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SenioRita

»Ich wünsche mir laute und selbstbewusste Erzieher*innen«

Bärbel Jung über ihre GEW-Karriere und die Zeit ohne Arbeit

Bärbel Jung (2.v.l.), Beate Hadjew (Abteilung KiJuSo, 2.v.r.), Christiane Weißhoff (Vorstand KiJuSo, rechts) und Marion Leibnitz (Vorsitzende Gesamtpersonalrat, links) im September 2012 in New York. (Foto: GEW)

Bärbel, wie war dein Weg in der GEW als Referentin des Sekretariats arbeitsloser Lehrer, Erzieher und Wissenschaftler zur Referentin für den Bereich Sozialpädagogik und Sozialarbeit? Das waren ja beides neu eingerichtete Stellen in der GEW BERLIN.

Ich hatte schon einige Jahre Arbeitslosenarbeit in der GEW BERLIN gemacht als Norbert Hocke, damals Leiter des Vorstandsbereiches Kinder- und Jugendhilfe beim Hauptvorstand der GEW, mich fragte, ob ich Interesse an einem Honorarvertrag hätte. Der GEW-Hauptvorstand wollte mehr Mitgliederwerbung im Bereich Kitas machen. Aktuell ging es um einen angestrebten Tarifvertrag über die Arbeitsbedingungen von Erzieher*innen, also Vor- und Nachbereitungszeiten, Personalschlüssel und Gruppengröße. Damals hatte die Berliner GEW nur wenige Mitglieder in diesem Bereich und Mitgliederwerbung war schon dringend erforderlich. Dafür wurde jemand gesucht, der oder die die Kitas abklappert, die Tarifziele und die GEW vorstellt. Norbert Hocke kam ja aus Berlin und kannte mich. Ich hatte damals nur eine halbe Stelle und habe gerne zugesagt. Zumal ich als ABM-Kraft schon mal in einer Kita gearbeitet hatte und mir das Projekt Tarifvertrag spannend erschien.

 

Und dann bis du losgezogen!

Genau! Und das hat sich alles sehr positiv entwickelt, denn die Erzieher*innen waren sehr stark daran interessiert, dass sich an ihren Arbeitsbedingungen endlich etwas ändert. Wir hatten also starken Zuspruch! Das ging so weit, dass es erste Warnstreiks gab und dann schließlich einen Erzwingungsstreik: Der längste Streik in der Geschichte der GEW und der Erzieher*innen! Es waren über 5.000 Kolleginnen und Kollegen aktiv, die 396 Kitas bestreikt haben!

 

Was sicher auch gut für die Entwicklung der Mitgliederzahlen war!

Das stimmt, wir haben damals sehr viele Mitglieder gewonnen. Hinzu kam noch die Wende, wodurch viele Erzieher*innen der Ostberliner Bezirke in die GEW kamen und der sozialpädagogische Anteil in der Mitgliedschaft stark wuchs. Die mussten aber auch alle betreut werden. So hatte der Vorstand beschlossen, eine Referent*innenstelle einzurichten. Und da ich ja nun die ganze Zeit dabei war, gewissermaßen kampferprobt, wurde ich gefragt, ob ich das machen will. Logisch wollte ich! Das war und ist ein spannender Bereich, eine sehr interessante Arbeit mit vielen netten Kolleginnen und Kollegen. Und die Arbeitslosenarbeit ist auf die Dauer nicht gerade erhebend…. Außerdem war ich froh, eine Vollzeitstelle zu bekommen.

 

Nun ist ja auch ver.di, damals als ÖTV, in diesem Bereich als Konkurrent*in tätig. Wie konnte die GEW dagegen bestehen?

Die ÖTV war ja von ihrem Verständnis her keine Organisation, die sich explizit als Bildungsgewerkschaft verstand. Sie hatten auch diesbezüglich kein Programm und Plan. Es war die kleine GEW, die so etwas gemacht hat. Außerdem haben wir unsere Mitglieder immer sehr intensiv informiert und dafür großen Zuspruch und letztlich viele Mitglieder bekommen. Unsere Positionen, die sich zum Teil vor allem gegen Ende des Streiks von denen der ÖTV unterschieden, wurden von vielen Kolleginnen und Kollegen geteilt. Wir standen insgesamt gut da, was man auch auf der letzten Vollversammlung des Streiks im ICC mitbekam: Der ÖTV-Vorsitzende Kurt Lange wurde ausgebuht, Erhard Laube als GEW-Vorsitzender bekam donnernden Applaus! Allerdings hat sich ver.di seit dieser Zeit auch gewandelt.

 

Wie kann man sich die Situation damals vorstellen?

Nehmen wir mal die Personalversammlungen, wo wir in den neunziger Jahren auf der Redeliste immer nach hinten geschoben wurden, weil die Personalräte von der ÖTV dominiert wurden. Da gab es schon den einen oder anderen Konflikt. Schließlich mussten die ÖTV feststellen, dass ihr Verhalten auch von den eigenen Mitgliedern nicht toleriert wurde. Heute läuft das eher gleichberechtigt ab, da wird gefragt oder verhandelt und nicht einfach durchregiert. Außerdem macht bei fast allen inhaltlichen Entwicklungen die GEW die Vorschläge, ver.di steigt allenfalls später mit ins Boot.

 

Welche Gründe gibt es noch, die die GEW attraktiv machen?

Der wichtigste Grund, weswegen viele in die GEW eintreten, ist natürlich, dass sie ihre Arbeits- und Einkommensbedingungen verbessern wollen. Und selbstverständlich auch, um gewerkschaftlichen Schutz bei Problemen am Arbeitsplatz zu erhalten. Für die Erzieher*innen und Sozialpädagog*innen spielt ja eine Aufwertung ihrer Arbeit eine große Rolle. Dazu gehört auch, dass man materiell bessergestellt wird. Denn von warmen Worten allein, kann niemand die Miete bezahlen. Außerdem haben wir seit 15, 20 Jahren auch sehr stark die Fortbildungsangebote für Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen und Sozialarbeiter*innen ausgeweitet. Diese Seminare werden immer sehr gut nachgefragt. Und, wie gesagt: Wir haben immer einen großen Wert darauf gelegt, aktuell zu sein und alle Mitglieder gut und regelmäßig zu informieren und auch zu Veranstaltungen einzuladen. Das fing schon damals im Streik 1989/90 an, als wir die Streikzeitung herausgegeben haben. Durch diese regelmäßigen Infos ergibt sich natürlich auch ein relativ enger Kontakt der Mitglieder zur GEW.

 

Der Wechsel von einem in den anderen Bereich ging aber für dich ohne Probleme vonstatten?

Ja, was natürlich auch an der guten Unterstützung durch Norbert Hocke und der vieler anderer Kolleginnen und Kollegen lag, die mich als »Quereinsteigerin« und Fachfremde außerordentlich nett in ihre sozialpädagogischen Reihen aufgenommen haben. Und seit Beginn der neunziger Jahre habe ich dann vor allem mit Christiane Weißhoff und Andreas Kraft und in den letzten Jahren mit Doreen Siebernik eng und gut zusammengearbeitet. Das hat mir die Arbeit sehr erleichtert. Es gab natürlich auch außerhalb des Vorstandsbereiches Jugendhilfe viele Kolleginnen und Kollegen in der GEW Berlin, mit denen ich gern zusammengearbeitet habe. In den vielen Jahren hat sich die GEW schließlich doch noch von der reinen Lehrer*innengewerkschaft in Richtung Bildungsgewerkschaft entwickelt. Obwohl ich oft dachte und immer noch denke: Wird das überhaupt noch mal was? Gleichzeitig wünsche ich mir, dass die Erzieher*innen innerhalb der Organisation lauter und selbstbewusster auftreten, ihre Zurückhaktung endlich ablegen.

 

Welcher Teil deiner Arbeit als Referentin hat dir am besten gefallen? Tarifarbeit, Fortbildung, Seelsorge am Telefon?

Das kann ich gar nicht so trennen, denn alles gehörte ja irgendwie zusammen. Bei einer guten Betreuung und einer guten Entwicklungsarbeit kann das eine nicht ohne das andere funktionieren. Wobei wir einen sehr starken Schwerpunkt beim Thema Arbeitsbedingungen haben. Besondere Freude hatte ich aber immer bei Demos, Streiks, großen Veranstaltungen – also dann, wenn es die Chance gab, etwas zu bewegen.

 

Inzwischen geht es vor allem darum, überhaupt noch Personal zu bekommen. Seit wann fordert die GEW eigentlich, dass mehr Erzieher*innen ausgebildet werden sollen?

Ach, das fordern wir seit mehr als zehn Jahren. Wir hatten auch belastbare Berechnungen über die benötigte Zahl der künftigen Erzieher*innen. Trotzdem wurde uns von der Senatsverwaltung und vielen Medien vorgehalten, wir würden übertreiben, alles sei nur Propaganda. Dabei haben wir noch untertrieben, wenn man die heutige Situation sieht. Dabei geht es nicht nur darum, dass man mehr Leute hätte ausbilden müssen, sondern ebenfalls darum, dass man den Beruf durch bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen attraktiver hätte gestalten müssen. Dann wäre zum Beispiel durch eine längere Verweildauer der Erzieher*innen im Beruf die Lücke nicht so groß, wie sie jetzt ist. Vor allem wären jetzt mehr Menschen motiviert, den Beruf zu ergreifen.

 

Jetzt mal wieder zurück zu dir. Dein Rentenbeginn liegt ja noch gar nicht lange zurück. Hast du dich inzwischen schon erholt vom stressigen Arbeitsleben?

Eineinhalb Jahr bin ich jetzt Rentnerin. Aber ehrlich gesagt: So schlimm war das Arbeitsleben auch nicht, dass ich mich davon jetzt mühsam hätte erholen müssen. Ich befürchtete anfangs sogar, dass mir die GEW fehlen würde. Das ist aber erfreulicherweise so nicht eingetreten. Die Umstellung aufs Rentnerinnendasein ging erstaunlich schnell und problemlos. Ich habe ja im Mai aufgehört, da war es schon Sommer und das Prinzenbad war auf, was mir natürlich sehr gefallen hat. Ich kann mir ja jetzt sogar noch etwas Zeit lassen beim Rundendrehen im Wasser, weil ich nicht mehr zur Arbeit muss. Das ist schon schön.

 

Stehst du immer noch so früh auf?

Na ja, nicht ganz. Ich bin jetzt nicht schon um 7 Uhr da wie früher, sondern ein bisschen später, so um 8 oder 9 Uhr. Dann habe ich immer noch Zeit, mich mit Leuten zu treffen. Außerdem reise ich jetzt mehr herum, mache Radtouren.

 

Du bist viel in Osteuropa unterwegs, oder?

Stimmt, das hat mich immer interessiert. Schon als Schulkind habe ich fasziniert in meinem Atlas das Baltikum angeschaut und wollte da mal hin. Jetzt war ich schon in Polen, Weißrussland, Ukraine, Bulgarien und Rumänien – und natürlich auch ein paar Mal im Baltikum. Und im Sommer 2018 war ich in Sibirien am Baikalsee, da wollte ich auch schon immer hin. Dort war ich natürlich ohne Fahrrad.

 

Liegt dein Hang zu Osteuropa vielleicht daran, dass du Wodka-Liebhaberin bist?

Eher umgekehrt. Auf den Wodka bin ich erst in Osteuropa gestoßen und habe festgestellt, dass er mir schmeckt. Ich bin inzwischen Expertin und kenne rund 15 verschiedene Sorten. Erstaunlich, welche Unterschiede es da gibt zwischen den Sorten und den Herkunftsländern. So habe ich auch mittlerweile eine ansehnliche Zahl unterschiedlicher Flaschen zu Hause.

 

Gut. Das wollen wir jetzt nicht weiter vertiefen. Besten Dank für das Gespräch.