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Schwerpunkt "Risse in der Hochschulfassade"

Gesprächsräume für vulnerable Gruppen

Das Department-Modell wird als Möglichkeit gesehen, wissenschaftliche Einrichtungen demokratischer zu organisieren. Aus Sicht vulnerabler Statusgruppen braucht es aber mehr als das.

Foto: Bertolt Prächt

Die Vorwürfe des Machtmissbrauchs und der sexualisierten Gewalt von Mitarbeitenden und Professoren an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität haben vor einem Jahr wieder einmal das Augenmerk auf die prekäre Situation an den deutschen Hochschulen gelegt. Infolge dieser Berichterstattung wurde die Notwendigkeit einer systematischen Aufarbeitung deutlich. 

Im Rahmen der Initiative #metoohistory tauschten sich bundesweit Studierende und Forschende in der Geschichtswissenschaft aus und es wurde deutlich, wie weit sexuelle Belästigung und Gewalt neben Machtmissbrauch auf anderen Ebenen verbreitet sind. Nun heißt es: Strukturen verändern, Machtgefälle verringern und Abhängigkeiten aufdecken.

Ein Modell, das die Umstrukturierung einzelner Institute steuern könnte, wäre das vieldiskutierte Department-Modell. Die »Junge Akademie« wirbt seit langem für diese »moderne Personalstruktur« sowie eine »Zusammenarbeit auf Augenhöhe«. Umgesetzt ist das anglo-amerikanische Modell aber bislang an den wenigsten deutschen Universitäten und so gibt es kaum belastbare Beispiele dafür, dass insbesondere vulnerable Gruppen wie Studierende und studentische Hilfskräfte (SHKs) dadurch tatsächlich besser geschützt wären.

 

Auf Augenhöhe zusammenarbeiten

 

Wenngleich es also noch nicht das eine »Department-Modell« geben mag, lautet die allgemeine Idee dahinter so: Die bisherige Lehrstuhl-Struktur wird aufgebrochen, indem haushaltsfinanzierte, befristete Mittelbaustellen, die bisher den Professor*innen untergeordnet sind, von den Professuren losgelöst und zu Dauerstellen gemacht werden. 

Auch Mitarbeiter*innen in Technik, Service und Verwaltung und möglicherweise SHKs würden dem gesamten Department, also Institut, zugeordnet. Die Umwandlung von befristeten Mittelbaustellen in entfristete Professuren verspricht dabei einen enormen Zugewinn an Sicherheit für Wissenschaftler*innen, die sich bisher in Dauerbefristungen befinden. 

Doch noch ein anderer Aspekt lässt das Department-Modell in der Debatte um Machtmissbrauch immer wieder als mögliche Lösung erscheinen. Wo früher Professor*innen über die Stellenbesetzung der SHKs und wissenschaftlichen Mitarbeitenden an ihrem eigenen Lehrstuhl entscheiden konnten, könnten Entscheidungsprozesse kollektiviert werden. Denn die Entscheidungsgewalt einzelner Professor*innen trägt zu Abhängigkeitsverhältnissen bei, die Machtmissbrauch begünstigen.

Jule Specht, Mitglied der Jungen Akademie und Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der HU Berlin, sagte etwa der Zeit dazu: »Dort, wo einige wenige Personen an der Spitze stehen, kommt es eher zu Machtmissbrauch. Das gilt in Hollywood, in Unternehmen, im Journalismus – und natürlich gilt das auch in der Wissenschaft.«

 

Weniger Ansprechpersonen in Konfliktfällen

 

Wer in der Diskussion um den Abbau von Hierarchien und Abhängigkeiten immer wieder vergessen wird, sind diejenigen, die ganz unten stehen – die SHKs. Viele von ihnen setzen Hoffnung auf ihre Stelle als Eintrittsticket in die Wissenschaft und tolerieren im Gegenzug die unterirdische Bezahlung und viele Überstunden. Im Konfliktfall mit den Vorgesetzten können sie sich an den Berliner Universitäten glücklicherweise an einen Personalrat wenden. Innerhalb ihrer Institute gibt es indes kaum Möglichkeiten, ihre Interessen zu vertreten.

Sollten studentische Hilfskräfte dem Department-Modell entsprechend tatsächlich nicht mehr einzelnen Professor*innen, sondern dem gesamten Department zugeordnet werden, gäbe es zwei denkbare Szenarien. 

Im ersten beanspruchten Professor*innen weiterhin wie gewohnt einzelne SHKs für ihre eigene Arbeit – im Gegensatz zu wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sind SHKs schließlich nicht als eigenständig arbeitendes Personal vorgesehen. Wirklich verantwortlich für die SHKs wären dann aber nicht mehr genau diese Professor*innen, sondern allein die geschäftsführenden Direktor*innen. Diese müssten nun den Verwaltungsaufwand stemmen und gleichzeitig der erhöhten Personalverantwortung gerecht werden – in der Regel ohne besondere Expertise. Statt weniger Hierarchien und geteilte Verantwortung zu schaffen, stünden nun in Konfliktfällen weniger Ansprechpartner*innen und Verantwortliche zur Verfügung. Die vielen anderen Mitglieder des Institutes könnten sich daraufhin zurückziehen und die Aufgabe auf die Geschäftsführung abwälzen.

Doch es gäbe durchaus eine Alternative, die indes ein gehöriges Maß an Vernetzung und Austausch unter den SHKs erforderte. Denkbar wäre es etwa, anfallende Aufgaben kollektiv zu planen und zu verteilen. Sicherlich muss nicht jedes auszuleihende Buch in einem wöchentlichen Plenum besprochen werden, doch was es braucht, sind Gesprächsräume, in denen über die grundsätzliche Arbeitsweise beraten werden kann. 

In einem zweiten Schritt müssen solche Räume auch institutsweit geschaffen und strukturell verankert werden. Unabhängig davon, ob SHKs formal eine eigenständige Statusgruppe sind, müssen ihre Anliegen als Beschäftigte gehört und ernstgenommen werden. In Berlin haben sie mit eigenen Personalräten eine universitätsweite Interessensvertretung, die mit rechtlich verbrieften Kompetenzen ausgestattet ist. Das ist eine Errungenschaft! Sie führt aber unweigerlich zu der Frage, wie SHKs außerhalb von Konfliktberatung und Personalgesprächen für sich einstehen können. 

 

Ein Department mit gemeinsamer Verantwortung

 

Das Department-Modell könnte solche Räume und Klarheiten schaffen, jedoch nur, wenn diese Ansprüche von Beginn an mitgedacht werden und der Wandel der Strukturen nicht nur auf eine Einsparung von Geldern abzielt.

Aus unserer Sicht ist deshalb eher die Frage, wie man ein gemeinsames Verantwortungsgefühl für Fälle von sexueller Belästigung und Machtmissbrauch im Allgemeinen herstellen kann. Wie können Gesprächsräume geschaffen werden, sowohl im Institut allgemein als auch unter den Statusgruppen?

Gerade bei den studentischen Hilfskräften stellen diese fehlenden Gesprächsräume und Vernetzungen Probleme dar, die bei der Zuordnung von Stellen mitgedacht werden müssen. Der aktive Austausch untereinander ist der beste Weg, um zu erkennen, wie stark die eigene Arbeitsbelastung im Verhältnis zu der von anderen ist. 

Gleiches gilt für un-/angebrachte Kommunikationsweisen von höheren Stellen. Um Machtmissbrauch entgegenzutreten, müssen Kommunikationsräume geschaffen, Verantwortlichkeiten geklärt, aber auch ein allgemeines Verantwortungsgefühl aller kreiert werden. Die Universität muss Räume schaffen, wo insbesondere die Personen in Abhängigkeitsverhältnissen Gehör finden und Machtmissbrauch direkt angesprochen werden kann. Dafür muss der aktive Kontakt zu den Beschäftigten gesucht werden und diese müssen ihre Ansprüche und Bedenken äußern können. 

Dies gilt sowohl im derzeitig vertretenden Modell der klassischen Lehrstühle als auch in der Diskussion um das Department-Modell. Nur durch das Mitdenken und Einbinden aller Betroffenengruppen kann den Problemen des Machtmissbrauchs effektiv begegnet werden.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46