Schulbau
In Berlin regiert oft noch der alte Geist
Ein Interview mit dem Architekten Wolf-Emanuel Linsenhoff über seine Schulbauten in Brandenburg und die Situation in Berlin.
Herr Linsenhoff, Sie haben mit Ihrer Schule in Birkenwerder eine Vorzeigeschule geschaffen: sechseckige Klassenräume, die sich zum Flur hin öffnen. Wie ist das zustande gekommen?
Linsenhoff: Birkenwerder ist der Versuch, reformpädagogische Ideen räumlich, organisatorisch und architektonisch angemessen umzusetzen. Wir haben uns aber auch die Zeit genommen, um mit den Schüler*innen und den Lehrkräften über ihre Wünsche und die geplante Schulbauarchitektur zu diskutieren. Unser Anspruch war und ist ja auch, mit den vorhandenen Mitteln und der vorgefundenen Situation das Beste zu machen.
Was das heißt, kann man gut an den Fluren unserer Projekte in Birkenwerder und Mühlenbeck sehen. Wir haben dort statt des dunklen Flurs, über den man fliehen kann, Brandschutzbereiche geschaffen. Anstelle der undurchsichtigen Brandwände können wir daher innerhalb der Brandschutzbereiche zum Teil verglaste Wände bauen, wodurch Blickkontakt durch die akustisch hochwertigen Glaswände und flexible Wände möglich ist. In den Klassen mit der Verglasung Richtung Flur, der kein Flur mehr ist, sondern eine Lernfläche, kann die Lehrkraft frontal unterrichten oder nach Bedarf Gruppen- und Einzelarbeit einstreuen. Die Flure sind also nicht nur schön hell dadurch, sondern können auch sehr vielfältig genutzt werden.
Gab es dabei keine Probleme mit den Behörden?
In Birkenwerder und in Mühlenbeck hatten wir die volle Unterstützung des Bauherrn. Der zuständige Landrat Schröter wollte ausdrücklich moderne Schulen und hat uns deswegen bei unserem etwas ungewöhnlichen Vorgehen immer unterstützt. Sonst wäre das nicht in der Form machbar gewesen. Man muss es sich aber natürlich gut überlegen und den notwendigen Durchsetzungswillen haben bei der kreativen Kompensation des Brandschutzes. finanziell ergeben sich insgesamt nur geringfügige Unterschiede. Eine Evaluation der neuartigen Räume war insgesamt positiv.
Wolf-Emanuel Linsenhoff studierte 1970 bis 1975 Architektur in Aachen und Berlin. Von 1976bis 1982 arbeitete er in Architekturbüros in Berlin und war am Schulbau des Oberstufenzentrums Neukölln beteiligt. Seit 1990 arbeitet er mit Partnern im eigenen Architekturbüro. In Brandenburg und Berlin realisierte er mehrere Schulneu- und Umbauten. Informationen dazu unter www.fld-architekten.de.
Noch mal zurück zur Planungsphase. Wie hat die ausgesehen?
Der Landrat als Bauherr wollte unbedingt sechseckige Klassenräume. Wir haben herausgefunden, dass die Christoph-Columbus-Grundschule in Reinickendorf vergleichbare Räume hat. Die ist 1968 in Anknüpfung an das moderne Bauen der zwanziger Jahre von Sergius Ruegenberg gebaut worden. Wir sind dann mit all den Leuten vom Landkreis dort hin und haben einen Probeunterricht gemacht, denn die Frage war, ob solche Räume überhaupt für den Unterricht geeignet sind. Allerdings war der Vergleich etwas schwierig, da die Räume in Reinickendorf so um die 40 qm hatten, wir aber für Birkenwerder Klassenräume mit 80 qm geplant hatten.
Berlin als Vorbild?
Ja, eigentlich, aber in Berlin ist es aktuell leider oft so, dass nicht neuartige Schulen gebaut werden, sondern Schul-raum geschaffen wird. Die Beachtung in Fachzeitschriften ist häufig vorrangig und nicht, dass der Bau als Schule gut funktioniert. Nach den siebziger Jahren wurden in Berlin nur wenige moderne Schulen gebaut. Und die guten Schulen, die davor gebaut wurden, haben mehr oder weniger an die zwanziger Jahre angeknüpft. Danach galt dann oft: quadratisch, praktisch, gut.
Wir haben in Berlin relativ viele alte Schulen, die aussehen wie Kasernen und innen auch so gestaltet sind. Kann man mit denen überhaupt noch etwas machen für eine moderne Schule?
Ja, na klar. Man muss nur wissen wie. Diese elend langen Flure lassen sich durchaus umbauen. Als Architekt kann man sich da einiges einfallen lassen, das haben ja Architekten wie »die Baupiloten« gezeigt. Entscheidend ist dabei, wie man mit den Brandschutzbestimmungen umgeht. Wir haben das in Birkenwerder hinbekommen, weil wir das Konzept hatten, eine frei bespielbare Fläche zwischen den zwei Treppenhäusern zu errichten, also diese Lernflächen.
Aber der Brandschutz ist ja noch mehr: es darf nichts Unbewegliches dort stehen, der Fluchtweg muss klar erkennbar sein. Wie haben Sie das denn alles hinbekommen?
Da muss man als Architekt mit den zuständigen Behörden und Fachleuten kämpfen. Auch hier gilt wieder, dass die Behörden kooperativ sein müssen oder dazu gezwungen werden können, nicht immer nur stur an den althergebrachten Maßnahmen festzuhalten. Aber es stimmt, viele in Berlin haben noch die Kaserne im Kopf. Es gab ja in Berlin nicht nur wenig Geld, sondern auch erhebliche mentale Sperren gegen alles Neue. Nicht umsonst heißt es unter Architekt*innen: In Berlin wollen sie eher Kisten. Zumindest muss es von außen erst mal so aussehen. Wie man mit wenig Geld auch gute Architektur hinbekommt, hat aber schon Scharoun gezeigt. Nicht nur bei der Philharmonie, sondern auch beispielsweise diese Schulen in Lünen und Marl in Nordrhein-Westfalen. Die sind genial und funktionieren heute noch.
Na, aber der Entwurf für die Neuköllner Clay-Oberschule der Staab Architekten ist doch auch gut!
Ja, alles wunderbar, aber vor allem innen. Von außen musste es wieder eine Kiste sein. Sonst hätten die nicht gewonnen!
Kommen wir wieder auf Ihre Bauten zurück. Die sind ja sehr schön, aber in Ihrer Darstellung der Schule spielen die Arbeitsräume des pädagogischen Personals keine Rolle.
Na ja, wir haben durchaus gute Arbeitsräume mit unserem dezentralen Lehrkräftezimmer geschaffen. Zwar wird bemängelt, dass sie zu klein sind, das sollte man beim nächsten Mal besser machen. Aber bei unserer Evaluation kam heraus, dass nach anfänglichem Fremdeln, insbesondere wegen der Glaswände zum Flur, viele inzwischen sehr zufrieden sind. Zumal wir extra fürs Lehrkräftezimmer eine Kaffee-Ecke gebaut haben, was uns von Expert*innen sehr empfohlen worden war.
Aber sonst haben die Lehrkräfte in Birkenwerder nichts? Nur dieses eine dezentrale Lehrkräftezimmer?
Es gibt natürlich auch noch ein zentrales Lehrkräftezimmer im Altbau.
Über 80 Schulen müssen in Berlin neu gebaut werden, zahlreiche bestehende Schulen saniert und vergrößert werden. Spüren Sie schon die wachsende Nachfrage?
Noch ist nichts zu merken. Das muss ja auch erst noch vorbereitet werden. Außerdem, Berlin liebt ja anscheinend erst recht die Kiste in Form von Modulen. Da darf man mal gespannt sein, was das noch wird. Ich bin gar nicht gegen Module, wenn man sich klarmacht, dass diese Kisten kein Problem lösen, sondern nur Notstände mildern. Ganz davon abgesehen, dass auch die Module Geld kosten, das dann möglicherweise für einen vernünftigen Schulbau fehlt.
Man könnte das Interesse und den Druck für einen besseren Schulbau ja auch durch weitere Veranstaltungen fördern. Etwa indem man die von Ihnen gebauten Schulen besucht?
Ja, das wäre nicht schlecht. Über den Tellerrand schauen ist immer gut. Dafür böte sich insbesondere die Schule in Birkenwerder an. Aber auch Vehlefanz wäre interessant, auf unsere Nashorn-Bibliothek von 1993 bin ich noch heute stolz. Sie funktioniert hervorragend und prägt das Schulleben entscheidend mit. Vehlefanz war übrigens die erste neu gebaute Schule nach der Wende in Brandenburg.
Zum Schluss: Was geben Sie uns mit als Zukunftsaussicht für die Schulbauarchitektur?
ch würde in Zukunft noch flexibler bauen. Also ein Skelettbau bei dem alle Innenwände flexibel sind, man nicht an die einmal geschaffenen Räumlichkeiten gebunden ist, sondern diese, je nach Geld und pädagogischen Anforderungen, möglichst unkompliziert verändern kann. Der Fußboden als Verbundestrich mit etwas dickeren Betondecken als Schallschutz. Das spart langfristig sehr viele Kosten.
Ulrich Meuel, ehemaliger stellvertretender Schulleiter der Fritz-Karsen-Schule und Klaus Will, ehemaliger geschäftsführender Redakteur der bbz