Wenn dein starker Arm es will
Kampf um die grüne Oase
Die Freie Universität Berlin hat die Beschäftigten des Botanischen Gartens in eine Tochterfirma ausgegliedert, um Kosten zu senken. Die Mitarbeiter*innen wehrten sich erfolgreich.
Seit 1889 bietet der Botanische Garten seinen Besucher*innen einen eindrucksvollen Einblick in die Pflanzenwelt. Im Jahr 1995 wurde der Botanische Garten vom Land Berlin an die Freie Universität (FU) übergeben. Bereits im Jahr 2003 begann die FU damit, Dienste systematisch auszugliedern. Das ist eine beliebte Strategie von öffentlichen Einrichtungen und privaten Firmen, um durch niedrigere Löhne die Kosten zu senken. Sie entgehen damit Tarifverträgen und minimieren die soziale Absicherung ihrer Beschäftigten. Anstatt sich diesen Entwicklungen zu unterwerfen, beschlossen die Beschäftigten, sich zu wehren. Ihr Kampf war erfolgreich und ist ein positives Beispiel dafür, wie Kolleg*innen in einem Betrieb ihre Interessen durchsetzen können.
In einem Interview berichten zwei Beteiligte von ihren Erfahrungen und zeigen, welche Taktiken zum Erfolg geführt haben. Die Fragen an Lukas Schmolzi, ehemaliges Mitglied des Betriebsrats des Botanischen Gartens und Ronald Tamm, ver.di-Vertrauensmann, stellte Linda Guzzetti.
Guzzetti: Was unterscheidet die Situation am Botanischen Garten von anderen öffentlichen ausgegliederten Betrieben, den sogenannten Töchtern?
Schmolzi und Tamm: Was das Lohndumping betrifft, gibt es große Parallelen zu anderen ausgegliederten Betrieben in Berlin. Es ist aber so, dass unsere Rückführung wesentlich einfacher für den Senat zu finanzieren war, als es in anderen Betrieben der Fall ist. Das liegt daran, dass am Botanischen Garten nur rund 70 Beschäftigte vom Lohndumping betroffen waren. Beim Charité Facility Management (CFM) zum Beispiel handelt es sich um 3.200 Beschäftigte. Allerdings kann »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« nicht davon abhängig gemacht werden, wie viele Menschen betroffen sind.
Wie wurde das Lohndumping am Botanischen Garten organisiert?
Schmolzi und Tamm: Die FU umging den Tarifvertrag der Länder, TV-L, indem sie die Beschäftigten in eine 100-prozentige Tochter ausgliederte. Die Löhne in der Betriebsgesellschaft bewegten sich von Anfang an auf einem Niveau, das am treffendsten mit dem Begriff »Armut durch Arbeit« charakterisiert ist. So wurden zum Beispiel zeitweise für den Besucher*innenservice gerade einmal 6 Euro brutto in der Stunde gezahlt.
Hat der Übergang in die Zuständigkeit der FU Einfluss auf die Arbeitsbedingungen gehabt?
Schmolzi und Tamm: Ja, für die FU war entgegen aller Beteuerungen der Botanische Garten ein Klotz am Bein, in den man nur ungern Geld investierte. Die Kosten für gärtnerisches Personal konnte man nicht so einfach reduzieren, ohne auch die Pflanzenbestände zu reduzieren. Trotzdem baute man Personal ab. Die Pflanzenbestände begannen zu leiden. Ein Stich ins Herz der Wissenschaftler*innen und Gärtner*innen. Auch Besucher*innen des Gartens begannen sich zu beschweren. Gärtnerische Aufgaben lassen sich nicht aufschieben und zu einem späteren Zeitpunkt nachholen.
Warum ist es im Jahr 2015 zu einem gewerkschaftlichen Kampf gekommen?
Schmolzi und Tamm: Der Kampf hat schon sehr viel früher begonnen, unserer Erinnerung nach im Jahr 2007. 2015 wurde er öffentlich. Schon seit den ersten Ausgliederungsversuchen kämpfte eine Vielzahl der Beschäftigten gegen die Privatisierung und das Lohndumping, was uns den nicht ganz ernst gemeinten Ruf des gallischen Dorfes der Freien Universität einbrachte. Als sich die Öffentlichkeit für die Arbeitsbedingungen zu interessieren begann, waren die mickrigen Löhne das stärkste Argument. Wir waren trotz Arbeit arm!
Was ist entscheidend für den Erfolg gewesen? Wie ist es möglich gewesen, dass der Kampf der Beschäftigten des Botanischen Gartens so viel Solidarität erfahren hat?
Schmolzi und Tamm: Neben einer sehr engagierten Gewerkschaftsarbeit durch ver.di arbeiteten wir mit Gruppen wie dem gewerkschaftlichen Aktionsausschuss, Labournet e.V., Arbeitsunrecht Deutschland, Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht, Klasse gegen Klasse und Günter Wallraffs Verein Work Watch zusammen. Diese Gruppen können Erfahrungen aus anderen Arbeitskämpfen weitergeben. Jede der Gruppen hat einen eigenen Schwerpunkt. Die Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht unterstützt Betriebsräte und Beschäftigte bei Gerichtsverhandlungen und berichtet anschließend darüber. Der gewerkschaftliche Aktionsausschuss half uns auch mit politischen Verantwortlichen in Kontakt zu kommen. Der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebes hatte sehr gute Fachanwälte für Arbeitsrecht an seiner Seite, die sich über ihren juristischen Auftrag hinaus für die Belange der Beschäftigten einsetzten. Rechtsanwalt Reinhold Niemerg besuchte während des Arbeitskampfes jede Betriebsversammlung. Er hielt themenbezogene Vorträge zu strittigen Fragen. Das gab den Beschäftigten Rechtssicherheit. Wir konnten daraufhin den Verunsicherungsversuchen der Geschäftsführung gelassener entgegentreten.
Ein weiteres starkes Mittel zur Durchsetzung unserer Forderungen war eine lebhafte Betriebsgruppenarbeit eng verzahnt mit der Betriebsratsarbeit und natürlich die Streiks! Wir erstellten online einen Aktionskalender, auf den alle Gewerkschaftsmitglieder Zugriff hatten. Dort trugen wir die Veranstaltungen der Parteien ein. Wir besuchten kleine Stadtteilgrillfeste der SPD, aber auch große Veranstaltungen im Bundestag. Diese Aktivitäten haben die Arbeitsbedingungen im Botanischen Garten bekannt gemacht und für Empörung in der Bevölkerung gesorgt. Wir haben verstanden, dass wir selbst aktiv werden müssen und nicht die Gewerkschaft für alles verantwortlich machen können. Wir hatten unseren eigenen Kopf und setzten diesen auch durch!
Wir besuchten politische Veranstaltungen und ergriffen immer wieder das Mikrofon, um zum Beispiel den Regierenden Bürgermeister Michael Müller direkt zu fragen, wie er gedenkt, die Zustände im Botanischen Garten zu verbessern. Politiker*innen sind ja bei öffentlichen Auftritten bemüht, ein gutes Bild abzugeben, gerade im Wahlkampf. Einige Male konnten wir Politiker*innen dann eine Aussage abringen, die wir in den Verhandlungen oder in der anschließenden Öffentlichkeitsarbeit weiter verwendeten. Wir sind auch nicht nur den Einladungen zu DGB-Veranstaltungen gefolgt, sondern überraschten Politiker*innen mit unserem Erscheinen auf Veranstaltungen, auf denen sie nicht mit uns rechneten.
Was ist der heutige Stand? Welche Probleme sind ungelöst?
Schmolzi und Tamm: Heute sind alle diejenigen, die in der Betriebsgesellschaft angestellt waren, bei der Freien Universität beschäftigt und werden nach TV-L bezahlt. So wie es sein sollte: ein Betrieb und ein Tarifvertrag eben mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Einige Bereiche sind allerdings weiterhin outgesourct, wie die Tischlerei, die Schmuckgärten und der Reinigungsservice. Auch der Personalmangel im gärtnerischen Bereich ist ein ungelöstes Problem. Es gibt weiterhin stillgelegte Flächen und das neu gebaute Victoriahaus konnte mangels Personal noch nicht für die Besucher*innen geöffnet werden. Der Vollständigkeit halber muss man aber auch sagen, dass sich durch den unnachgiebigen Kampf der Beschäftigten sehr viel zum Positiven gewendet hat. Die betriebliche Situation ist mit der vor zehn Jahren nicht vergleichbar.
Über euren Kampf habt ihr sogar ein Buch geschrieben. Es heißt »Der Aufstand der Töchter – Gemeinsam staatlich organisierte prekäre Beschäftigung überwinden«. Wie seid ihr darauf gekommen?
Schmolzi und Tamm: Man sagte uns, unser Kampf sei exemplarisch für viele andere Arbeitskämpfe im öffentlichen Sektor. Wir wollten das hier Aufgeführte etwas deutlicher darlegen und zeigen: Kämpfen lohnt sich! Wir begannen deshalb unsere Erlebnisse aufzuschreiben. Heute sind wir sehr froh, dass dieses Buch entstanden ist. Es macht für die Öffentlichkeit und die Kolleg*innen im Betrieb alles noch mal verständlicher.