Schule
Gender Studies in der Schule
Die Verordnung über die gymnasiale Oberstufe erlaubt sogenannte Zusatzkurse. Unser Autor schildert seine Erfahrungen mit einem Kurs zum Thema »Geschlecht«.
Gender Studies in der Schule? Was hat es damit auf sich? Erziehung zur Zwangsqueerness? Pseudo-Safespace einer eigentlich doch eher queerfeindlichen Institution? Nichts von alledem: In der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe Berlin sind in den Paragrafen 20 und 26 die sogenannten Zusatzkurse geregelt. Es handelt sich um Grundkurse von zwei oder drei Wochenstunden. Der Bekannteste davon ist vermutlich »Studium und Beruf«, aber auch »Gender Studies« kann ein solcher Zusatzkurs sein.
Zusatzkurse decken weder die Belegverpflichtung noch die Einbringverpflichtung der Abiturphase ab, aber sie können in die Gesamtqualifikation eingebracht werden. Außerdem kann ein zweisemestriger Zusatzkurs als Zweitfach bei der 5. Prüfungskomponente gewählt werden.
Da es für Gender Studies keinen Rahmenlehrplan gibt, muss vor Kursbeginn bei der Schulaufsicht ein Curriculum eingereicht und genehmigt werden. Darin wird festgelegt, welche Leistungsnachweise, inhaltlichen Schwerpunkte und Rahmenlehrplanbezüge geplant sind. Im Rahmenlehrplan Teil B gibt es die fachübergreifenden Themen »Bildung zur Akzeptanz von Vielfalt (Diversity)«, »Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter« und »Bildung für sexuelle Selbstbestimmung«. Damit lässt sich »Gender Studies« gut begründen.
Rahmenlehrplan liefert verschiedene Anknüpfungspunkte
Ich habe mich für Leistungsnachweise in Form von zwei Klausuren sowie für die inhaltlichen Schwerpunkte »Gendern als Rechtschreibfehler« und »Gender Pay Gap« entschieden. Hierbei hätte es zu inhaltlichen Überschneidungen mit den Themen im ersten Quartal der Abiturphase (Q1) im Fach Englisch (»the changing roles of men and women«) oder Deutsch (»Entwicklungstendenzen der deutschen Sprache«) kommen können, daher habe ich mich mit den jeweiligen Fachbereichsleitungen abgesprochen.
Wichtig ist, dass ein Gender Studies Kurs nicht die anderen Fächer davon befreit, die oben genannten fachübergreifenden Themen zu behandeln.
Da der Kurs neu an unserer Schule war, haben wir Werbung innerhalb der Einführungsphase dafür gemacht. Wobei es zunächst darum ging, prinzipiell über die sonst wenig bekannten Zusatzkurse aufzuklären, die leider – auch von der Senatsverwaltung – etwas verwirrend manchmal »Ergänzungskurse« genannt werden.
Da alle Zusatzkurse an unserer Schule besonders auf die 5. Prüfungskomponente vorbereiten, indem Recherche- und Präsentationskompetenzen gezielt gefördert werden, dachten die Schüler*innen fälschlicherweise, dass die Belegung des Zusatzkurses dazu verpflichten würde, den Kurs für die 5. Prüfungskomponente als Zweitfach zu belegen. Eine solche Verpflichtung besteht aber nicht.
Universitäre Gender Studies haben den berechtigen Ruf, sprachlich schwer verständlich zu sein. Die typischen Quellentexte von Judith Butler & Co habe ich aufgrund der sprachlichen Komplexität allesamt vermieden. Einige wichtige Grundlagentexte erfordern zudem Hintergrundwissen über andere Themen, beispielsweise Psychoanalyse. Für einen schulischen Grundkurs hielt ich diese Komplexität nicht für notwendig. Man kann die soziale Konstruktion von Geschlecht auch Grundschüler*innen vermitteln, hierfür ist keine Textexegese von Lacan oder Foucault notwendig.
Es gibt bereits ein breites Feld an Materialien zu verschiedenen einschlägigen Themen, unter anderem zu den von mir gewählten Klausurthemen Gendern und Gender Pay Gap sowie auch zum neuen Selbstbestimmungsgesetz, Schwangerschaftsabbrüchen, Auswirkungen von geschlechtlicher Vielfalt auf (Schul-)Sport oder zu feministischer Filmanalyse. Die Bundeszentrale für politische Bildung ist hier besonders als Fundort zu nennen.
Als Lehrer für Englisch und Politik habe ich meine eigenen Präferenzen. Ein Gender Studies Kurs von einer Lehrkraft für Biologie oder Chemie hätte vielleicht vertiefend auf Hormone oder chromosomale geschlechtliche Vielfalt eingehen können.
»Gender Studies« umfasst Geschlecht in allen seinen Facetten. Es sind keine »trans und nichtbinäre Studien«, auch wenn das Wort »Gender« von der AfD so verwendet wird. Es gilt das Leitprinzip des Beutelbacher Konsenses: Was kontrovers in der Gesellschaft ist, wird auch im Unterricht kontrovers behandelt. Auf diese Weise lassen sich auch kontroverse Leitfragen formulieren, was für viele Schüler*innen in der 5. Prüfungskomponente eine Herausforderung ist.
Berlin bietet zahlreiche Exkursionsziele
Exkursionsziele gibt es innerhalb von Berlin reichlich. Da die Vorbereitung auf die 5. Prüfungskomponente ein Schwerpunkt war, besuchte ich mit dem Kurs das Archiv des Schwulen Museums und machte einen Workshop im Deutschen Historischen Museum. Die Kompetenzen und Interessen des jeweiligen Kurses sollten ausschlaggebend sein, so könnte auch ein Besuch im feministischen Archiv FFBIZ oder ein Stadtspaziergang zu Frauengeschichte passend sein.
Gender Studies hat im Allgemeinen den Ruf, schon an sich kontrovers zu sein. Die Einführung an meiner Neuköllner Schule war für die Schüler*innen und Eltern aber kein Aufregerthema. Der Kurs wurde breit beworben und auch durch die Schulleitung thematisiert, so dass er allgemein bekannt gewesen ist.
Ich habe für die Klausuren das Format der Sozialwissenschaften gewählt, so dass die Klausuraufsicht bei der Fachbereichsleitung Gesellschaftswissenschaften lag. Innerhalb des Kollegiums gab es hier ebenfalls keine Aufregung.
Allerdings wurde nach der ersten Klausur deutlich, dass einige Kursteilnehmer*innen falsche Erwartungen an den Kurs gehabt hatten. Ein Grundkurs in Gender Studies ähnelt viel mehr einem Grundkurs in Politik als einem Mittelstufenworkshop über Vielfalt. Er ist also »nicht leichter als Geschichte«, so eine Teilnehmerin.
Es mag eine logische Voraussetzung sein, dass niemand in einem Gender Studies Kurs mit dem falschen Namen angesprochen oder anders beleidigt wird. Das ist für unsere Schule als Mitglied des Netzwerks »Schule der Vielfalt« sowieso selbstverständlich. Jedoch ist ein Gender Studies Kurs auch keine Chill-Out-AG für queere oder queerfreundliche Schüler*innen. Abhängen darf man erst, nachdem die Textanalyse geschrieben ist. Zusammenfassend würde ich einen solchen Kurs empfehlen, solange er mit genügend Vorlauf angekündigt und eingeplant wird.