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bbz 09 / 2018

Für eine weltoffene, weltanschaulich und religiös neutrale Erziehung

Das Berliner Neutralitätsgesetz schützt den Schulfrieden und Schulkinder vor Diskriminierung. Es muss erhalten bleiben.

Was treibt Menschen zur Flucht? Nicht zuletzt zählen auch die Verfolgungen und Verletzungen aus religiöser Motivation zu den Gründen für die massenhafte Vertreibung und das Leid der Flüchtenden. Angesichts dieser Tatsache ist es von Bedeutung, dass ein Berliner Arbeitsgericht am 24. Mai den Pädagog*innen das demonstrative Tragen religiöser Symbole im Schulunterricht staatlicher Schulen versagt hat. Damit erklärt das Gericht, dass das Berliner Neutralitätsgesetz keinen Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz darstellt. Die vorsitzende Richterin wies darauf hin, dass die urteilende Kammer das Neutralitätsgesetz für eindeutig bereits im Wortlaut und für erforderlich angesichts der religiösen und weltanschaulichen Vielfalt in Berlin hält. Die Notwendigkeit des Gesetzes ergäbe sich umso mehr, als bereits jetzt religiöse Konflikte an Berliner Schulen gang und gäbe seien. Andere Richter*innen hatten das zuletzt anders beurteilt.

Immer wieder kann man seiner Morgenzeitung entnehmen, dass der Schulfrieden durch solche Konflikte gestört und die tägliche Arbeit der Lehrer*innen zusätzlich belastet wird. Als gravierend empfand ich, dass ein Schüler die Schule wechseln musste, weil er es nicht mehr aushielt, als »Jude« beschimpft zu werden. Ja, auf dem Schulhof, auf dem Schulweg, auch in den Klassen hat Mobbing mit religiösem oder ethnischem Hintergrund zugenommen, lässt Pädagog*innen und Eltern mitunter verzweifeln und ist Thema in Schulkonferenzen geworden: Der Schulfrieden wurde gestört.

Als eine Lehrerin demonstrativ ein Kreuz trug, forderte die Schulleitung sie auf es abzunehmen und begründete dies, gestützt von der Senatsverwaltung, mit der Störung des Schulfriedens. Das Ansinnen eines Bhagwan-Jüngers, der in seiner spezifischen Gewandung vor der Klasse stehen wollte, lehnte sie auf ähnlicher Grundlage vor Jahren ab und die gleiche Begründung müsste sich ein Anhänger der Scientology-Sekte anhören, wenn er seine Symbole im Unterricht tragen würde. Die Pädagog*innen haben eine Vorbildfunktion. Dieser widerspricht das demonstrative Zeigen von Schmuck- oder Kleidungsstücken, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion ausdrücken. Das gilt für das Kreuz wie auch für die Kippa oder das Kopftuch. Das Tragen eines Kopftuches, das weltweit gerade nicht für die »Gleichstellung der Geschlechter" steht, widerspricht dem Vorbildcharakter im Sinne des Schulgesetzes.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es Frauen gibt, die das Kopftuch selbstbestimmt oder aus modischen Gründen tragen und es hat auch nichts mit einem Berufsverbot zu tun. Im Gegenteil muss man sich fragen, ob angesichts des legitimen Anspruchs auf Neutralität mit dem demonstrativen Zeigen des eigenen religiösen Symbols der erforderliche Respekt gegenüber den Andersgläubigen fehlt. Das lässt einen Zweifel an der Eignung für ein öffentliches Amt aufkommen.

Die Integration bleibt auf der Strecke

Kürzlich besuchte ich eine Schule: Ein Mädchen weint, die anderen wollen in der Pause seit gestern nicht mit ihr spielen. Ich frage nach dem Grund, bekomme aber zunächst keine Antwort, verlegenes Lachen in der Runde. Schließlich blinzelt ein Drittklässler und sagt: »Sie ist keine gute Muslima.« Ich bin bestürzt, frage überrascht: »Was, gibt es das wirklich?« Die Kinder laufen weg.

Meine Fragen beantwortet die Erzieherin mit dem Hinweis, dass es seit einem Jahr fast in jeder Woche einen Anlass für Streitereien gäbe, Konflikte zu schlichten seien, und meist ginge es um das Kopftuch. Die Eltern seien schlimmer als die Kinder und besonders die Großeltern polarisierten, bestätigt die Schulleiterin auf meine Nachfrage. Es gehe etwa um Essen, das nicht halal sei, vom Schinkenbrötchen bis zum Gummibärchen, in dem angeblich Schwein verarbeitet wurde. Im Hintergrund nähmen der Imam, die Koranschulen und manchmal die älteren Brüder Einfluss. Die Integration bleibe auf der Strecke, das friedvolle Zusammenleben ebenfalls.

Ebenso ergeht es dem Schulgesetz und dem Berliner Neutralitätsgesetz, für dessen Erhalt ich mich mit vielen Gleichgesinnten in der Initiative »Pro Neutralitätsgesetz« einsetze. Unter den Unterstützer*innen sind Lehrer*innen, Sozialpädagog*innen, Erzieher*innen und Schulleiter*innen, Gewerkschafter*innen und Wissenschaftler*innen, Muslim*innen und Christ*innen, alte und junge Mitbürger*innen. Es ist ein breiter Querschnitt durch die Bevölkerung, der für den Erhalt einer weltanschaulich und religiös neutralen Schule eintritt. Wir haben in den Berliner Schulen Kinder von Eltern aus 190 Nationen, aus Elternhäusern mit sehr verschiedenen religiösen Bekenntnissen, rund 60 Prozent ohne eine religiöse Zugehörigkeit. Alle haben einen Anspruch, von ihren Lehrkräften gemäß §1 des Schulgesetzes unterrichtet zu werden, gefördert auf der Basis weltanschaulicher und religiöser Neutralität, gestützt auf die Werte der Aufklärung, wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Toleranz und die Abkehr von jeder Art von Indoktrination.

Aus Überzeugung ja zur Neutralität

Das ist auch ein Ja zum §1 des Schulgesetzes, in dem es heißt: »Ziel muss die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde, der Gleichstellung der Geschlechter und im Einklang mit Natur und Umwelt zu gestalten.«

Ich denke wieder an das weinende Mädchen. Ich denke aber auch an Ältere, die sich emanzipieren wollen, in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft anzukommen. Ich denke an Frauen und Mädchen, die ihre Wurzeln nicht verleugnen und nicht in der Familie um die Frage kämpfen wollen, ob eine Muslimin ohne Kopftuch eine schlechte Muslimin sei. Ich denke an friedvolles Zusammenleben und an eine Gesellschaft, die Kinder vor Diskriminierung schützt. Auch deshalb ist es wünschenswert, Lehrkräfte mit Migrationshintergrund einzustellen, denn integrierte, emanzipierte muslimische Lehrerinnen sind für Schüler*innen ein sichtbares Zeichen, dass in Berliner Schulen Pädagog*innen unabhängig von ihrer Kultur und Religionszugehörigkeit arbeiten können. Seit langem sind sie in unseren Schulen tätig und hilfreich bei all den Bemühungen um Integration und um eine weltoffene Schule.

Im aktuell erschienenen Leitfaden der »Antidiskriminierungsstelle des Bundes« lese ich mit Genugtuung: »Der Schutz vor Diskriminierung ist dabei ein zentrales Thema, denn Schulen sind Orte, an denen Kinder lernen können, wie wichtig ein gleichberechtigter und fairer Umgang miteinander ist. Schule kann aber zugleich auch der Ort sein, an dem Kinder zum ersten Mal Diskriminierung erfahren, sei es durch Gleichaltrige, durch Lehrkräfte oder auch durch diskriminierende Strukturen.«