blz 03 / 2015
Geschlechterstereotype waren gestern
Warum eine neue Entgeltordnung im Sozial- und Erziehungsdienst längst überfällig ist
Was ist das Gleichstellungspolitische an der Entgeltordnung Sozial- und Erziehungsdienst? Es geht um gutes Geld für gute Arbeit, und zwar für Frauen wie für Männer. Eine Entgeltordnung hat per se eine geschlechterpolitische Dimension, weil sie Berufsfelder beschreibt und die Einkommenshöhe festlegt.
Mitte Februar beginnen die Tarifverhandlungen für eine bessere Bezahlung im öffentlichen Dienst der Länder. Etwa zeitgleich werden die Tarifverhandlungen mit den kommunalen Arbeitgebern zur Entgeltordnung (EGO) im Sozial- und Erziehungsdienst (TVöD-VKA SuE) beginnen. Die EGO legt auf Grundlage der Aufgaben der Beschäftigten deren Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe (EG) fest. Dies entscheidet, welche Arbeit in Kita oder Sozialarbeit wie bezahlt wird. Die derzeitige Entgeltordnung beruht auf den Arbeitsbewertungen und -beschreibungen der 1970-er Jahre.
Den pädagogischen Entwicklungen hinkt sie seit Langem hinterher. Neue Arbeitsformen in der frühkindlichen Bildung oder Inklusion verändern berufliche Tätigkeiten und die Anforderungen an Qualifikationen. Diese Tätigkeiten müssen in der EGO SuE abgebildet und bezahlt werden. Die Erwartungen der größtenteils weiblichen Beschäftigten an eine Verbesserung der Eingruppierung sind entsprechend groß.
Auf eigenen Beinen stehen
Die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen hängt eng mit ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Erwerbsleben und mit der Bezahlung zusammen. Geschlechtergerechte Entgeltpraxis und faire (Arbeits-)Bedingungen oder »Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit« lauten die gewerkschaftlichen Forderungen. Die Höhe des individuell erzielten Einkommens entscheidet darüber, ob Frauen aus eigener Kraft ihre Existenz sichern können – unabhängig von der Haushaltskonstellation, in der sie leben. Existenzsicherung ist dabei mehr, als den unmittelbaren Bedarf zu decken. Zur langfristigen Existenzsicherung gehört auch, in einer Familienphase von vollzeitnaher Teilzeit leben zu können und über die Sozialversicherungssysteme Ansprüche zu erwerben, um auch in Phasen ohne eigene Erwerbstätigkeit wirtschaftlich unabhängig zu sein.
Die Erwerbskonstellationen von Frauen und Männern in Partnerschaften ändern sich, weg von der (in Westdeutschland) traditionellen Ernährer- und Zuverdienst-Ehe hin zur Etablierung eines Modells, bei dem grundsätzlich beide ihren eigenen Beitrag zur Existenzsicherung leisten. Das Einkommen von Frauen ist heute längst unverzichtbarer Bestandteil für Familien geworden. Frauen sind Familienernährerinnen (rund 23 Prozent), Mitverdienerinnen (rund 52 Prozent) und Gleichverdienerinnen (rund 25 Prozent).
Familienernährerinnen sind Frauen, die in Mehrpersonenhaushalten mindestens zwei Drittel des Haushaltseinkommens erwirtschaften und damit die finanzielle Verantwortung für sich und mindestens ein weiteres Haushaltsmitglied übernehmen – ob alleinerziehend oder mit PartnerIn, als Akademikerin oder auf der Grundlage einer Berufsausbildung (vergleiche www.familienernaehrerin.de).
Frauen übernehmen Verantwortung trotz geringer Gehälter in frauendominierten Berufen und Branchen, der häufigen und oft unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigung und der großen Entgeltlücken. Familienernährerinnen sind in frauentypischen Berufszweigen (Gesundheits-/Sozialwesen, Erziehung/Unterricht, Einzelhandel) beschäftigt. Viele Berufe und Branchen mit einem hohen Frauenanteil wurden für Zuverdienerinnen konzipiert. Die Tarifrunde EGO SuE muss also auch einen Beitrag dazu leisten, dass sich das Einkommen von weiblichen Hauptverdienerinnen dem von männlichen annähert.
Geschlechterstereotype waren gestern
Die Berufswahl ist die zentrale Weichenstellung, mit der junge Frauen auf dem Arbeitsmarkt ihre Position und damit ihre Möglichkeiten zur eigenständigen Existenzsicherung nachhaltig beeinflussen. Dabei geht es um Einkommen, Aufstiegs- und Anschlussqualifikationen und um Arbeitszeiten, die es ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren und auch eigenen Interessen nachgehen zu können. Branchenabhängig unterscheidet sich die Bezahlung gravierend, obwohl die Voraussetzungen, beispielsweise eine qualifizierte Berufsausbildung oder ein einschlägiges Studium, oft gleich sind. Doch Berufsfelder, in denen es um die Verantwortung für Menschen geht – wie in Erziehung, Gesundheit oder Bildung – werden weniger wertgeschätzt als Verantwortung für Technik oder Geld. Auch dieses Ungleichgewicht resultiert aus Geschlechterstereotypen von gestern.
In der neuen Entgeltordnung für den Sozial- und Erziehungsdienst geht es um die Anerkennung der Leistung, der Fachkenntnisse, der Berufserfahrung, des Könnens, die Frauen und auch Männer in diesem Berufsfeld einsetzen. Die gestiegenen Anforderungen an die Beschäftigten in Kitas, Schulen, Jugendämtern oder heilpädagogischen Einrichtungen spiegeln sich nicht in den Einkommen.
ErzieherInnen oder SozialarbeiterInnen leisten aber gesellschaftlich wichtige Arbeit mit hoher Kompetenz, hohem Einsatz und großer Verantwortung. Die GEW fordert deshalb eine deutliche Aufwertung des Berufsfeldes durch eine bessere Bezahlung und durch eine adäquate Eingruppierung.
Aktiv werden
Die Ursachen der Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern sind inzwischen vielfältig wissenschaftlich erforscht. Nur bleiben die Erkenntnisse noch zu oft ohne Wirkung. Wo Tarifverträge gelten und Betriebs- oder Personalräte mitbestimmen, schrumpft die Entgeltlücke. Die Herausforderungen der mittelbaren Entgeltdiskriminierung sind nach wie vor groß und liegen unter anderem in der unterschiedlichen Bewertung von Tätigkeiten. In der Tarifrunde zur EGO SuE geht es also auch um ein diskriminierungsfreies Regelwerk zur Beschreibung der Tätigkeiten.
Die GEW will in den Tarifverhandlungen erreichen, dass die Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst aufgewertet werden und die Bezahlung insgesamt angehoben wird. Gute Bildung und Erziehung gibt es, weil die Beschäftigten gute Arbeit leisten. Noch liegen die Gehälter von ErzieherInnen in Deutschland unter dem Durchschnittseinkommen. Arbeitgeber in Kommunen, bei Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern müssen diese qualifizierte und gesellschaftlich so wichtige Arbeit endlich angemessen bezahlen.
Wer Leitungsfunktionen übernimmt, muss auch dafür bezahlt werden und nicht wie bisher ausschließlich nach der Zahl der regelmäßig belegbaren Kita-Plätze. Leitungsaufgaben erfordern große Sachkompetenz und Verantwortung und sind mit Personalverantwortung verbunden. Bei der Bewertung der Leitungstätigkeit sollen daher neben der Anzahl der Kita-Plätze auch die Anzahl der MitarbeiterInnen berücksichtigt werden.
Wer von einer Jugendhilfeeinrichtung zu einer anderen wechseln will, wird zurzeit bestraft und nicht gefördert. Neue ArbeitgeberInnen erkennen die vorher erworbene Berufserfahrung bei der Eingruppierung nicht ausreichend an. Das kann zu deutlichen Gehaltseinbußen führen und muss dringend neu geregelt werden.
Das sozialpädagogische Berufsfeld hat sich in den vergangenen Jahrzehnten weiter entwickelt, eine Überarbeitung der Tätigkeitsmerkmale ist überfällig. Neue Berufe, neue berufliche Qualifikationen, wie der Bachelor in Kindheitspädagogik, neue Berufsbilder und Arbeitsbereiche von der Fachberatung bis zur Schulsozialarbeit sind in der Entgeltordnung abzubilden und sie sind angemessen zu bezahlen.
Aktiv werden lohnt sich also und es ist erforderlich, damit die GEW ihren Forderungskatalog durchsetzen kann. Wir brauchen die volle Unterstützung aller Mitglieder und aller Beschäftigten.
Dieser Artikel ist Teil des blz-Themenschwerpunkts „Gute Arbeit - von Frauen - für Frauen“