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Schwerpunkt: Qualität per Gesetz

Gute Kita durch Qualitätsstandards

Norbert Hocke beschreibt die Entwicklung des Gute-KiTA-Gesetzes und erläutert, an welchem Punkt wir heute stehen.

Foto: Bertolt Prächt

Lange Zeit war die frühkindliche Bildung eine Aufgabe der Länder. Wann, würdest du sagen, gab es die ersten Impulse für ein Bundesgesetz für Kindertagesstätten?

Hocke: Es gibt zwei Startpunkte, einen direkten und einen indirekten. Der indirekte Startpunkt war der elfwöchige Kita-Streik in Berlin Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Da ging es um die Strukturqualität in den Kitas, also Erzieher*in-Kind-Relation, Freistellung der Leitungskräfte, die mittelbare pädagogische Arbeitszeit, Fort- und Weiterbildung und die Fachberatung. Das waren die fünf zentralen Punkte, für die die Erzieher*innen gestreikt haben. Der Streik ging erfolglos zu Ende.

In der bbz-Ausgabe 4/2020 kann man nachlesen, dass sich damals die Kolleg*innen unter anderem für mehr Qualität in den Kitas einsetzten, und dass der Streik erfolglos endete. Für euch als Bildungsgewerkschaftler*innen war der Misserfolg bestimmt ernüchternd. Was habt ihr weiter unternommen?

Hocke: Wir haben versucht, über die Kita-Gesetze der Länder Einfluss als Gewerkschaft auszuüben, um die Strukturqualität zu sichern. Das hat aufgrund der Sparhaushalte der Länder, auch ganz besonders in Berlin, nicht funktioniert. Durch den notwendigen Platzausbau wurde die Qualität zurückgesetzt. Das war die Realität für die Kolleg*innen in den Einrichtungen. Die GEW hat dann immer wieder mit Fachveranstaltungen, Kita-Bündnissen, Demos und mit wissenschaftlichen Expertisen wie dem »Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung« gute Rahmenbedingungen vorgezeichnet und gegenüber der Politik eingefordert. Dann gab es 2012 den indirekten Einstieg, ein Zehn-Punkte-Programm der Bundesfamilienministerin zur Kitaqualität. Ein Punkt dieses Programms für den bedarfsgerechten Ausbau der Kitas war, dass durch ein Qualitäts-Gesetz Regelungen mit bundesweiter Gültigkeit geschaffen werden sollten. Erstmals nach der Umsetzung des Rechtsanspruches auf einen Krippen- und Kindergartenplatz sollte nun durch den Bund auch die Qualität in den Kitas geregelt werden. Die Qualität sollte endlich in den Vordergrund rücken.

Gab es einen runden Tisch, an dem die Forderungen ausgearbeitet wurden?

Hocke: Die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Verband der Katholischen Tageseinrichtungen (KTK), der Deutsche Caritasverband und die GEW haben sich 2012 in einer Gruppe zusammengefunden und mit dem Ministerium versucht, erste Schritte für ein Qualitätsgesetz zu entwickeln. Das war ein mühsamer Prozess, der aber sehr vertrauensvoll war. Zu Beginn waren die evangelischen Kitas noch dabei. Die sind dann aber ausgestiegen, weil man keine einheitlichen Qualitätsstandards auf Bundesebene regeln wollte. Ein Knackpunkt von Anfang an war die verbindliche Festlegung auf einheitliche Qualitätsstandards. Weil die Länder und Kommunen für die frühkindliche Bildung zuständig sind, sollte sich der Bund raushalten. Das wollten wir nicht. Der Bund kann nicht nur Modellprojekte fördern. Er muss dauerhaft, und zwar nicht nur für den Platzausbau, Geld geben, sondern auch in die Finanzierung der Strukturqualität einsteigen. Dazu haben wir zusammen mit dem Ministerium eine Art Handwerkskasten über drei, vier Jahre entwickelt. Wir haben Workshops durchgeführt, wo Kommunen, Länder, Gewerkschaft, Wissenschaft, Träger, Eltern und Vertreter*innen der Parteien mit dabei waren. Es war Ministerin Schwesig, die 2014 in einem Bund-Länder-Communiqué festgehalten hat, dass der Bund sich ernsthaft mit einem Qualitätsgesetz Kita beschäftigen muss, dass Standards gesetzt und ein Einstieg in die dauerhafte Finanzierung durch den Bund gestaltet werden muss. Das war ein Zwischenschritt. Die Arbeitsgruppe legte 2016 einen Zwischenbericht von Bund und Ländern vor, in dem beschrieben wurde, wie frühkindliche Bildung weiterentwickelt und finanziell gesichert werden kann.

Auf welcher Grundlage sollte sich die Verantwortlichkeit der Länder auf den Bund verlagern?

Hocke: Wir hatten in der Zwischenzeit ein Gutachten vom Verwaltungsrechtler Professor Wieland erstellen lassen. Er bejahte, dass sich der Bund an den Kosten beteiligen könne. Die soziale Ausgewogenheit und die soziale Gleichheit in der Republik müssten gewährleistet sein. In der Begründung hieß es, dass es den Eltern nicht zuzumuten sei, wenn sie aus einer Stadt wegziehen, wo, sagen wir mal, der Krippenschlüssel eins zu zwei ist, und nach Bayern kommen, wo der Krippenschlüssel eins bis sechs liegt. Deshalb könne der Bund als sozialer Ausgleich hier dauerhaft finanziell einsteigen.

Du hast den Zwischenbericht 2016 erwähnt. Welche Schwerpunkte wurden damals für eine strukturelle Qualitätssteigerung in der frühkindlichen Bildung gesetzt?

Hocke: Wir als GEW, AWO und KTK/Caritas haben folgende Handlungsfelder hervorgehoben: die Fachkraft-Kind-Relation, die wissenschaftlich durch eine Expertise belegt wurde; die mittelbare pädagogische Arbeitszeit; die Freistellung der Leitungskräfte von der pädagogischen Arbeit; der Ausbau der Fachberatung und eine gesicherte Fort- und Weiterbildung. Ein weiterer wichtiger Punkt war es, die Steuerung im System der Kindertageseinrichtung zu verändern. Das System ist in den letzten Jahren so exorbitant gewachsen, dass wir heute fast 60.000 Einrichtungen haben mit über 750.000 Beschäftigten. Dieses System steuert sich immer noch nur über Träger und Länder.

Mit den Handlungsfeldern war endlich die Qualität in den Vordergrund gerückt. Wie kam es zur Umbenennung des Bundesqualitätsgesetztes in ein Gute-KiTa-­Gesetz?

Hocke: Frau Giffey sagte, es versteht kein Elternteil, wenn man Qualitätsgesetz für Kita oder ein Bundesqualitätsgesetz sagt. Sie setzte sich dafür ein, das Gesetz in ein Gute-KiTa-Gesetz umzubenennen. Weiterhin hat sie zwei Punkte, die ganz entscheidend negativ für uns für die Qualität der Kitas waren, hinzugefügt. Ein Punkt war die Finanzierung der Elternbeiträge durch den Bund. Wir sind für die gebührenfreie Kita. Das haben wir seit 2001 als GEW gefordert, aber das gehört nicht in ein Qualitätsgesetz. Frau Giffey hat dann drei Wochen später auch ein Starke-Familien-Gesetz erlassen. Genau da hätte es reingehört, wo Familienleistungen geregelt werden.

Was war der zweite Punkt?

Hocke: Das war die Frage der dauerhaften Finanzierung durch den Bundeshaushalt. Der Bund hatte sich verpflichtet, von 2020 bis 2022 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Eigentlich kostet ein gutes Qualitätsgesetz jährlich 10 bis 11 Milliarden Euro. Das ist ein aufbauendes System. Aber man hätte das auch durchaus so finanzieren können. Bis 2022 ist die Sache jetzt erst einmal geregelt, davon geht die Hälfte aber fast in die Befreiung von den Kita-Gebühren. Das heißt, wir sind an dem zentralen Punkt der verbesserten Erzieher*in-Kind-Relation nicht groß weitergekommen. Aber der Einstieg in die Finanzierung durch den Bund ist festgeschrieben.

Was wird sich nach dem Ende der Finanzierung durch das Gute-KiTa-Gesetz 2022 ändern?

Hocke: Das Gute-KiTa-Gesetz hat in vielen Bundesländern dazu geführt, dass die Gebührenfreiheit eingeführt wurde. Das Problem wird sein, und darauf haben wir frühzeitig hingewiesen, dass die Länder bis 2022 Geld kriegen, die Elternbeiträge freistellen und dann gibt es kein Geld mehr dafür. Dann muss aus den Kitageldern der Landeshaushalte dieses Geld der Gebührenfreiheit genommen werden. Da werden dann Eltern klagen, ganz klar, wenn das nicht weiterläuft. Und das würde bedeuten, dass wir dann ab 2022 viel weniger Geld für die Kitaqualität zur Verfügung haben. Es sei denn, man einigt sich noch. Es sieht zurzeit zwischen Bund und Ländern nicht so aus, obwohl eigentlich die Corona-Situation deutlich gemacht hat, wie wichtig die Kitas sind und welche Bedeutung die Frühkindliche Bildung für die Kinder hat. Zurzeit reden alle von der Betreuung und weniger von der Bildung in Corona-Zeiten. Das muss sich ändern. Es wird ein wichtiger Punkt sein, das aufzunehmen, auch als gewerkschaftliche Aufgabe.

Also ist im Prinzip momentan ein Stillstand?

Hocke: Ja. Wir müssen in der Frage der Qualitätsentwicklung und der Qualitätssicherung jetzt mit der Evaluierung des Qualitätsgesetzes, sprich des sogenannten Gute-KiTa-Gesetzes, beginnen. Ich warne vor dem Begriff, weil ein Gesetz, das den Titel »gut« trägt, muss nicht automatisch gut sein. Es ist auch ein bisschen eine Infantilisierung dieses Bereiches. Man würde nie auf die Idee kommen, ein Gutes-Hochschulrahmengesetz zu verabschieden oder ein Gutes-Berufsbildungsgesetz.

Welche Forderungen ergeben sich für die gewerkschaftliche Arbeit?

Hocke: Es muss ein Bundesqualitätsgesetz geben, in dem die Standards der Strukturqualität verbindlich für alle Länder geregelt werden. Wissenschaftlich begründet und nicht der jeweiligen Haushaltslage geschuldet. Es muss das Ziel sein, den Bund dauerhaft an den Kitakosten zu beteiligen. Deutschland hatte sich bereits 2013 im Europarat dazu verpflichtet, verbindlich ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die frühkindliche Bildung auszugeben. Wir sind bis heute nicht da angelangt. Wenn ich mir im Bundestag die Debatten um die zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für den Verteidigungshaushalt anschaue, dann vermisse ich in der gleichen Stärke die Diskussion um das eine Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die frühe Kindheit.  

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