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Hochschule

Geschrei statt Dialog: Wie Deradikalisierung nicht funktioniert

In den Protesten zum Israel/Palästina-Konflikt treffen oft radikale Positionen aufeinander. Am Beispiel der UdK zeigt sich, dass es dabei in erster Linie um Zuspitzung und weniger um Ausgewogenheit geht.

Foto: IMAGO

Es gibt in Deutschland kaum ein Thema, das mehr Polarisierung verursacht als der Israel/Palästina-Konflikt. Obwohl die Relevanz dieses Landstrichs in Vorderasien für das Leben der meisten Menschen hierzulande gering ist, verleitet er mehr als andere die Menschen zu emotionalen Reaktionen und zornigem Bekenntnisdrang.

Jede*r hat eine Meinung, deren Verve oft im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur ernsthaften Beschäftigung mit Ländern und Geschichte steht: Je weniger Menschen in Deutschland tatsächlich der Konflikt persönlich angeht, desto oberlehrerhafter ist oft auch der Ton. Diese Art zu Sprechen steht im Gegensatz zur Dringlichkeit, die der Konflikt für jüdische und palästinensische Menschen hat.

 

Israel und Palästina als Projektionsflächen

 

Diesen Israel/Palästina-Fimmel der deutschen Öffentlichkeit könnte man augenrollend tolerieren. Doch das Ganze ist Teil eines tieferen Problems: Die fortgesetzte Emotionalisierung und Ideologisierung von außen haben den 100-jährigen Konflikt stets massiv angeheizt. Beide Seiten haben Schaden davon erhalten, Projektionsfläche der halben Welt zu sein. Das »heilige Land« dreier Weltreligionen wirkt wie eine von Scheinwerfern angestrahlte Bühne, auf der alles maximale Aufmerksamkeit erhält. Die Tatsache, dass Israel der »Jude unter den Staaten« ist, tut ihr übriges.

Radikale palästinensische Kräfte profitieren davon, dass Antisemit*innen, die große Mehrheit der globalen Linken oder Islamist*innen sich der Unterstützung Palästinas verschrieben haben. Radikale israelische Kräfte dagegen profitieren von christlichen Fundamentalist*innen, US-amerikanischen Konservativen und anti-muslimischen Nationalist*innen (zum Beispiel in Indien oder Europa). Allen diesen Gruppen ist gemein, dass ihr Interesse an dem Konflikt ideologischen Projektionen entstammt. Sie haben kein Interesse an einer Lösung, sondern an der Zuspitzung. Extremistische Akteur*innen in Israel/Palästina finden daher immer genug Verbündete von außerhalb, um Zweifel an ihrem Tun zu zerstreuen.

 

Eine pragmatische Position ist notwendig

 

Das beste Mittel dagegen ist die betonte Ausgewogenheit. Das heißt nicht, auf menschenfeindliche Positionen mit Toleranz zu reagieren. Es bedeutet: klare Kante gegen Antisemitismus und Rassismus, aber kein Verfallen in radikale Gegen­Standpunkte. Der ausgelutschte Spruch von der »goldenen Mitte« ist beim Thema Israel/Palästina ausnahmsweise einmal goldrichtig: In diesem Konflikt haben beide Seiten berechtigte Anliegen, beide Seiten haben unfassbaren Schmerz erfahren. Es muss eine pragmatische Lösung gefunden werden, die beiden Seiten ein Leben in Würde ermöglicht.

Rückwärtsgewandte Fantasien von »Großisrael« oder »Ganz Palästina« sind Wahnsinn. Und selbstverständlich stehen sowohl israelische wie auch palästinensische Zivilist*innen unter dem Schutz des Völkerrechts: Sie sind weder pauschal »Siedler« noch »Terroristen«, wie die Vokabeln der Entmenschlichung lauten, mit denen ihnen die Menschlichkeit abgesprochen wird.

Wenn die Weltgemeinschaft eine pragmatische Position zum Israel/Palästina­Konflikt eingenommen hätte, wäre er vermutlich schon gelöst. Nur gut, dass Deutschland sowieso keine entscheidende Rolle spielt in Nahost – so bleibt die Hoffnung auf eine Lösung bewahrt.

Ein Lehrstück nämlich, wie typisch deutsche Debatten zu Israel/Palästina aussehen, lieferte in den letzten Monaten die Universität der Künste Berlin (UdK). Die Debatte fand statt nach dem Motto: Pose vor Pragmatik, und Affekt vor Ausgewogenheit.

 

Protest als Revolutions-Pose

 

Am 13. November 2023 hatten um die 100 Aktivist*innen in der Eingangshalle der UdK ein Sit-In veranstaltet. Dieser sollte gegen die Solidarisierung des Direktorats der Hochschule mit Israel nach dem 7. Oktober und gegen das »Schweigen« der Hochschule über die Gewalt der israelischen Gegenoffensive in Gaza mobilisieren. Die Universität solle tätig werden und auf die Bundesregierung einwirken, damit diese einen Waffenstillstand fordere.

Die Aktion wurde von einigen marxistisch-leninistischen Splittergruppen veranstaltet, zu den Organisator*innen zählte der israelische Antizionist Udi Raz. UdK-Präsident Palz, der den Dialog suchte, wurde wiederholt niedergebrüllt. Das Motto der Veranstaltung war: »It’s Not Complicated«, als sei der Israel/Palästina-­Konflikt über eine einfache Schablone wie den »Siedlerkolonialismus« quasi per Generalschlüssel zu lösen.

Das auffallendste Merkmal der Aktion aber waren die rot bemalten Hände, die die Aktivist*innen in die Höhe hielten. Auf Nachfrage stellten sie diese Symbolik in die Tradition der Proteste gegen den Vietnamkrieg, den Irakkrieg, sowie die Jin-Jiyan-Azadi-Bewegung. Die hysterische Performance mitsamt der überspitzten und irrealen »Forderungen« an die Leitung der UdK steht sprichwörtlich für einen Palästina-Aktivismus, für den das Leid der Menschen in Palästina kaum mehr ist als ein Aufhänger für eine heroische Revolutions-Pose.

Wer die Hamas als »Widerstandsbewegung« ansieht, kümmert sich nicht um die Zivilist*innen in Gaza. In diesen Kontext passt es auch, dass ein Subtext der roten Hände den Protestierenden offenbar entgangen ist: aus jüdisch-israelischer Perspektive weckt das Motiv der »roten Hände« Erinnerungen an einen Mord an zwei israelischen Reservisten während der zweiten Intifada im Jahr 2000, bei dem ein jugendlicher Palästinenser seine blutverschmierten Hände aus einem Fenster heraus fotografieren ließ. Die Sensibilität für solche Fragen des Anstands fehlt chronisch im westlichen pro-palästinensischen Aktivismus.

 

Eine bizarre Symbolik

 

Die Hamas unterstützende Kunststudent*innen wären ein idealer Adressat für eine pädagogische Herangehensweise, die anstelle der radikalen Geste die Ausgewogenheit fördern möchte. Aber hier kommen wir zum zweiten Problem: Ausgewogenheit war weit und breit nicht zu sehen. Denn wie ein Lauffeuer verbreitete sich in den deutschen Medien, dass es sich bei den roten Händen möglicherweise um eine bewusste Anspielung auf die Intifada gehandelt habe. WELT, ZEIT, taz und die FAZ verbreiteten diese Darstellung.

Dass das Motiv der »roten Hände« keinerlei Vorläufer im palästinensischen Aktivismus hat (weder auf Englisch noch auf Arabisch), dafür aber sehr wohl in der klassischen Antikriegsbewegung, entging den Journalist*innen. Und dass die Symbolik selbst mit einem expliziten Transparent – »your silence equals blood on your hands« – von den Protestierenden kontextualisiert wurde, ebenfalls. Und dass vom Judenblut besudelte Hände eine bizarre Symbolik wäre für eine Gruppe, die für einen Waffenstillstand eintritt, fand gleichfalls keine Beachtung.

Noch grotesker ist allerdings, dass einige Monate später – im Februar 2023 – Lehrende der UdK selbst in einem offenen Brief (Link siehe unten) ihre Solidarität mit Israel bekräftigten. Und in diesem Brief fand sich erneut die Behauptung, die Demonstrant*innen hätten stolz ihre im symbolischen Blut geschlachteter Juden*Jüdinnen getränkten Hände in die Kamera gehalten.

 

Es braucht eine mildere Brille

 

Wie die Lehrenden es bei einem solchen Kommunikationsabbruch mit einer Subgruppe von Studierenden schaffen wollen, deradikalisierend einzuwirken, bleibt ein Rätsel. Die Lehrenden der UdK zogen offenbar ihren eigenen Affekt und Bekenntnisdrang dem pädagogischen Auftrag vor. Dieser wäre in Bezug auf problematische Gruppen wie Hamas-sympathisierende marxistische Splittergruppen aber eigentlich bitter nötig. Stattdessen hat die UdK damit den antizionistischen Studierenden das beste gegeben, was sie sich hätten wünschen können: eine »Lügenkampagne«.

Die Lehre aus den Vorgängen an der UdK Berlin ist daher: Im Umgang mit dem Israel/Palästina-Konflikt ist alles, was radikalisierend oder verschärfend wirkt, fast immer falsch. Wer pädagogisch die Menschen erreichen möchte, muss ein Angebot machen, den Konflikt aus einer milderen Brille zu sehen – und nicht einfach einer radikalen Position eine andere radikale gegenüberstellen.

 

Statement der Lehrenden und Mitarbeitenden gegen Antisemitismus an der UdK Berlin

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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