Schwerpunkt "Ankommen nach der Flucht"
Kein Ausweg aus der Warteschleife
Menschen, die kürzlich oder vor langer Zeit nach Berlin geflüchtet sind, haben es sehr schwer, hier eine Wohnung zu finden. Das hat verschiedene Gründe, die im Rahmen eines Forschungsprojektes untersucht wurden.
Seit den russischen Angriffen gegen die Ukraine laufen in Berlin wieder die Vorbereitungen auf neuankommende Geflüchtete auf Hochtouren. Fluchtbewegungen stiegen zuletzt nach dem US-Abzug aus Afghanistan und der Machtüberahme der Taliban im August 2021 merkbar an. Auch global betrachtet sind steigende Höchstwerte an vor Gewalt, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen fliehenden Menschen zu verzeichnen.
Berlin nimmt rund fünf Prozent der bundesweit ankommenden Asylsuchenden auf. Im Jahr 2021 waren es 7.762 Personen. In der Bundesrepublik ist jedes Bundesland dazu verpflichtet, den zugewiesenen Geflüchteten eine Unterkunft zu stellen. Die Geflüchteten selbst haben kein Mitspracherecht bei der Wahl der Unterbringungsform und des Wohnsitzes, an den sie temporär durch eine »Wohnsitzregelung« gebunden sind. Die Wohnsitzregelung bedeutet im Wesentlichen, dass Geflüchtete nach Abschluss des Asylverfahren verpflichtetet sind, drei Jahre in demjenigen Bundesland wohnhaft zu bleiben, wo ihr Asylverfahren stattfand.
Kaum Chancen auf dem Wohnungsmarkt
In diesem Kontext treffen Geflüchtete lokal teils auf sehr unterschiedliche Bedingungen. Auch heute kündigt sich wieder an, dass die in Berlin bereitgestellten Unterkunftsplätze für neuankommende Geflüchtete sehr knapp sein dürften. Das liegt unter anderem auch daran, dass viele temporärere Unterkünfte, die 2015 für Geflüchtete eingerichtet wurden, noch immer bestehen und zum Teil voll besetzt sind. Und das, obwohl fast die Hälfte aller Geflüchteter, die in Berliner Gemeinschaftsunterkünften leben, längst das Recht hätten, in privaten Wohnraum zu ziehen.
Laut dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) Berlin sind derzeit noch 70 Gemeinschaftsunterkünfte in Betrieb (Stand: Februar 2022). Viele Unterkunftsbewohner*innen finden auf dem Berliner Wohnungsmarkt schlicht keine Wohnung. Und das hat verschiedene Gründe: Dazu gehören staatliche Regularien (wie die Wohnsitzregelung), hohe Mietpreise, Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sowie fehlende Unterstützungsleistungen für Geflüchtete bei der Wohnungssuche.
Starke Verbindungen zum Kiez
Das ist eines der zentralen Ergebnisse, zu dem unser Forschungsprojekt »Nachbarschaften des Willkommens« unter der Leitung von Dr. Nihad El-Kayed an der Humboldt-Universität zu Berlin gekommen ist. Das Forschungsteam untersuchte zwischen 2017 und 2021 in vier verschiedenen Nachbarschaften vier deutscher Städte die Bedingungen der lokalen Aufnahme von Geflüchteten vor dem Hintergrund der Migrationsverwaltungskrise und der Wohnungskrise.
Eines der Untersuchungsgebiete liegt in Berlin-Kreuzberg. Hier ist der Wohnungsmarkt seit einigen Jahren immer angespannter und das auch im sozialen Wohnungsbau. Im Zuge der Fluchtmigration seit 2015 erfolgt die Unterbringung von Geflüchteten im Quartier vor allem in Gemeinschaftsunterkünften. In der Nachbarschaft haben sich die Unterkunftsbewohner*innen schnell verankert und vernetzt. Doch trotz diverser Ankunftsstrukturen, die viele Sprachen und Bedürfnisse abdecken, können Hürden insbesondere beim Zugang zum knappen Wohnraum bisher nicht in ausreichendem Maße überwunden werden.
In unserer Studie benennt der Großteil der interviewten Geflüchteten, Sozialarbeiter*innen und lokalen Akteure*innen den Zugang zu Wohnraum als eine der zentralsten Herausforderungen für Geflüchtete. So zeigt sich, dass für viele der befragten Unterkunftsbewohner*innen Kreuzberg zwar zum Lebensmittelpunkt geworden ist, sie ihre Chancen auf eine Wohnung jedoch als sehr gering einschätzen.
Geflüchtete werden Opfer von Betrug
Eine Unterkunftsleiterin berichtet von einem großen Unterstützungsbedarf hinsichtlich der Wohnungssuche, die sich nie nur auf Kreuzberg beschränkt. Diesen Bedarf könne die Unterkunft aus Kapazitätsgründen nicht decken. Es existierten bisher auch kaum Anlaufstellen für Beratung, Informationen und Begleitung bei der Wohnungssuche. Die Aussichtlosigkeit führe zum Teil dazu, dass Geflüchtete auf informelle, betrügerische Vermittlungen zurückgriffen. Zum Teil werde das Geld gezahlt, aber keine Wohnung vermittelt. Solche Makler*innen seien besonders bei Familien zunehmend zu einer zentralen Informations- und Vermittlungsquelle geworden. Sie profitieren von den Zugangsbarrieren, mit denen Geflüchtete bei der Wohnungssuche konfrontiert sind. Dazu gehören die Beantragung von einzureichenden Dokumenten, die Zusammenstellung von Bewerbungsunterlagen sowie Übersetzung von Wohnungsanzeigen und bei Wohnungsbesichtigungen.
Da auch die Kreuzberger Unterkunft in absehbarer Zeit schließen soll, wächst hier der Druck, eine Wohnung zu finden. Viele Bewohner*innen wollen vermeiden, in Berliner Außenbezirke zu ziehen, da sie dort rassistische Übergriffe befürchten, berichtet die Unterkunftsleiterin. Eine Geflüchtete, die in der Kreuzberger Unterkunft lebt, erzählt, dass sie gerne in ihrem Viertel wohnen bleiben möchte, denn hier fühlt sie sich sicher. Sie sieht aber auf dem undurchsichtigen Wohnungsmarkt und aufgrund von Sprachbarrieren etwa bei der Kommunikation mit Wohnungsanbieter*innen kaum eine Chance auf Erfolg.
Gute Beispiele aus Kreuzberg
Um die Situation von Geflüchteten – ob bereits länger ansässig und neuangekommen – zu verbessern, bedarf es schließlich verschiedener Maßnahmen zur Öffnung des Wohnungsmarktes für Geflüchtete als zentraler Bestandteil einer stabilen Ankommens- und Willkommensstruktur. Auf Basis der Studie haben wir dazu gemeinsam mit den Praxispartnern des Projekts – dem Verein Kotti-Coop e.V. in Berlin-Kreuzberg, dem Hamburger Verein für interkulturelle Bildung dock europe e.V., dem Sozialamt der Stadt Stuttgart sowie dem Ausländerrat Dresden e.V. – Handlungsempfehlungen erstellt. Darunter fallen die Bereitstellung von mehr bezahlbarem Wohnraum, die Aufhebung restriktiver Wohnsitzregelungen, effektive Antidiskriminierungsmaßnahmen sowie die Finanzierung öffentlicher Beratungs- und Unterstützungsdienste bei der Wohnungssuche.
Ein Kreuzberger Beispiel für die Stärkung von Wohnungsberatungsangeboten zum Schutz vor Diskriminierung ist »Fair Mieten – Fair Wohnen. Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt«, die von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung finanziell gefördert und in Kooperation mit einem Stadtforschungsbüro und dem Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) betrieben wird. Außerdem bietet das Projekt »Wohnscouting – Begleitung bei der Wohnraumsuche für Geflüchtete« in der Trägerschaft des Vereins Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. in Berlin--Kreuzberg aktive Unterstützung bei der Wohnungssuche – an solch bestehenden Projekten könnten öffentliche Beratungsdienste anknüpfen.
Der gesamte Forschungsbericht »Nachbarschaften des Willkommens: Bedingungen für sozialen Zusammenhalt in super-diversen Quartieren« ist verfügbar unter: Forschungsbericht