Tendenzen
Generationengerechte Bildung
Der Jugendrat der Generationenstiftung übt in einem 2019 erschienen Buch Fundamentalkritik am deutschen Bildungssystem. Die Argumente der jungen Autor*innen sind auch heute noch aktuell.
Als das Buch »Ihr habt keinen Plan, darum machen wir einen – 10 Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft« 2019 im Blessing Verlag herauskam, machte es sofort Furore: einer der ersten Plätze auf der Spiegel-Bestsellerliste, die Verkaufszahlen schossen in die Höhe, Vorstellung beim Bundespräsidenten. 2020, im ersten Jahr der Corona-Krise, war es um die acht Autor*innen aus dem Kreis des Jugendrates der Generationen Stiftung, dem Herausgeber, still geworden. Doch jetzt hat sich ihre »Generation« zurückgemeldet: jung, provokativ und fordernd.
So startete Rifka Lambrecht, eine der Aktiven der Stiftung, die Petition »Lobbyismus jetzt eindämmen! Wir fordern das Ende bezahlter Politik!« Weit über 70.000 Unterstützer*innen konnte sie bei »change.org« innerhalb kürzester Zeit für ihr Anliegen zusammentrommeln. Zuvor schon bezogen Jugendrat-Mitglieder Stellung in Medien wie Die Zeit oder Deutschlandfunk. Scharf kritisierten sie das Corona-Krisenmanagement der Bildungsministerien, das sie als kopfloses Stolpern von nur noch einem Tag zum anderen wahrnehmen: »Niemand weiß, wann die Schulen wieder aufmachen; niemand hat eine Idee, wie die Lernrückstände aufgeholt werden: Jeder sieht, wie sehr es bei der Digitalisierung hapert«. Und der Jugendrat-Akteur Moritz Piepel verlangt: »Wir dürfen nicht zulassen, dass wir unsere Schulen mit einer betriebswirtschaftlichen Logik noch weiter herunterwirtschaften.« Auf der Homepage der Stiftung sind seine »10 radikalen Forderungen an 2021« veröffentlicht.
Weltbild ändern
So spannt sich auch der Bogen zu dem Bestseller-Buch. Denn beleuchtet werden darin insgesamt zehn zentrale Felder, auf denen die Autor*innen jahrzehntelanges Politikversagen ausmachen und für die sie dringend Paradigmenwechsel einfordern. »Gute Bildung für alle garantieren« gehört dazu. Sie bildet die »Bedingung 6« ihres Planes zur Rettung der Zukunft.
In dem bestehenden System würden viel zu viele Kinder und Jugendliche abgehängt oder sogar gänzlich vergessen. Karrieren in der Schule und später im Beruf hingen noch immer unmittelbar vom Bildungsgrad der Elternhäuser ab. Das heutige Schulsystem diene, so ihr vernichtendes Fazit, »vor allem dem Zweck der Selektion.« »Schneckentempo« sieht das Team auch bei der Umsetzung der Inklusion und führt diese Zögerlichkeit vor allem auf die »Schere im Kopf« zurück. Dem entgegnen sie: »Wer Gemeinschaft und die Integration jeder*jedes Einzelnen im Mikrokosmos Schule für unmöglich hält, erklärt die Idee einer Gesellschaft, die für alle Platz bietet, für gescheitert.«
Überhaupt machen sie die Fehlentwicklungen im Schulsystem vor allem an den dominierenden Einstellungen gegenüber der Bildung fest. Inzwischen werde diese von den durch Lobbyist*innen und Beratungsbüros beeinflussten Entscheider*innen kaum noch anders als bloße »Kosten-Nutzen-Rechnung« betrachtet: »Das neue Ideal ist der Homo oeconomicus – ein Mensch, der dazu heranwächst, wirtschaftlich möglichst zweckmäßig zu handeln.« So sei Bildung inzwischen vollkommen von der neoliberalen Denklogik erfasst und den gleichen »Parametern unserer Wirtschaftsweise unterworfen wie die Arbeitswelt«. Diese Sichtweise verrät sich allein schon durch die technokratische Manager-Sprache, die den Schulbetrieb überzieht. Dazu gehören Begriffe wie »Evaluationsverfahren«, »Standardisierungen«, »Soft Skills«.
Auf der Strecke bleibt demgegenüber der eigentliche pädagogische Auftrag, der in der Förderung von Mitgefühl, Fantasie und Kritikfähigkeit liegt. Gestärkt sehen wollen die Autor*innen Werte wie Mündigkeit, Zusammenhalt, Vertrauen und Rücksichtnahme: »Kinder sollen lernen mutig zu sein und sich selbst zu entfalten.« Ihr Postulat lautet daher: »Wir müssen endlich wieder die Werte vermitteln, von denen die Zukunft unseres Zusammenlebens geprägt werden soll.« Nicht zuletzt auch deshalb sollte es zur Regel werden, dass Schulen nicht weiter chronisch unter-, sondern künftig »überfinanziert« werden.