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Gewerkschaft

Gemeinsam Verantwortung übernehmen

Jobsharing in schulischen Funktionsstellen wird in anderen Bundesländern bereits praktiziert. In Berlin ist es auch an der Zeit, dieses emanzipatorische und familienfreundliche Modell anzuwenden.

Fotostudio Charlottenburg

Jobsharing ist ein Arbeitszeitmodell und bedeutet, dass sich zwei Arbeitnehmer*innen eine Stelle teilen. Seit Jahrzehnten gibt es dieses Modell in großen europäischen Unternehmen, zeitgemäß ist es längst. In anderen Bundesländern ist Jobsharing in Schulen für Leitungspositionen bereits möglich, in Berlin noch nicht. Obwohl im Berliner Landesgleichstellungsgesetz verankert ist, dass eine Teilzeitbeschäftigung bei der Besetzung keine Rolle spielen darf, fällt auf, dass Lehrkräfte mit Leitungsaufgaben nur zu einem sehr geringen Anteil von 12 Prozent in Teilzeit arbeiten, hingegen fast 34 Prozent der Lehrkräfte ohne Leitungsaufgaben. Auch heute noch sind es vor allem Frauen, die ihre Arbeitszeit aufgrund von Care-Arbeit reduzieren. Hier zeigt sich ein Gleichstellungsproblem, denn viele Lehrerinnen, die in den letzten Jahren eingestellt wurden, kommen in den Leitungspositionen nicht an. Sie wollen jedoch Schule mitgestalten und Verantwortung übernehmen und gleichzeitig Zeit für Privatleben und Selbstfürsorge haben. Bei uns Frauenvertreterinnen wird Jobsharing nachgefragt. Wir haben mit Sabine Jennerjahn und Tanja Rublack ein Interview geführt. Die beiden haben sich gemeinsam auf eine Schulleitungsstelle beworben, in dem Wissen, dass dies formal in Berlin derzeit nicht vorgesehen ist.

Gabriel und Peiser: Warum habt ihr euch im Dezember 2021 als Tandem auf eine Funktionsstelle als Schulleiter*in an eurer Schule beworben?
Jennerjahn/Rublack: Wir wussten, dass an unserer Schule die Leitung im August wechseln wird. Wir haben einfach Lust auf die Aufgabe und alle damit verbundenen Herausforderungen. Dann wurde die Stelle an unserer Schule ausgeschrieben. Wir hatten im Vorhinein diverse Gespräche mit der Schulleitung, der Schulaufsicht und der regionalen Frauenvertreterin und eine Bewerbung schon nicht mehr ins Auge gefasst. Uns wurde gesagt, dass es keine Möglichkeit gibt, sich diese Stelle zu teilen. Dann kam ein Anruf von der Gesamtfrauenvertreterin Elke Gabriel und es gab wieder Hoffnung, dass unser Vorhaben nicht direkt abgelehnt wird. Außerdem soll unsere Bewerbung auch ein Signal sein für Menschen, die sich vorstellen können in Leitungspositionen zu arbeiten, das aber allein nicht machen möchten, zum Beispiel weil die Kinder noch klein sind. Das andere Signal geht an die Senatsbildungsverwaltung. Es gibt Frauen mit Kindern im Kita-Alter, die Interesse an Leitung haben, dies aber aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen nur in einem bestimmten Rahmen leisten können und wollen.

Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?
Jennerjahn/Rublack: Wir haben im ersten Lockdown gemeinsam am Medienkonzept unserer Schule gearbeitet. Das hat sehr gut funktioniert. Privat verstehen wir uns auch gut und so kam es dann zu dieser Idee. Einmal ausgesprochen, fanden wir gleich Zuspruch im Kollegium. Für uns allein käme eine Leitungsstelle nur in Teilzeit infrage. Das ist in Berlin möglich. Das würde dann allerdings bedeuten, dass wir nur noch sehr wenig oder gar nicht mehr unterrichten. Da verliert man eventuell etwas die Bodenhaftung. Das war also für uns keine Option.

Wer hat sich positiv und wer kritisch zu eurer gemeinsamen Bewerbung geäußert?
Jennerjahn/Rublack: Besonders positiv haben sich Kolleginnen geäußert, aber auch Kollegen. Da gibt es eine Menge Erwartungen. Von der Schulleitung oder der Schulaufsicht kamen freundliche, aber auch kritische Nachfragen. Das soll nicht heißen, dass sie unserem Vorhaben nicht offen und unterstützend gegenüberstehen, sondern vielmehr, dass sie stellenwirtschaftliche und organisatorische Probleme sehen, für die es derzeit in Berlin keine Lösung zu geben scheint.

Arbeitet ihr in Teilzeit? Und falls ja warum?
Jennerjahn/Rublack: Wir arbeiten beide in Teilzeit. Der Grund ist bei uns beiden derselbe: So können wir sowohl unserem Beruf, unseren Familien und uns selbst einigermaßen gerecht werden.

Welches Grundverständnis von Leitung habt ihr?
Jennerjahn/Rublack: An erster Stelle steht der Teamgedanke. Wir verstehen uns als Teil des Teams Schule, welches sich durch flache Hierarchien, demokratische Entscheidungsfindung und Teilhabe aller innerhalb der Schulgemeinschaft auszeichnet. Dazu bedarf es Strukturen, sehr vieler Kommunikation, eines respektvollen Umgangs sowie einer wertschätzenden Grundhaltung.

Glaubt ihr, dass Leitung als Tandem Auswirkungen auf die Schulentwicklung und auch auf die Beziehungen zu den an Schule Beschäftigten, den Schüler*innen und Eltern haben wird?
Jennerjahn/Rublack: Das hoffen wir. Grundsätzlich können alle doch nur davon profitieren, dass es zwei gleichberechtigte Schulleiterinnen gibt. Noch besser ist es, wenn beide zu einem großen Teil unterrichten oder Klassenleiterinnen sind. Wir haben unterschiedliche schulische Schwerpunkte und sind dadurch mit verschiedenen Kolleg*innen, Schüler*innen und Eltern bekannt. Dadurch ergibt sich eine bessere Ansprechbarkeit. Gleichzeitig haben wir jeweils einen anderen Blick auf bestimmte Situationen, was bei Problemlösungen durchaus fruchtbar sein kann.

Wie stellt ihr euch praktisch die Aufgabenverteilung als Schulleiter*in im Tandem vor, zum Beispiel Leitung der Gesamtkonferenz, Eltern- und Mitarbeiter*innengespräche führen, Teilnahme an Schulleitungssitzungen?
Jennerjahn/Rublack: Zuerst müssten wir uns überlegen, wem was liegt und wo die persönlichen Interessen liegen. So können wir uns die Arbeit dann einteilen. Halten wir es für sinnvoll, gemeinsam ein Elterngespräch zu führen, dann machen wir das. An der Schulleitungssitzung kann auch nur eine von uns teilnehmen und wir tauschen uns anschließend darüber aus.

Schule als Tandem leiten, meint herkömmlicherweise das Tandem aus Konrektor*in und Schulleiter*in. Inwiefern unterscheidet sich eure Vision des Tandems davon?

Jennerjahn/Rublack: In unserer Vision gibt es mehr Schultern, die die Verantwortung tragen, und alle damit verbundenen Vorteile. Natürlich ist der*die Konrektor*in auch ein Teil des Teams. Wenn man Entscheidungen treffen oder Vorhaben umsetzen muss, ist es immer von Vorteil, sich auszutauschen. Wir stellen uns das zu dritt fruchtbarer vor. Manchmal kann es um Schulleitungen sehr einsam werden. Das wollen wir für uns nicht. Wir glauben, dass unser Modell dazu beitragen kann.

Welche Unterstützung wünscht ihr euch von der Senatsbildungsverwaltung und der neuen Senatorin?
Jennerjahn/Rublack: Wir wünschen uns, dass unsere Bewerbung berücksichtigt werden kann, indem die Senatsbildungsverwaltung die entsprechenden Strukturen schafft. Es gibt hier eine strukturelle Benachteiligung von Frauen mit jüngeren Kindern. Da werden eine Menge Potenziale verschenkt.

BADEN-WÜRTTEMBERG
In Baden-Württemberg werden alle Funktionsstellen mit Leitungsaufgaben (Rektor*innen, Konrektor*innen, Abteilungsleiter*innen) auch als Jobsharingstellen (gemeinsam 100 Prozent) im Tandem ausgeschrieben. Die gemeinsame Funktionsstelle muss mindestens drei Jahre ausgeübt werden. Frauen sollen durch diese Maßnahme gestärkt werden, bereits früh eine Funktionsstelle zu übernehmen.

NORDRHEIN-WESTFALEN
Ab dem Schuljahr 2018/19 wurde in NRW der Schulversuch TopSharing mit einem gemeinsamen Stellenanteil von bis zu 120 Prozent gestartet. Leitungsstellen stehen für alle offen, auch für Teilzeitlehrkräfte. Vorteile für das Schulleitungsamt werden vor allem in der doppelten Kompetenz, der Bereicherung durch Spezialisierungen und unterschiedliche Fächer sowie in der ständigen Präsenz einer Schulleitung gesehen. 2022/23 endet der Schulversuch und wird durch die Qualitäts- und Unterstützungs-Agentur Landesinstitut Schule (QUA-LiS NRW) evaluiert.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46