Schwerpunkt "Rechte Strategien"
Jugendliche im Visier
Die Unterwanderung von Sub- und Jugendkulturen durch Rechtsextreme hat Tradition. Auch heutzutage versuchen diese, das Potential von Musik und Medien zu nutzen.
Die wechselhafte Beziehung des Rechtsextremismus zu Jugendkulturen hat eine lange Tradition. Einerseits stehen Neo-Nazis und andere extrem Rechte den Subkulturen regelmäßig kritisch bis feindlich gegenüber, da diese Jugendlichen erlauben, sich jenseits traditioneller gesellschaftlicher Normen ganz neu zu erfinden. Dies steht der von der extremen Rechten propagierten Treue zur Tradition und einer Jugend im Dienst des Volkes diametral entgegen. Andererseits wurde von Rechten immer wieder auch das Potenzial von Jugendkulturen erkannt und genutzt, um an Jugendliche heranzukommen. Das reicht zurück bis in die Weimarer Republik, in der Teile der Bündischen Jugend – stark an der Wandervogel- und Pfadfinderbewegung orientiert – rechte Jugendstrukturen aufbauten, über den Nationalsozialismus, der die Jugend durch Schule und Hitlerjugend zu einer großen Bewegung zusammenschließen wollte. Eigenständige Jugendkulturen wie zum Beispiel die »Swing Kids« wurden verboten, verfolgt und in Konzentrationslagern inhaftiert.
Extrem Rechte unterwegs in Jugendkulturen
In den 1970er und 1980er Jahren nutzten Neo-Nazis etwa die Fußballstadien und Hooligan-Gruppen, die sich um die Mannschaften aufbauten, für die Agitation. Auch die klassischen »Skinheads« sind ein Beispiel für die rechte Unterwanderung von Jugendkulturen. Weder die Hooligan- noch die Skinhead-Szene, die heute stark mit der extremen Rechten assoziiert werden, sind ihrem Ursprung nach rechtsextrem. Skins waren vor allem Jugendliche aus der sogenannten »Arbeiterschicht«, die sich stilistisch von den modebewussten Glam Rockern und den Hippies abgrenzen wollten. Der Hooligan-Szene wiederum ging es darum, aufgestaute Aggressionen in mehr oder weniger »organisierten« Schlägereien zwischen verschiedenen Gruppen abzubauen.
Extrem rechte Gruppen nutzten aber auch bestimmte Musikrichtungen für die Verbreitung ihrer Ideologie, vor allem Rock und Metal. Seit Anfang der 1990er Jahre gibt es in Deutschland eine große Rechtsrockszene, als deren prominentestes Beispiel die Band Landser gilt. Die Szene trifft sich häufig auf illegalen Konzerten und Festivals. Im »Projekt Schulhof-CD« verteilten Neonazis im Jahr 2004 über zehntausend kostenlose Rechtsrock-CDs in der Nähe von Jugendtreffs und Schulen. Die NPD griff die Idee auf und nutzte CDs im Rahmen von Wahlwerbung.
Angesichts der steigenden Beliebtheit von HipHop diskutierten Alt- und Neonazis ab der Jahrtausendwende, ob sich das nicht auch nutzen ließe, um junge Menschen zu erreichen. Ein Teil der rechten Szene fand die Idee absurd, ausgerechnet eine dem Ursprung nach afro-amerikanische und auch in Deutschland migrantisch geprägte Jugendkultur zu unterwandern. Andere Rechte sahen das eher pragmatisch und vor allem die große potentielle Reichweite. Ohne, dass je ein Konsens erzielt wurde, starteten die ersten Aktivitäten. Es bildete sich für ein paar Jahre eine aktive rechte Graffiti-Szene, die auch mit rechten Sprayern aus Polen im Kontakt war. Daneben tauchten ab dem Jahr 2000 auch die ersten Rechts-Rapper auf. Am Anfang noch ungeübt und wenig ansprechend für Rap-Fans, im Laufe der Jahre aber zunehmend skill-sicherer und selbstbewusster. Rechts-Rapper wie MaKss Damage und Chris Ares gelten als die ersten ernstzunehmenden NS-Rapper und schlugen auch in den Medien hohe Wellen. Aktuell lässt sich Rechtsextremismus in diversen Jugendkulturen und auf unterschiedlichsten Plattformen finden: Nach wie vor ganz klassisch unter Hooligans, im Rechtsrock oder der rechten Metal-Szene, aber auch im Rap oder Graffiti. Zudem gibt es zunehmend rechte und rechtsextreme Influencer*innen auf YouTube und Instagram. Im Zuge dieser Annäherung an Social Media wurden vor allem von der Identitären Bewegung Symbole und Motive der Linken übernommen, teilweise wurden Schriftzüge regelrecht kopiert.
Extreme Rechte unterwegs in der Gaming-Community
Dennoch ist deutlich, dass der Erfolg von extremen Rechten in verschiedenen Szenen sehr unterschiedlich ausfällt: NS-Rap ist kein Massenphänomen. Ganz anders sieht das zum Beispiel in der Gaming Community aus: Hier finden extrem rechte Gruppen zum Beispiel auf dem Messenger- und Sprachkonferenz-Anbieter Discord oder der Vertriebs- und Kommunikationsplattform Steam regelmäßig großen Zulauf. Die Größe der Plattformen sowie mangelhafte Moderation tragen dazu bei, dass sich Neonazis dort weitestgehend ungestört ausleben und austauschen können. Akteur*innen der extremen Rechten sind dabei oft in In-Game-Chats von Strategiespielen mit Bezug zum Zweiten Weltkrieg wie »Hearts of Iron IV« zu finden, aber auch rund um Shooterspiele wie »Call of Duty« oder »Counter Strike«. Shooterspiele sind Computerspiele, in denen Menschen zum Beispiel Soldat*innen spielen und Feinde abschießen. Toxisch und gefährlich an diesem Teil der Szene ist nicht das Töten in Spielen: Forschungen haben mittlerweile verlässlich gezeigt, dass Ego-Shooter per se nicht anfälliger für Gewalttaten machen. Sehr toxisch und gefährlich ist aber ein nicht gerade kleiner Teil der Gaming-Szene, der sich in seiner Verachtung für Frauen und queere Menschen, aber auch in seinem Antisemitismus und Rassismus gegenseitig bestätigt und weiter anstachelt. Dies reicht bis hin zu offener Bewunderung für Rechtsterrorist*innen wie Breivik, Tarrant und Sonboly oder das NSU-Trio, die in Highscore-Tabellen aufgeführt werden und deren Konterfeis auf zahlreichen Nutzerprofilen erscheinen. Dass Rechtsextremismus in der Gaming Community Fuß fassen konnte, sagt also auch etwas über die Community selbst. Wenn Rechte sich in Jugendkulturen etablieren wollen, setzen sie an bestehenden Diskursen und bereits vorhandener gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit an: an Queerfeindlichkeit unter Skinheads, Gewaltbereitschaft bei Hooligans, Sexismus im Rap und in der Graffiti-Szene, aber auch in der Rock- oder Metal-Szene sowie an toxischer Männlichkeit und menschenverachtenden Diskursen im Gaming.
Da Jugendkulturen und politische Anliegen häufig eng verknüpft sind, kann es für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen enorm bereichernd sein, sich mit Jugendkulturen, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer Unterwanderung durch extrem rechte Gruppen vertiefend auseinander zu setzen.