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bbz 04-05 / 2016

Gewerkschaft war mein Hobby

Ingeborg Uesseler-Gothow über ihr langjähriges Engagement in Gewerkschaft und Personalrat

Ingeborg, du warst lange Zeit im Personalrat tätig, sowohl auf Bezirks- als auch auf Landesebene, also im Hauptpersonalrat. Und nicht zuletzt auch mehr als 15 Jahre in der Landesrechtsschutzstelle. Haben sich eigentlich die Probleme der KollegInnen in den letzten zwanzig, dreißig Jahren sehr verändert?

Ingeborg Uesseler-Gothow: Nein, eigentlich nicht so sehr, wenn auch durch die Eingliederung der Schulhorte und die angestellten Lehrkräfte unsere Aufgaben sich stark in Richtung Arbeitsrecht verändert haben. Wobei es natürlich einen Unterschied macht, ob man an der Basis in den bezirklichen Personalräten sitzt oder in einem zentralen Gremium wie dem Hauptpersonalrat. Denn während es bezirkliche Personalräte vor allem mit bezirklichen Personalangelegenheiten wie Einstellungen, Beförderungen, Umsetzungen und Auseinandersetzungen insbesondere mit der Schulverwaltung zu tun haben, geht es im Hauptpersonalrat um allgemeine Regelungen, also um Verordnungen, Gesetzesvorhaben, Planungsvorgaben und so weiter. Die Landesrechtsschutzstelle der GEW ist wieder anders. Da geht es natürlich auch um die individuellen Probleme wie im Bezirk, aber hier gibt es noch eine weitere Komponente: Lassen sich Anliegen, Beschwerden Konflikte auf dem juristischen Wege lösen? Hier muss man sich intensiv qualifizieren, denn Erfolge oder Misserfolge in diesem Bereich haben ja eine erhebliche gewerkschaftspolitische Bedeutung. Aber es geht natürlich hier auch viel um persönliche Beratung. Ich habe mich im Laufe der Jahre spezialisiert auf Fragen zur Pensionierung und Altersversorgung, Erkrankung im Alter, Wiedereingliederung.

Also Expertin fürs Alter!

Ja, so ist es eben: Je älter man wird, desto mehr wird man Expertin dafür.

In Tempelhof war in den neunziger Jahren Klaus Wowereit Stadtrat für Bildung, damals schon ein talentierter Redner. Du hast ihm da gut Paroli geboten mit geschliffener Rede: klar und pointiert zugleich. War das nicht spannender als die etwas trockene Arbeit im Hauptpersonalrat?

Ich habe mir das damals auch hin und her überlegt. Was schließlich den Ausschlag gegeben hat, war die veränderte Situation. Inzwischen waren die Bezirke zusammengelegt worden, Tempelhof und Schöneberg waren jetzt zusammen ein Bezirk und statt zwei Personalratsgremien gab es jetzt nur noch eins. Das hatte auch personelle Konsequenzen. Den Ausschlag hat schließlich gegeben, dass ich nach 17 Jahren als Vorsitzende im Tempelhofer Personalrat eine Veränderung sinnvoll fand. Eigentlich wollte ich für den Gesamtpersonalrat kandidieren, aber Ilse Schaad hat mich damals für eine Kandidatur zum Hauptpersonalrat vorgeschlagen, weil die GEW einen Listenplatz neu besetzen wollte. Ich habe zugesagt, obwohl die damit verbundene Vollfrei-stellung für mich gewöhnungsbedürftig war. Meine Unterrichtsmaterialien habe ich damals für den Fall der Fälle gut aufbewahrt, falls es mir dort doch nicht gefällt.

Es ist dann aber anders gekommen.

Na ja, da waren ja auch spannende Sachen dabei. Und außerdem hat mich zum Beispiel Knut Langenbach, der schon länger in dem Gremium war, sehr gut in die Arbeit eingeführt und mich immer unterstützt. Auch mit den anderen KollegInnen von ver.di und der GdP bin ich gut zurechtgekommen. Der Hauptpersonalrat vertritt ja den gesamten öffentlichen Dienst, also auch die Beschäftigten in den Finanzämtern, bei der Polizei, in den Senatsverwaltungen und Bezirksämtern. Man kann und muss viel Neues lernen. Eine meiner Hauptaufgaben war die Durchsetzung einer vernünftigen landesweiten Dienstvereinbarung mit der Innenverwaltung zum Gesundheitsschutz. Darauf war und bin ich auch heute noch stolz, wenn auch die Umsetzung gerade im Schulbereich besser sein könnte. Das war auch eine wichtige Hilfe für meine Beratungstätigkeit ab 1998 in der Rechtsschutzstelle. Die konkrete Hilfe für ratsuchende KollegInnen war immer eine gute Ergänzung zur oft eher theoretischen Arbeit im Hauptpersonalrat.

Die Altersexperten geben einem ja immer den Rat, man solle sich ein Hobby für den Ruhestand zulegen. Hast du das denn auch gemacht, als du vor fünf Jahren in die Situation gekommen bist?

Eigentlich habe ich nie ein Hobby im Sinne von Freizeitgestaltung gehabt. Mein Hobby war eher die Gewerkschaft und die Rechtsschutzstelle. Ich musste also nicht suchen, sondern hatte schon eine schöne Aufgabe für den Ruhestand: Weniger Arbeit als vorher, aber mehr Kraft und Zeit für eine interessante und verantwortungsvolle Aufgabe. Das hat mir viel gegeben und es hat mir Spaß gemacht. Mit anderen Worten: Ich brauchte mich gar nicht umzuschauen, ich war schon gut versorgt für den Ruhestand.

Jetzt ist das ja auch weg. Du bist ja nicht mehr in der Rechtschutzstelle. Ist dadurch was anders geworden?

Ja, schon. Der Abschied aus dem Rechts-schutz ist mir schwer gefallen und ich vermisse die fröhliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Rechtsschutz-Frauen und der Geschäftsstelle. Jetzt bin ich also richtige Ruheständlerin – und merke, dass ich Probleme habe, mich zu entscheiden, was ich jetzt machen will. Dringend ist sicher die Unterstützung der Flüchtlingsarbeit, aber ich habe nach ersten Versuchen gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, dabei »seinen« Platz zu finden. Also suche ich noch. Immer wichtiger wird es, der wirklich erschreckenden politischen Entwicklung nach Rechtsaußen entgegenzutreten, da könnte sich auch die GEW auf allen Ebenen lauter zu Wort melden.

Wie interessiert verfolgst du die heutige Bildungspolitik? Interessiert dich das noch? Zum Beispiel die Sache mit den fehlenden Grundschullehrkräften?

Ja, natürlich. Aber das gleiche läuft ja in der Verwaltung ab. Alles wurde ein- und weggespart. Jetzt bekommt man auf allen Gebieten die Quittung dafür. Und manche ZeitungsredakteurIn räumt heute reumütig ein, dass nicht wenige von ihnen, die heute fehlendes Personal beklagen, diese Situation mit zu verantworten haben, weil sie damals so lautstark den schlanken Staat gefordert haben.

Wie bist du vor langen, langen Jahren eigentlich zum Schuldienst gekommen. Warum bist du nicht Architektin oder Rechtsanwältin geworden?

Ich habe Mitte der 60er Jahre angefangen zu studieren, und mich aus familiären Gründen wegen der überschaubaren Studienzeiten und der sicheren Berufsperspektive für das Lehramt entschieden. Das habe ich übrigens trotz der elenden Korrekturen als Deutschlehrerin nie bereut. Als ich dann nach Berlin kam, wurden hier gerade händeringend Lehrkräfte für die Grundschule gesucht. Ich habe dann dort angefangen unter der Bedingung, wesentlich nur in den fünften und sechsten Klassen eingesetzt zu werden. Das klappte dann auch.

Wann war denn das? Ist ja fast so wie heute!

Na, das war 1972, zum 1. Februar habe ich in Berlin angefangen. Als diese Grundschule geschlossen wurde, wollte ich eigentlich an die damals ganz neue Carl--Zeiss-Gesamtschule. Das wollte aber die Schulverwaltung aus politischen Gründen nicht, ich war damals schon negativ aufgefallen, weil ich öffentlich die Privatisierung des Baus der Mittelstufenzentren kritisiert und den Protest gegen die Schließung unserer Schule mit organisiert habe. Ich bin dann stattdessen ans Gymnasium versetzt worden. Ich habe 1974 für den Personalrat kandidiert und bin relativ bald als Nachrückerin ins Gremium gekommen.

Du warst nicht nur dort aktiv, sondern auch immer in der GEW.

Ja, eigentlich von Anfang an, also seit den 70er Jahren. Da war ich noch jung und es gab da den AJLE (Ausschuss junger Lehrer und Erzieher). Außerdem war ich in der Bezirksleitung der GEW. Wie gesagt, Gewerkschaftsarbeit war immer selbstverständlich.

Und dann warst du 1989 für kurze Zeit auch Vorsitzende des Landesverbandes. Wegen deiner Parteizughörigkeit gab es dann heftige Anfeindungen von außerhalb, aber auch von innerhalb. Du bist dann zurückgetreten.

Ja, mehr oder weniger gezwungenermaßen. Für mich war die Kandidatur damals die richtige Entscheidung: Ich war im richtigen Alter, ich hatte eine Menge Erfahrungen. Ich fand mich durchaus fähig und in der Lage, eine anständige Vorsitzende zu sein. Deswegen bin ich auf der Landesdelegiertenversammlung auch gewählt worden, wenn auch im dritten Wahlgang. Die Kontroversen um Inhalte und Personen waren damals zwar schärfer als heutzutage. Aber mit solchem Gegenwind wegen meiner SEW-Zugehörigkeit habe ich nicht gerechnet. Ich hatte geglaubt, dass in der GEW die Parteizugehörigkeit keine so große Rolle spielt. Das war aber ein grober Fehler. Es gab gerade auf der mittleren Funktionärsebene viele, die das nicht ausgehalten haben.

Das waren sowohl Bezirke als auch Fachgrup-pen und nicht zuletzt der Landesvorstand.

Viele haben mir zwar versichert, dass sie mich als Menschen und Gewerkschafterin toll fänden, aber als Vorsitzende ginge das nicht. Zweite Vorsitzende oder sonst was wäre als SEW-Mitglied in Ordnung, aber nicht Vorsitzende. Das wollte ich wiederum nicht.

Na ja, es ging ja nicht nur um die Mitgliedschaft, sondern auch um politische Positionen der GEW, bei denen du mit den SEW-Positionen in Bedrängnis geraten wärest. Bei den guten sozialistischen und den schlechten kapitalistischen Atomkraftwerken beispielsweise.

Aber es war doch völlig klar, immer, damals wie auch heute, dass ich über die Gewerkschaft keine Parteipolitik mache. Das habe ich über meine jahrzehntelange Arbeit auch bewiesen. Übrigens waren viele der angeblich so festgemauerten Positionen wie beispielsweise zu AKWs innerhalb der Partei 1989 längst heftig umstritten.

Der öffentliche Druck, also all die Kommentare in den Berliner Medien, hat dich gar nicht beeindruckt?

Nein, der hätte auch irgendwann wieder aufgehört, wenn meine Gewerkschaft hinter mir gestanden hätte. Dass das nicht der Fall war, war die Enttäuschung, deswegen bin ich dann zurückgetreten. Was soll ich machen, wenn selbst die Personalrats-AG unter dem Vorsitz des von mir ansonsten hochgeschätzten Knut Langenbach mir erklärt, dass sie nicht mit mir zusammenarbeiten wird? Dahinter stand auch die Angst vor Verlusten bei den anstehenden Personalratswahlen. In Tempelhof hat die GEW aber sogar noch einen Sitz dazu gewonnen! Das war schon eine Genugtuung für mich. In der Schule und im Bezirk gab es damit übrigens nie Schwierigkeiten. Im Gegenteil haben sich SchülerInnen mit mir solidarisiert. Und Klaus Wowereit als Stadtrat und Wolfgang Juche als mein zuständiger Schulrat haben sich vorbildlich vor mich gestellt. Es gab auch jede Menge gute Erfahrungen und Ermunterungen.

Inge, jetzt zum Schluss einen Sprung in die Gegenwart. Wir machen dir ein gutes Angebot: Unser Ratgeber für den Ruhestand muss dringend überarbeitet werden. Da du dich noch nicht anderweitig gebunden hast, könntest du da doch gut mitmachen, oder?

Da hat sich, glaube ich, gar nicht so viel verändert bei den Regelungen für den Ruhestand. In Berlin hat man sich eigentlich wenig damit beschäftigt. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, die in den letzten Jahren sehr viel aktiver waren auf diesem Gebiet der Gesetzgebung. Aber ich mache gerne mit. Danke für das Angebot.

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Inge(borg) Uesseler-Gothow ist Jahrgang 1945. Sie war Lehrerin an einem Gymnasium in Tempelhof-Schöneberg und ab 1978 ständig im bezirklichen Personalrat, ab 1984 Vorsitzende des Gremiums, von 2000 bis 2010 Mitglied im Hauptpersonalrat. Von 2000 bis 2015 war sie ehrenamtlich in der Leitung der Landesrechtsschutzstelle der GEW BERLIN tätig.