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Schwerpunkt „Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen unter Druck“

Höhere Löhne für alle

Aljoscha Kuehn ist als Sozialarbeiter in der Suchthilfe tätig. Er erzählt was es aus seiner Sicht braucht, damit Sozialarbeiter*innen ihren gesellschaftlichen Auftrag gut erfüllen können.

Foto: Jeannine Schätzle

bbz: Aljoscha, wo arbeitest du und wie bist du dahin gekommen?

Kuehn: Bei der Diakonie Eingliederungshilfe arbeite ich, in Neukölln, genauer im Bereich der Suchthilfe. Ich habe Erziehungswissenschaften studiert mit dem Profil Soziale Arbeit und Beratung im Master, werde aber hier in Berlin als Quereinsteiger betitelt. Ich habe schon während des Studiums in der Nachmittagsbetreuung in der Schulsozialarbeit mitgearbeitet und Praktika in einem Kinderhilfsprojekt gemacht.

Wirst du als Sozialarbeiter anerkannt, auch von der Eingruppierung her?

Kuehn: Das war ein langer Kampf, aber ich bin jetzt doch gleichgestellt mit meinen Kolleg*innen, von denen die Meisten Soziale Arbeit studiert haben.

Seid ihr ein multiprofessionelles Team, habt ihr auch Leute, die aus anderen Richtungen kommen?

Kuehn: Haben wir. Kunsttherapeut*innen, Soziolog*innen und Politikwissenschaftler*innen.

Wie funktioniert bei euch im Team die Multiprofessionalität?

Kuehn: Sehr gut. Nicht besser und nicht schlechter als an anderen Stellen, wo es nur Sozialarbeiter*innen gab.

Vielleicht funktioniert es deshalb gut, weil in eurem multiprofessionellen Team alle gleichermaßen vertreten sind und man sich austauschen kann. Wenn das nicht so wäre, weil die Mehrzahl aus fremden Berufen kommt, fehlt dann vielleicht doch das professionelle Input?

Kuehn: Das kommt, finde ich, auf den Studiengang an. In anderen geisteswissenschaftlichen Fächern setzt man sich zum Teil mit sehr ähnlichen Themen auseinander. Was man beispielsweise im erziehungswissenschaftlichen Studium nicht hatte, war das Thema Recht und Verwaltung. Das könnte man noch während des Berufes mit Fortbildungen nachholen.

Wie würde für dich ein gelungener Quereinstieg aussehen und was braucht es, damit der Quereinstieg gut funktioniert?

Kuehn: Es braucht einfach Begleitung. Dass der Berufseinstieg vielleicht ein bisschen erleichtert wird, man eine Teilzeitstelle bekommt und nebenbei noch die wichtigsten Kurse macht, je nachdem, in welchem Arbeitsbereich man ist, sei es Recht und Verwaltung oder wenn es in der Suchthilfe ist, über Suchtproblematiken, motivierende Gesprächsführung, in der Jugendhilfe im Bereich Kinderschutz.

Man könnte auch berufsbegleitend soziale Arbeit studieren.

Kuehn: Ja, aber wenn man schon einen Master hat und dann nochmal den Bachelor, das wäre einfach zu viel. Was ich generell gut fände, und das würde dem Beruf auch mehr Anerkennung verschaffen, wäre, dass man ein Anerkennungsjahr macht. In Bremen ist das so, das dauert in Vollzeit ein Jahr. Das könnte man vielleicht machen und dann höhere Löhne zahlen.

Würdest du es sinnvoll finden, wenn Leute, die diese Profession nicht studiert haben, das noch tun würden oder siehst du in der Arbeit keinen Unterschied?

Kuehn: Im Einzelfall gibt es bestimmt auch mal eine*n Ingenieur*in oder Handwerker*in, der/die den Job genauso gut machen kann. Im Großen und Ganzen macht es für mich schon Sinn, dass bestimmte Ausbildungsgänge die Voraussetzung sind für bestimmte Berufe. Aber man kann da ruhig ein bisschen lockerer sein. Studiengänge wie Soziologie, Philosophie, Erziehungswissenschaften setzen sich auch mit Themen wie soziale Ungleichheit auseinander. Das Ziel ist doch, wenn man im sozialen Bereich arbeitet, soziale Ungleichheit in der Gesellschaft abzubauen. Sozialarbeiter*innen sind nicht besser und nicht schlechter qualifiziert als Leute aus den anderen Studiengängen, auch weil man in sozialer Arbeit nur den Bachelor braucht, um irgendwo anzufangen zu arbeiten.

Würdest du sagen, dass jemand mit einer bestimmten Anzahl von Jahren im Beruf genauso eingruppiert werden soll, auch wenn er oder sie diesen Abschluss de facto nicht hat?

Kuehn: Das ist eine komplizierte Frage. Manchmal erwische ich mich selber dabei, dass ich das nicht gut finde, denn warum haben wir so lange studiert. Andererseits hat das Studium auch Spaß gemacht. Man hat nicht nur studiert, weil man mehr Geld verdienen möchte, sondern es waren auch interessante Inhalte, die man gelernt hat und es ist nun mal so, dass Leute mit Uniqualifikation sich den Job aussuchen können. Dann sollten die, die lange genug dabei sind, für den gleichen Job auch das gleiche Geld verdienen aus egalitärer Perspektive. Man leistet das Gleiche. Und es gibt ja, wenn auch selten, Unternehmen, wo jede*r den gleichen Lohn bekommt, egal welche Tätigkeit man ausübt. Also ich finde, da hält Deutschland noch ein bisschen starr an alten Vorgaben fest.

Das ist nicht unumstritten unter Sozialarbeiter*innen. Man hat viele Jahre studiert und der oder die Andere konnte in der Zeit Geld verdienen. Klar, hatte ich auch eine schöne Zeit, aber die andere Person konnte sich derweil schon etablieren oder Berufserfahrung sammeln.

Kuehn: Ich finde, man sollte eher einen Schwerpunkt daraufsetzen, generell dafür zu kämpfen, dass die Löhne überall besser werden und nicht darauf sich zu zerfleischen, wer jetzt mehr verdient. Ich habe mal erlebt, dass ich noch in der Probezeit gekündigt und ersetzt wurde durch Andere, die noch keine fertige Erzieher*innenausbildung hatten. Die haben das für weniger Geld gemacht, denn man musste sie nicht so hoch einstufen. Das ist natürlich richtig blöd, wenn man die Abschlüsse umgeht. Aber ich finde es theoretisch schon in Ordnung, wenn jemand mit entsprechender Berufserfahrung das Gleiche bekommt wie jemand, der studiert hat. Da wären wir beim Thema Anreize. Wenn man weiß, das wird jedes Mal so locker gehandhabt, dann könnte man vielleicht Angst haben, dass weniger Leute studieren.

Es gibt zunehmend auch private Hochschulen, an denen eher den Wünschen der Träger entsprechend soziale Arbeit ausgebildet wird. Wie siehst du diesen Trend?

Kuehn: Die ganze Ökonomisierung der sozialen Arbeit und generell der Unis sehe ich maximal kritisch. Das Studium sollte eine rein wissenschaftliche Ausrichtung haben, keine ökonomische. Man kann sich immer noch im Anschluss fortbilden, in Betriebswirtschaft, Rechnungswesen oder Kassenbuchführung. Aber das Studium sollte dafür genutzt werden, sich mit wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen.

Inwieweit beeinflusst das deiner Meinung nach, wie der Beruf ausgeübt wird?

Kuehn: Dass man sich schon im Studium darauf vorbereitet, was die Träger wollen, finde ich jedenfalls total falsch. Das ist so eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, aber gerade im sozialen Bereich finde ich die besonders kritisch. Ich habe teilweise miterlebt, dass Leute, die direkt vom Studium kamen, ein sehr ökonomisches Denken hatten. Was wahrscheinlich dazu führt, dass man sich weniger mit sozialer Ungleichheit, mit Problemen, die im Träger stattfinden, dass Arbeitskräfte ausgebeutet, schlecht behandelt werden, auseinandersetzt, sondern einfach denkt, jede*r ist für sich selbst verantwortlich und sich sehr anpasst an das kapitalistische System.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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