Zum Inhalt springen

Tendenzen

Immer noch ein Grund zu feiern

Vor 35 Jahren endete die Filmzensur mit der Auflösung der »Kommission zur Begutachtung und Prüfung von Filmen für den Unterricht an Berliner Schulen«

Foto: IMAGO

Ich weiß, dass sich in unserer Gewerkschaft kaum noch Menschen daran erinnern, dass es in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine von der Öffentlichkeit jahrelang unbemerkt agierende Zensurkommission gab, die, wie dem Medienverzeichnis aus dem Jahr 1988 zu entnehmen ist, knapp zwei Dutzend Filme, die von der Landesbildstelle für den Unterricht angekauft worden waren, mit diesem Vermerk versehen hat: »Für die Verwendung im Unterricht an Berliner Schulen nicht zugelassen.«

Diese Entscheidungen wurden von einer Kommission aus sieben Ober- und Schulrät*innen getroffen, die sich gelegentlich zu sogenannten Sichtveranstaltungen traf und dabei das Urteil über die begutachteten Filme sprach. Zu der Kommission zur Begutachtung von Filmen gehörten die Oberschulräte Fedke, Dr. Kendzia, Dr. Lau, Dr. Mastmann, Seiring, Dr. Stroux und die Schulrätin Scherer.

 

Erstklassiges zensiert

 

Opfer der Zensur des Schulsenats waren Filme von erstklassigen Dokumentarist*innen wie Erwin Leiser, Lea Rosh, Prof. Bernward Wember und Peter Heller. Betroffen waren Filme über die Themen Atomkrieg, Friedens- und Rüstungspolitik, Migrations-, Minderheiten-, Sozial- Umwelt- und Medienpolitik. Auch Filme über Rassismus und Neonazismus wurden indiziert.

Die Zensor*innen hatten kein Gespür dafür, dass das Verbot des prämierten Films »Männerrecht – Frauenleid – Türkinnen in Deutschland« der seit Jahren in Berlin lebenden Iranerin Mehrangis Montazami Dabui als ausländer- und frauenfeindliche Maßnahme empfunden werden musste. Viele der indizierten Filme waren von öffentlich-rechtlichen Sendern (ARD/ZDF) in Auftrag gegeben und gesendet worden. Viele waren auf internationalen Festivals oder von unabhängigen Institutionen prämiert worden. Die Liste umfasste am Ende unserer damaligen Recherche zwei DIN-A4-Seiten.

Den Initiator*innen der Filmzensur ging es, wie im Laufe der Auseinandersetzung deutlich wurde, um die Umpolung der Ankaufspolitik der Landesbildstelle und die Durchsetzung eines politisch-pädagogischen Konzepts, das in seiner Abwehr des kritischen Bewusstseins, seiner Bildungsfeindlichkeit und seinem bewusstlosen Konformismus mit den Vokabeln konservativ und reaktionär noch zu anspruchsvoll charakterisiert ist. Hatte nicht Kanzler Helmut Kohl von einer angestrebten geistig-moralischen Wende gesprochen?

 

35 Jahre Filmfreiheit

 

Nach dem Bekanntwerden dieser Maßnahme gab es viele Proteste, vor allem an den Gymnasien und Gesamtschulen. Die »Perspektive Berlin« organisierte in Kooperation mit dem Grips-Theater, der Akademie der Künste und engagierten Lehrkräften von November 1988 bis Januar 1989 öffentliche Filmvorführungen einzelner indizierter Filme und lud zur anschließenden Diskussion die Regisseur*innen, Expert*innen und auch Vertreter*innen des Schulsenats ein. Da schnitten die Herren und Damen aus dem Schulsenat sehr schlecht ab.

Kurz, die Schulsenatorin Laurien, die sich in der öffentlichen Debatte entschieden und lautstark für die Zensurmaßnahmen eingesetzt hatte, hatte den Bogen überspannt und nach der Niederlage der CDU bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus wurde die Kommission von der neuen Schulsenatorin und ehemaligen GEW-Vorsitzenden Sybille Volkholz am 30. März 1989 aufgelöst.

Es ist kaum zu glauben, dass die Berliner Schule schon 35 Jahre ohne eine Filmzensur auskommt, für die sich die Oberschulräte so stark gemacht hatten. Fraglos gibt es an den Berliner Schulen viele Probleme, aber diese sind nicht das Resultat der Auflösung der Zensurkommission vor 35 Jahren.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46