Schwerpunkt "Hochschulen gestalten Zukunft"
Forschung auf Kosten der Lehre
Mit der Personalkategorie »WiMi Lehre« kann die Senatsverwaltung kostengünstig mehr Hochschullehre erwirken und damit mehr Studierenden einen Abschluss ermöglichen. Dies geht auf Kosten der Lehrenden wie der Studierenden.
Es wird viel über den Berliner Lehrkräftemangel und die Arbeitsverhältnisse an den Schulen diskutiert. Die Arbeitsbedingungen in der Lehrer*innenbildung werden dabei oftmals nur am Rande gestreift. Hier liegt aber bereits eine Wurzel für die Berliner Bildungsmisere. Ein Großteil der universitären Lehramtsbildung wird von Dozierenden auf sogenannten Hochdeputatsstellen gestemmt. Das sind zum einen Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbA), die mit einem Deputat von 16 Semesterwochenstunden acht Seminare in der Woche anbieten müssen. In ihren Arbeitsverträgen ist keinerlei bezahlte Forschungstätigkeit vorgesehen. Zum anderen gibt es sogenannte wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mit Aufgabenschwerpunkt Lehre (WiMi Lehre). Sie haben ein Deputat von 14 Semesterwochenstunden, was sieben Seminaren pro Woche entspricht und sollen zusätzlich in geringem Anteil forschen.
Eine berufliche Sackgasse
Die Personalkategorie WiMi Lehre (ebenso wie die Stellenkategorie LfbA) ist eine äußerst kostengünstige Möglichkeit für das Land Berlin, universitäre Lehre zu sichern. In diesen Beschäftigungsverhältnissen leisten die Angestellten circa dreimal so viel Lehre wie reguläre Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen in deren Vertrag ein Qualifizierungsziel beziehungsweise größere Forschungsanteile vorgesehen sind. Dazu kommt, dass nur promovierte Wissenschaftler*innen mit Lehrerfahrung die WiMi-Lehre-Stellen besetzen dürfen. Es ist also auch ein sehr qualifiziertes Lehrpersonal, das hier günstig eingekauft wird.
Die Senatsverwaltung führte die Stellenkategorie WiMi Lehre (§110a) im Jahr 2011 mit einer Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes ein. Bis heute gibt es keine entsprechende Festlegung des Deputats in der Lehrverpflichtungsverordnung. So war es zunächst Universitäten überlassen, das Lehrdeputat festzulegen – mit der Folge, dass die Humboldt- wie die Freie Universität die Lehrverpflichtung auf 18 Semesterwochenstunden festlegten. Im Sommer 2022 gab die Senatsverwaltung auf politischen Druck hin Order an die Universitäten, die Deputate auf 14 Semesterwochenstunden zu reduzieren. Dies wurde zumindest an der Freien Universität an keiner Stelle ausreichend an die betroffenen Mitarbeiter*innen kommuniziert und nur äußerst schleppend und auf Druck des Personalrats hin umgesetzt. Das Deputat von 14 Semesterwochenstunden soll nun in einer Novellierung der Lehrverpflichtungsverordnung festgeschrieben werden.
Dozierende aus der Lehramtsbildung haben wiederholt öffentlich darauf aufmerksam gemacht, dass die hohe Lehrbelastung auf Kosten der Studierenden wie der Lehrenden geht. Die für den universitären Lehrbetrieb übliche Verbindung von Forschung und Lehre ist durch den geringen Forschungsanteil der Stellen de facto kaum möglich. Unbezahlte Überstunden sind der Normalfall. Die eigene Forschung und akademische Qualifikation könne, wenn überhaupt, nur in der Freizeit vorangetrieben werden. Hochdeputate sind berufliche Sackgassen, da für universitäre Karrieren die erfolgreiche Forschung und nicht die Lehre ausschlaggebend ist. Positiv ist an den Hochdeputatsstellen immerhin: Sie sind entfristet. Die akademische Qualifizierung ist also nicht existenziell notwendig, um an der Universität angestellt bleiben zu können, wie es bei regulären Mittelbaustellen der Fall ist.
Masse statt Klasse in der Lehramtsbildung
Spezifisch für die Berliner Lehramtsbildung ist ein hoher Praxisanteil: Die Masterstudierenden verbringen ein ganzes Semester im Praktikum an der Schule und werden dabei von ihren Dozierenden betreut. Praktikumsbetreuung ist eine individuelle Begleitung: Dozierende hospitieren am Unterricht und reflektieren ihn gemeinsam mit den Studierenden. Dies geht einher mit beträchtlichem Organisationsaufwand und mit einer Betreuung, die häufig über rein fachliche Aspekte hinausgeht, befinden sich die Studierenden doch in enorm fordernden Situationen. So steigert auch die Praktikumsbetreuung die ohnehin schon hohe Lehrbelastung der Dozierenden. Dazu kommt die Betreuung und Begutachtung von Masterarbeiten, für die der wissenschaftliche Mittelbau nicht kompensiert wird.
Hochwertige Lehre braucht Zeit
Die gesamte universitäre Lehramtsbildung steht unter dem Druck, möglichst schnell möglichst viele Absolvent*innen ins Referendariat zu entlassen, um den Mangel an qualifiziertem Lehrpersonal auszugleichen. Politisch geht es dabei weniger um die Qualität der Lehramtsbildung als um ein schnelles Produzieren von Lehrer*innen. Das zeigt die Einführung des oben erwähnten Praxissemesters im Jahr 2015. Mit diesem Praktikum wurde ein relevanter Teil der Praxisphase der Lehramtsbildung ins Studium verlegt, während das Land Berlin zugleich das Referendariat von zwei Jahren auf anderthalb kürzte.
Die Politik einer immer früheren Praxis im Studium ist aus Sicht der universitären Lehre kritisch zu sehen. Praxis ist kein Wert an sich, sondern im Kontext des Lehramtsstudiums nur sinnvoll, wenn sie ausreichend reflektiert wird. Aus fachdidaktischer Perspektive macht es wenig Sinn, dass Studierende einfach drauflos unterrichten. Sie sollten sich zunächst Gedanken über das Warum ihres Faches machen, darüber, wie Lernprozesse funktionieren und, was die pädagogischen und fachdidaktischen Ziele des Unterrichts sind. Doch eine gute Lehre, die Raum schafft für solche Diskussionen und Praxisphasen sinnvoll begleitet, braucht Zeit. Zeit für die Vor- und Nachbereitung von Seminaren und Zeit für die individuelle Betreuung der Studierenden.
Sinnvoll wäre daher, für den Lehramtsstudiengang reguläre Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen zu schaffen. Diese sollten ohne den Druck eines hohen Lehrdeputats und angebunden an die eigene Forschung Studierende bei den notwendigen Reflexionsprozessen auf dem Weg ins Lehramt begleiten und betreuen können. Es wäre zu wünschen, dass der Berliner Senatsverwaltung die Zukunft und Qualität des schulischen Bildungssystems das wert sei.