Zum Inhalt springen

bbz 06 / 2016

»Ich habe lieber eine funktionierende Kita als eine billige«

Der Neuköllner Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) hat mit seiner Ankündigung, ErzieherInnen in seinem Bezirk eine Antrittsprämie zu zahlen, für große Aufmerksamkeit gesorgt. Was ihn dazu getrieben hat und was in der Bildungspolitik aus seiner Sicht sonst noch schief läuft, erläutert Liecke im Interview.

Erkisi: Herr Liecke, Anfang Februar wurde in den Zeitungen vermeldet, dass Sie eine Prämie für PädagogInnen fordern, die beim Eigenbetrieb SüdOst ab April anfangen und die Probezeit bestehen. Wie kamen Sie auf diese ungewöhnliche Idee?

Liecke: Richtig ist, dass ich diese Zulage nicht nur gefordert habe, sondern sie auch bezahlen wollte. Ich habe sogar das Geld dafür in meinem Haushalt bereitgestellt. Leider hat mir die Senatsverwaltung für Finanzen unter der Androhung persönlicher Haftung verboten, diese Zulage umzusetzen. Ich halte das für ein vollkommen falsches Signal. Denn in Neukölln gibt es einen dringenden Bedarf an Fachkräften, um die eigentlich vorhandenen Kitaplätze auch nutzen zu können. Es gibt zwar nahezu überall in Berlin Fachkräftemangel an pädagogischem Personal, aber Neukölln trifft es besonders hart. Viele machen einen Bogen um Neukölln, gerade um Nord-Neukölln. In einer Kita in der Köllnischen Heide fehlen zum Beispiel sechs Erzieher oder Erzieherinnen, die dort sofort anfangen könnten. Aber Bewerberinnen und Bewerber beim Kitaeigenbetrieb SüdOst, der für Neukölln und Treptow-Köpenick zuständig ist, lehnen einen Einsatz in Nord-Neukölln schlichtweg ab. Hier hat Neukölln einfach ein Imageproblem.

Es gibt nicht nur einen berlinweiten Wettbewerb um gute Fachkräfte, sondern wir konkurrieren auch mit Brandenburg und anderen Bundesländern. Und in diesem Wettbewerb hat Neukölln derzeit das Nachsehen. Meine Idee war, mit der Zulage gute Leute nach Neukölln zu holen, damit sie dann merken, dass die Arbeit in Neukölln genauso interessant und abwechslungsreich sein kann wie in anderen Bezirken auch.

Erkisi: Es gibt MitarbeiterInnen des Eigenbetriebs, die schon jahrelang in Neukölln arbeiten und sich von dieser Bonuszahlung ausgeschlossen fühlten. Haben Sie nach der Verkündung der Idee Gegenwind gespürt? Etwa vom Eigenbetrieb selbst oder von Freien Trägern aus Neukölln, die selbst keine ErzieherInnen finden?

Liecke: Natürlich ist es berechtigt, als langjährig verdiente Fachkraft zu hinterfragen, wieso man selbst nicht das Geld bekommt. Ich würde gerne an alle einen Bonus verteilen. Die Zulage war eher symbolisch gedacht, denn nach Abzug der Steuern bliebe nicht so viel übrig. Symbolisch, denn mein eigentliches Anliegen war es, eine Debatte über die schlechte Bezahlung von Fachkräften in Krippen und Kitas anzustoßen. Erzieher und Erzieherinnen bekommen zu wenig für den Stellenwert, den ihre Arbeit in der Gesellschaft haben müsste. Sie bekommen zu wenig für das, was sie unseren Kindern mit auf den Weg geben. Denn im Grunde wissen wir es: Die ersten Lebensjahre eines Kindes sind prägend für dessen gesamtes Leben. Wer im Kindesalter Zuwendung und Sicherheit erfährt, kann sich später sehr viel besser den Herausforderungen des Lebens stellen, leichter Krisen bewältigen und auch selbst Vertrauen zu anderen Menschen entwickeln. Ich habe allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen einen Brief geschrieben, in dem ich genau das noch einmal erklärt habe.

Tatsächlich gab es aus anderen Bezirken Bedenken und Protest gegen meinen Vorstoß. Die Befürchtung meiner Kolleginnen und Kollegen in den Bezirken war, dass ein Überbietungswettbewerb ausgelöst wird. Richtig ist: Der Wettbewerb läuft schon. Und Neukölln kann mit einem Investitionsstau von fast elf Millionen Euro in Neuköllner Kitas des Eigenbetriebes und der schwierigen Sozialstruktur bisher einfach nicht mithalten. Klar ist aber auch, dass eine einmalige Zulage in Höhe von 1.000 Euro brutto das Problem nicht lösen wird. Mir war es wichtig, hier ein Zeichen zu setzen. Wenn Kommunen ihrem gesetzlichen Auftrag, Kitaplätze bereit zu stellen, nicht mehr nachkommen können, muss etwas geschehen. Von Freien Trägern gab es übrigens keine Beschwerden. Ich denke, dass sie meine Zielstellung verstanden haben.

Erkisi: Mit dem Beschluss des neuen Personalschlüssels für den Krippenbereich in Kitas brauchen wir dringend mehr Fachkräfte. Hat der Senat Konzepte vorgelegt, wie dem Fachkräftemangel begegnet werden kann?

Liecke: Laut Senatsverwaltung gibt es im Jahr 2.200 Absolventen und Absolventinnen an Fachschulen für Pädagogik in Berlin. Allerdings kommen nicht alle in Berliner Kitas unter. Der ErzieherInnenberuf bietet weitläufige Tätigkeitsfelder für Absolventen und Absolventinnen an, wie etwa in Grundschulen und Horten. Einige gehen aufgrund der räumlichen Nähe nach Brandenburg. Dort wird besser bezahlt. Die Arbeit in der Stadt muss anschließend auch angemessen bezahlt werden, damit die Absolventinnen und Absolventen auch nach ihrer Ausbildung hier bleiben.

Erkisi: Haben Sie neben Sonderzahlungen bei Bestehen der Probezeit auch andere Konzepte?

Liecke: Wir schöpfen alle Möglichkeiten aus, die wir als Kitaeigenbetrieb haben. Wer bei uns anfängt, bekommt einen unbefristeten Arbeitsvertrag und wir bieten flexible Arbeitszeitmodelle an. Das allein reicht als Anreiz aber oft nicht aus.

Aus meiner Sicht wurde über viele Jahre verschlafen, für attraktive Rahmen- und Arbeitsbedingungen im ErzieherInnenberuf zu sorgen. Vor allem bei der Bezahlung hat sich fast nichts getan – und das, obwohl die gesellschaftlichen Anforderungen an den ErzieherInnenberuf, den frühkindlichen Bereich, die vielen bürokratischen und auch pädagogischen Standards verbunden mit vielen anderen Anforderungen an Erzieherinnen und Erzieher stetig angestiegen sind. Ich halte in diesem Zusammenhang übrigens auch die vom Senat beschlossene Gebührenfreiheit für Kitas für falsch. Das ist keine Investition in Bildung, sondern das Gegenteil davon: Gut und besser verdienende Eltern werden um mehr als 60 Millionen Euro entlastet – während Kitaplätze fehlen und es von der Decke tropft. Ich habe lieber eine funktionierende Kita als eine billige. Mit dem verbesserten Personalschlüssel für den Krippenbereich ist Berlin auf dem richtigen Weg, auch wenn da immer noch Luft nach oben ist.