Schwerpunkt „Gewalt und Sexismus kontern“
Gewalt gegen Schulpersonal
Im Umgang mit Gewalt braucht es ein abgestimmtes Vorgehen, aber auch eine Auseinandersetzung mit den Ursachen. Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es?
Im schulischen Alltag kommt es immer wieder mal zu Gewaltvorfällen. Am häufigsten sind Schüler*innen betroffen. Wenn Schulbeschäftigte physische oder psychische Gewalt erfahren, kann diese von Schüler*innen, Erziehungsberechtigten, Kolleg*innen, Vorgesetzten oder schulfremden Personen ausgehen. In diesem Artikel geht es um Situationen zwischen Schüler*innen und Pädagog*innen mit dem Fokus auf den pädagogischen und schulrechtlichen Umgang.
Die Schule ist ein besonderer Raum. Schüler*innen haben ein Recht auf Bildung und sind zugleich verpflichtet, die Schule zu besuchen. Lehrkräfte und Erzieher*innen haben einen umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrag und eine Aufsichts- und Fürsorgepflicht für die meist minderjährigen Schüler*innen. Bei der Aufsichtspflicht (§ 51 SchulG) geht es darum, Schüler*innen vor Gefahren zu schützen und vor Handlungen zu bewahren, mit denen sie sich oder anderen Schaden zufügen können. Im Schulalltag kann es zu pädagogischen Grenzsituationen kommen, in denen Pädagog*innen direkt eingreifen müssen.
Notfallordner enthält hilfreiche Hinweise
Wenn Schüler*innen sich Pädagog*innen gegenüber gewaltvoll verhalten, sind dies schwerwiegende Regelverletzungen. Im neuen roten Notfallordner für die Berliner Schulen heißt es: »Die Übergriffe können sich gegen die Betroffenen als Person oder auch gegen sie als Vertreterin oder Vertreter der Institution Schule richten und sich u. a. in Form von Beleidigungen, Bedrohungen, Beschimpfungen, körperlicher oder sexualisierter Gewalt äußern, sowohl direkt als auch mittels digitaler Medien.«
Kommt es zu Übergriffen auf Schulpersonal, muss zum einen für den Schutz der von Gewalt betroffenen Person gesorgt und zum anderen muss sich mit dem grenzverletzenden Verhalten von Schüler*innen befasst werden. In akuten Situationen müssen Grenzen deutlich kommuniziert und im schlimmsten Fall Fremd- sowie Selbstgefährdungen abgewendet werden. Wenn ein Angriff auf die eigene Person oder eine andere Person abgewehrt werden muss, handelt es sich um Notwehr, bei der Verteidigung zugunsten einer anderen Person um Nothilfe. Personen, die eingreifen oder helfen, müssen nicht das Risiko eingehen, selbst geschädigt zu werden. Sie haben dann aber die Verpflichtung, andere Maßnahmen zu unternehmen und Hilfe zu holen. So steht es auch im Notfallordner unter »Fürsorge und Aufsicht«.
Bei Krisen und Notfällen hat in erster Linie die Schulleitung als »Einsatzleitung« die Verantwortung. Das schulische Krisenteam steht beratend und begleitend zur Seite. Zum Krisenteam gehören in der Regel die Schulleitung, Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte (§ 74a SchulG). Als Unterstützung können Schulpsycholog*innen hinzugezogen werden. Das Krisenteam trifft pädagogische, organisatorische und technische Vorkehrungen und koordiniert das Vorgehen in Ausnahmesituationen. Die Schulleitung ist nach dem neuen Verfahren verpflichtet, die Schulaufsicht zu informieren, eine gesonderte Gewaltmeldung erfolgt nicht mehr.
Nach einem Vorfall müssen das Krisenteam und bei Bedarf die Schulpsycholog*innen den geordneten Schulbetrieb wiederherstellen. Häufig fühlen sich Betroffene allein und sind nachhaltig geprägt von dem Vorfall. Auch innerhalb der Schulgemeinschaft kann es zu Vertrauensverlust kommen. Dem müssen die Schulleitung und das Krisenteam durch entschiedenes Handeln begegnen. Zudem kann es Betroffenen helfen, sich an eine Beratungsstelle wie den Weißen Ring oder den örtlichen Personalrat zu wenden, insbesondere wenn sie sich nicht ausreichend unterstützt fühlen.
Der Blick auf die Ursachen hilft
Wenn Schüler*innen sich gewaltvoll verhalten, ist der Umgang damit häufig eine besonders herausfordernde Aufgabe im ohnehin vollen Schulalltag. Es sollte versucht werden, gemeinsam mit dem Krisenteam den Vorfall einzuordnen. Da es bei der Bewertung von Handlungen manchmal unbewusst zu Diskriminierungen kommt, kann der Einbezug von Fachkräften aus der Antidiskriminierungsarbeit ratsam sein.
Gewaltförmiges Verhalten ist meist eine Strategie, mit schwierigen Situationen umzugehen. In der gewaltfreien Kommunikation wird Gewalt als Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse gesehen. Insgesamt sollten die Entstehungszusammenhänge berücksichtigt werden. So können schulische Rahmenbedingungen wie Stress, Leistungsdruck, Misserfolge, Über- oder Unterforderung, Lautstärke, Klassengröße, Gruppendynamik, Fehlen von Anerkennung oder Partizipationsmöglichkeiten, aber auch inkonsistentes Verhalten von Pädagog*innen oder eine herabwürdigende (An-)Sprache eine Rolle spielen. Neben gesellschaftlichen Faktoren wie dem Erleben von Ausgrenzung, Diskriminierung, verringerter Teilhabe oder wirtschaftlicher Not sind auch familiäre Erfahrungen bedeutsam. So haben Vernachlässigung, physische oder psychische Gewalt sowie Krisensituationen immer auch einen Einfluss auf das Verhalten eines Menschen. Auch wenn Gewalt von Einzelpersonen ausgeht, sind strukturelle Bedingungen und Dominanzstrukturen mit zu bedenken.
Verhältnismäßige Konsequenzen ergreifen
Das jeweilige Vorgehen sollte sich zum einen nach der Schwere des Vorfalls richten, aber zum anderen auch danach, wie sich das Kind oder der Jugendliche sonst verhält und ob ihm der grenzüberschreitende Aspekt des Verhaltens bewusst ist. Es ist allem voran eine pädagogische Aufgabe, Heranwachsende an das Leben in einer regelbasierten Gemeinschaft heranzuführen. In jedem Fall sollte eine Intervention zeitnah erfolgen, damit klar ist, dass die Konsequenzen im direkten Zusammenhang mit dem Verhalten stehen. Für die allermeisten Vorfälle im Schulalltag sind Erziehungsmaßnahmen ausreichend (§ 62 SchulG). Diese liegen in der Verantwortung der einzelnen Lehrkraft. Bei länger anhaltenden Schwierigkeiten empfiehlt es sich, die Schulsozialarbeit und die Fachkräfte vom Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungszentrum (SIBUZ) hinzuziehen. In einer Schulhilfekonferenz können Maßnahmen entwickelt und Absprachen getroffen werden. Das verschafft eine gewisse Handlungssicherheit.
Besonders schwierig ist es, wenn Schüler*innen einen Förderbedarf in der emotional-sozialen oder der geistigen Entwicklung haben. Diese Kinder können häufig gar nicht einschätzen, wann sie sich falsch verhalten haben. Hier greifen auch keine Sanktionen. Die Schule muss gemeinsam mit dem SIBUZ und der regionalen Schulaufsicht abstimmen, was wie umgesetzt werden kann. Die Schulleitung sollte zusätzliche Ressourcen zur Unterstützung anfordern. Das Kollegium kann gemeinsam mit dem Krisenteam Handlungspläne zum Schutz vor eskalierenden Situationen und Hilfeketten für pädagogische Grenzsituationen erstellen.
Sanktionen mit Bedacht wählen
In schwerwiegenden Fällen können auch Ordnungsmaßnahmen nötig sein (§ 63 SchulG). Dabei ist zu beachten, dass Ordnungsmaßnahmen starke Eingriffe in die Rechte von Schüler*innnen sind. Zudem löst eine Überweisung in eine andere Klasse oder an eine andere Schule leider oft die vielschichtigen Problemlagen nicht. Ein noch stärkerer Eingriff ist das »Ruhen der Schulpflicht«, welches bei einer Gefährdung von Leben, Gesundheit oder sexueller Selbstbestimmung anderer am Schulleben beteiligter Personen in Betracht gezogen werden kann (§ 43b SchulG). Ein solcher Schritt ist als ultima ratio anzusehen. Bei allen Maßnahmen muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Da bei einem zeitweisen Schulausschluss keine verlässliche pädagogische Struktur zur Verfügung steht und die Familien auf sich selbst gestellt sind, sind diese Maßnahmen mit großer Sorgfalt zu behandeln. Bei Schwierigkeiten, die trotz Schulhilfekonferenzen und nachweislich erfolgten Maßnahmen weiterbestehen, sollte ein zeitweiser Besuch einer sonderpädagogischer Kleinklasse oder eine psychologische Unterstützung erwogen werden. Ziel sollte die Wiedereingliederung in den regulären Schulalltag sein.
Wenn Jugendliche massiv gegen Regeln und Normen verstoßen und Straftaten begehen, kann die Polizei einbezogen werden. Jeder Schule sind sogenannte Präventionsbeamt*innen zugeordnet, an die sich die Schulleitung wenden kann. Die Präsenz der Polizei im Schulkontext ist allerdings nicht ganz unproblematisch, da manche Schüler*innen schon negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Strafanzeigen gegen strafmündige Jugendliche über 14 Jahren kommen nur in sehr schwerwiegenden Fällen in Betracht. In der Regel haben schulrechtliche Maßnahmen Vorrang und sollten auch wegen der zeitlichen Komponente ergriffen werden. Bis zu einer Verhandlung in jugendstrafrechtlichen Verfahren kann es lange dauern. Außerdem führt nicht jede angezeigte Straftat zu einer Gerichtsverhandlung und Verurteilung. Im Jugendstrafrecht hat ebenso wie im Schulrecht Erziehung Vorrang vor Bestrafung. Wenn eine Strafanzeige bei einem Übergriff auf schulisches Personal erfolgen soll, dann sollte die Schulleitung diese als Dienstvorgesetzte stellen. Dieses Vorgehen verdeutlicht, dass die Geschädigte nicht als Privatperson handelt. Als ladefähige Adresse kann die Schule angegeben werden.
Schulen dürfen nicht alleine gelassen werden
Auch wenn sich nicht alle Gewaltvorfälle verhindern lassen, ist der beste Schutz durch Prävention zu erlangen. Die Gestaltung eines gewaltfreien Schulklimas, die Umsetzung von diskriminierungsfreier Bildung und Kinderschutz sind schulische Daueraufgaben (§§ 1, 3, 8 SchulG). Ziel sollte es sein, dass sich die Schule zu einem Ort weiterentwickelt, an dem sich alle wohlfühlen. Pädagog*innen können viel dazu beisteuern, indem sie pädagogische Beziehungen bewusst gestalten, ihre Arbeit reflektieren, Fallberatungen im Team etablieren und dabei auch macht- und diskriminierungskritische Ansätze nutzen. Aber Fakt ist auch, dass die Schulen nicht alles alleine leisten können.
Damit Gewaltprävention in den Schulen gut umgesetzt werden kann, braucht es ein funktionierendes Präventions- und Hilfesystem, deutlich mehr Ressourcen, eine verlässliche multiprofessionelle Ausstattung, Rückzugs- und Ruheräume und starke externe Partner*innen. Die Kürzungen im Nachtragshaushalt für 2025 gehen jedoch in eine ganz andere Richtung und betreffen neben der Jugend- und Familienarbeit und dem Diskriminierungsschutz auch die Gewaltprävention. Diese Kürzungen sind mehr als alarmierend und müssen umgehend zurückgenommen werden.
Themenseite »Gewaltprävention« der GEW BERLIN:
www.gew-berlin.de/materialien-fuer-den-schulalltag/gewaltpraevention
Themenseite »Notfälle und Krisen an Schulen« der SenBJF
Notfallpläne der SenBJF im Schulportal