Tendenzen
Ideologische Schmalspurbildung
Die Ampel ist Geschichte, aber die Finanzbildungsinitiative der FDP lebt weiter. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung kritisiert deren Einseitigkeit.
Die Fragen beginnen meist mit dem ersten Taschengeld: Wofür gebe ich es aus? Lohnt es sich zu sparen? Sollte ich ein Konto eröffnen? Mit der Volljährigkeit plagen viele Jugendliche dann Fragen zu Verträgen und Versicherungen. »Ich bin fast 18 und habe keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann eine Gedichtsanalyse schreiben. In vier Sprachen.« Mit diesem Tweet löste die Kölner Schülerin Naina Anfang 2015 eine Debatte um zu wenig alltags-taugliches Schulwissen aus.
Knapp zehn Jahre später, im Oktober 2024, veranstalteten die inzwischen ehemalige FDP-Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und ihr damaliger FDP-Ministerkollege Christian Lindner in einem früheren Berliner Pumpwerk an der Spree ein »Festival für Finanzbildung«. Ihr Publikum: 600 Lehrende aus allen Schulformen, Fachkräfte aus der Sozial- und Jugendarbeit sowie der Schuldenberatung, dem Verbraucher*innenschutz und andere. Ihre Botschaft: »Wir brauchen Lernangebote zur finanziellen Bildung, die über Verbraucher*inneninformationen hinausgehen und die Menschen in die Lage versetzen, Wissen über finanzielle und wirtschaftliche Zusammenhänge im Alltag anzuwenden. Den eigenen Handyvertrag zu verstehen, gehört genauso dazu, wie die Altersvorsorge früh in die Hand zu nehmen«, so Stark-Watzinger.
Einseitige Agenda statt pluralistischer Bildung
In Zusammenarbeit mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) soll eine nationale Finanzbildungsstrategie verankert werden. Eine eigens eingerichtete Stiftung entwickelt unter anderem Finanzbildungsinhalte, von pädagogischen Ressourcen bis hin zu Sensibilisierungskampagnen. Bereits an den Start gegangen ist die Finanzbildungswebseite *mitgeldundverstand.de* mit gut 450 Bildungsangeboten wie die Erklärvideoreihe »#Finanzisch: Was sind Fonds, ETFs etc.«, FAQ-Seiten zum Bundeshaushalt oder zu bestimmten Anlageprodukten.
In Kooperation mit Attac Deutschland hat die Otto-Brenner-Stiftung den Hamburger Erziehungswissenschaftler Professor Thomas Höhne beauftragt, das Projekt der beiden FDP-Minister*innen genauer unter die Lupe zu nehmen. Sein Fazit: Die Initiative wird ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht, unabhängige finanzielle Bildung zu fördern. Das eigentliche Anliegen der FDP-dominierten Initiative scheint vielmehr ein parteipolitisches zu sein – es sollen möglichst viele Menschen Lust bekommen, an den Finanzmärkten zu investieren.
Statt die Finanzbildung als breit angelegte, pluralistische Bildungsmaßnahme zu gestalten, wird die Förderung von Investitionen als universelle Lösung propagiert. Hinzu kommen stereotype Darstellungen bestimmter Bevölkerungsgruppen wie Frauen, Senior*innen und Geflüchteter. Ihre Darstellung folgt dem Narrativ einer geteilten Unwissenheit in finanziellen Fragen, das wiederum zur Legitimierung der Initiative genutzt wird.
Höhne kritisiert außerdem, dass soziale und strukturelle Voraussetzungen für den Vermögensaufbau völlig außer Acht gelassen werden. Dies sei besonders problematisch, da nicht alle Menschen über die finanziellen Ressourcen verfügen, um in Aktien zu investieren. Indem die Verantwortung für finanzielle Unsicherheiten auf die Individuen abgeschoben wird, bleiben systemische Ursachen wie ungleiche Vermögensverteilung und prekäre Lebenssituationen unberücksichtigt.
Bedarfsgerechte Werbung und gezielter Lobbyismus
Im FAQ der Finanzbildungswebseite *mitgeldundverstand.de* heißt es zur Frage, an wen sich die Angebote zur finanziellen Bildung richten: »Vor allem an Schüler*innen, junge Erwachsene sowie Frauen mit höheren Einkommen. Andere Personengruppen werden weniger in den Blick genommen. Materialien für die Schule richten sich vor allem an Gymnasien oder allgemein an die Sekundarstufe I. Nur selten sind sie explizit für Gesamt-, Real- und Hauptschulen konzipiert.«
Auf der Finanzbildungswebseite sollen bestehende Angebote aus dem Bereich der finanziellen Bildung gebündelt und ein leichterer Zugang zu diesen ermöglicht werden. Doch die Studie von Erziehungsforscher Höhne zeigt: Nur acht Prozent der insgesamt 449 zur Verfügung gestellten Angebote lassen sich als Bildungsmaterial qualifizieren. Hauptsächlich werden schon bestehende staatliche Informationsangebote ohne didaktisches Konzept präsentiert. Zudem werden zum Teil einseitige politische Positionen als Bildungsmaterial deklariert, wie die Analyse eines Videos zur Schuldenbremse zeigt.
»Bei den frei erhältlichen Materialien überwiegen privatwirtschaftliche Angebote – gerade von der Finanzindustrie. All das gilt besonders für das engere Feld der Finanzbildung. Dass die FDP das fördert, überrascht nicht. Aber es ist dreist, wie hier die eigene ›Finfluencer‹-Blase aus Steuermitteln gefördert wird und wie parteipolitische Positionen als Bildung verkauft werden«, sagt Christopher Altgeld, Projektleiter der Studie bei der Otto-Brenner-Stiftung.
Die GEW-Bundesvorsitzende Maike Finnern spitzt das Anliegen der Initiative mit folgenden Worten zu: »Wer junge Menschen unterm Strich als künftige Käufer*innen auf Finanzmärkten oder privater Altersvorsorgeprodukte in den Fokus stellt, betreibt ideologische Schmalspurbildung. Das Projekt habe erhebliche Defizite mit Blick auf Wissenschaftsbezug, Pluralität und Kontroversität.« Diese seien aber die Grundprinzipien nicht nur der schulischen, sondern der gesamten öffentlich verantworteten Bildung.
Finnern sieht die Gefahr, dass über die »Finanzbildungsplattform« künftig noch mehr unausgewogene Inhalte und privatwirtschaftliche Interessen in Schulen Einzug halten, wie es bereits insbesondere seit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu beobachten sei. »Das Lernen sowie die Kinder und Jugendlichen müssen in öffentlichen Einrichtungen vor Werbung, Kommerz und Wirtschaftslobbyismus geschützt werden. Das ist bei dieser Initiative nicht gewährleistet«, hob Finnern hervor.
Attac hat zeitgleich zur Veröffentlichung der Studienergebnisse die alternative Bildungsplattform *geldmitverstand.de* gelauncht. Hier finden Interessierte eine breite Palette an Bildungsmaterialien, die von der Ministeriumsseite ignoriert wurden. Auch hier geht es um die Themen Geld, Steuern, Kapital und Arbeit sowie die Kosten der sozialen Sicherheit. Der Medienmix reicht von Arbeitsblättern, Buchkapiteln, Podcasts bis hin zu Webinar-Reihen. Die Leitfragen unterscheiden sich deutlich von der Regierungswebseite. Sie lauten: Welche pluralen Perspektiven gibt es in der Wirtschaftswissenschaft? Wie lässt sich Kapitalismus in der Bildungsarbeit thematisieren? Was ist der Wert von Bildung?
So alt wie die Forderung nach finanzieller Bildung ist auch die Kritik daran, denn sie reißt finanzielle Fragen aus dem gesellschaftlichen Kontext, wirkt individualisierend, ist monoparadigmatisch und öffnet Tür und Tor für die Interessen von Finanzkonzernen. Getarnt als Bildungsprojekt hat die FDP mit der steuerfinanzierten Plattform ihre neoliberale Wirtschaftsideologie unter die Leute gebracht.
Es ist ungewiss, wie es nach der Bundestagswahl mit der Finanzbildungsinitiative weitergeht. Ihr Fortbestand hängt davon ab, für welche Richtung sich die Wähler*innen in diesem Lagerwahlkampf letztlich entscheiden.
Studie der Otto-Brenner-Stiftung: Finanzbildung
Bildungsplattform von Attac: www.geldmitverstand.de
Finanzbildungsplattform von BMF und BMBF: www.mitgeldundverstand.de
Thema Finanzen
Aus dem FAQ der Finanzbildungsplattform von BMF und BMBF:
Wie fit ist die Bevölkerung beim Thema Finanzen?
»Zins, Inflation und Aktienmärkte – 62% der Bevölkerung können grundlegende Fragen zur Finanzbildung korrekt beantworten. Allerdings schneiden nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich gut ab. Männer, Personen mit hohen Bildungsabschlüssen und Westdeutsche geben vergleichsweise oft richtige Antworten.«