau. Ich als Mädchen trage die Schuld, weil ja auf meiner Stirn »Komm, du perverses Schwein, fass mich an!« steht. Weil ich ein Mädchen bin, muss ich mich in meinem Leben einschränken. Weil ich ein Mädchen bin.

Vor kurzem habe ich einen Artikel über einen Jungen in meinem Alter gelesen, der sich nicht aus dem Haus traut, weil er gerne Make-Up trägt. Stellt euch vor, wie schrecklich es ist, nicht man selbst sein zu dürfen. Verurteilt zu werden. Nicht akzeptiert zu werden. Und hier greift der Feminismus ein. Was ein Mann darf, darf auch eine Frau. Was eine Frau darf, darf auch ein Mann. So einfach ist das. Und doch braucht manch einer einen Anstoß, um diese Ungleichheit zu erkennen und noch wichtiger, um sie zu ändern.

Ich sehe es als meine Pflicht als Mensch, das Leben auf diesem Planeten für alle besser zu machen. Der Sexismus ist eines von vielen Phänomenen, die unsere Gesellschaft negativ beeinflussen. Es liegt in unserer Hand.