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Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit

Kein Raum für Kinder

Der Berliner Immobilienmarkt bedroht die frühkindliche Bildung. Zwei Eltern berichten von der Suche nach neuen Räumen für ihren existenzgefährdeten Kinderladen.

Foto: Imago

»Liebe Eltern, leider müssen wir euch die äußert unschöne Nachricht überbringen, dass unsere Vermieterin uns die Kinderladen-Räume gekündigt hat, wovon wir alle ziemlich geschockt sind, wie ihr jetzt sicherlich auch.« Schock trifft den Zustand, in dem wir uns nach dem Lesen dieser Zeilen im Mai 2022 befanden, tatsächlich ganz gut. Wir, das sind die Eltern eines Zweieinhalbjährigen, der seine Kita liebt und bei dem nach einem langen Corona-Winter mit viel Ungewissheit endlich so etwas wie Normalität im Alltag eingekehrt war. Nun ist die Kita durch die Kündigung der Räumlichkeiten, die zum Mai 2023 wirksam wird, akut bedroht und die Unbeschwertheit ist verflogen: Als täglich belastend und insgesamt deprimierend beschreibt ein Vater das Gefühl seit der Kündigung.

 

Ausweichräume und finanzielle Reserven fehlen

 

Dass eine Kündigung der Räume für unsere Kita als Ganzes existenzbedrohend ist, liegt daran, dass wir ein Kinderladen, also eine relativ kleine Elterninitiativ-Kita (EKT) mit kleinem Trägerverein sind. Kinderläden als selbstverwaltete Betreuungseinrichtungen gibt es seit den 60er Jahren in ganz Berlin. Sie zeichnen sich durch innovative pädagogische Konzepte, engagierte Erzieher*innen und die enge Einbindung der Eltern aus. Sie sind Gemeinschaftsprojekte, das heißt Eltern und Erzieher*innen entscheiden zusammen, wie der pädagogische Alltag gestaltet wird, und auch die Kinder haben Mitspracherecht. Diese für die Kinder und die pädagogische Arbeit so gewinnbringenden Strukturen machen uns nun in der Situation der Kündigung besonders verletzlich. Die relativ kleine und nicht profitorientierte Organisationsstruktur einer Elterninitiativ-Kindertagestätte erschwert den Umgang mit einer Kündigung der Kita-Räume enorm. Anders als große Träger können wir nicht kurzfristig auf Ausweichräume oder größere finanzielle Reserven zurückgreifen.

 

Prekäre Situation ist seit Jahren bekannt

 

Wir sind kein Einzelfall: Laut Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS) waren in den letzten Jahren fast 80 Kinderläden in Berlin von Kündigungen oder exorbitanten Mietsteigerungen betroffen. Das Problem ist bekannt und bereits 2019 hat der DaKS ein entsprechendes Positionspapier veröffentlicht, um das Land Berlin auf die prekäre Situation aufmerksam zu machen. In unserem Fall ist nun ein Kinderladen betroffen, den es seit mehr als 15 Jahren im Kiez gibt, der ebenso lange ein verlässlicher und liquider Mieter war und in dem bis zu 20 Kinder von einem Erzieher*innen-Team betreut werden, das seit über zehn Jahren in dieser Konstellation besteht. Wie gut dieses Team zusammenarbeitet, merken wir unseren Kindern jeden Tag an. Der Kinderladen ist darüber hinaus ein wichtiger Ort der Begegnung und Vernetzung für uns Familien. Über die Zusammenarbeit im Verein und die gesellige Atmosphäre sind neue Bekanntschaften und Verbindungen entstanden, die unser Leben im Kiez bereichern.

 

Seit Monaten an der Belastungsgrenze

 

Die drohende Schließung der Kita bedeutet, dass alle bei der Raumsuche und den vielen organisatorischen Dingen, die anstehen, mit anpacken müssen. Zur Ungewissheit, ob es unsere Kita nächstes Jahr überhaupt noch geben wird, kommt also jede Menge Arbeit hinzu. Der ehrenamtliche Vereinsvorstand arbeitet seit Monaten an der Belastungsgrenze. Inzwischen liegt ein halbes Jahr vergebliche Arbeit hinter uns: Kontaktaufnahmen zu Makler-*innen, Politiker*innen, zum Jugendamt, zu Immobiliengesellschaften, das Entwerfen und Verteilen von Flyern, die Gründung von Arbeitsgruppen, Malen von Transparenten, Informieren der Kieznachbarschaft, Kontaktierung ehemals bedrohter Kinderläden. Mehr als 120 Objekte in einem Radius von bis zu fünf Kilometern haben wir kontaktiert, einige besichtigt. Zwar gibt es freie Gewerberäume, doch sind diese bisher alle entweder zu teuer oder bestimmte Kriterien der Kita-Aufsicht waren nicht erfüllt. Es wurde schnell deutlich, dass sich mit den Mittelzuweisungen vom Senat die verlangten Mietkosten meist gar nicht decken lassen. Währenddessen wird das Zeitfenster für die Suche immer enger, da neue Räume, wenn sie denn gefunden werden, meist nach den Vorgaben der Kita-Aufsicht aufwendig renoviert werden müssen.

 

Eltern und Erzieher*innen engagieren sich gemeinsam

 

Doch so ausweglos die Lage hier scheint, Eltern und Erzieher*innen arbeiten weiter an Lösungen und geben nicht auf. Die Aussicht, dass unsere Kinder durch eine drohende Kita-Schließung aus festen Bindungen, Routinen und Beziehungen und Freundschaften gerissen werden, dass die Kinder auf unterschiedliche Kitas verteilt werden, und die Tatsache, dass dadurch ein großes Stück ihrer vertrauten Welt verschwindet, sind unser Ansporn weiterzumachen. Und auch die Erzieher*innen bringen sich weiterhin engagiert in die Suche ein. Für sie würde die Schließung der Kita den Verlust des Arbeitsplatzes und eine Neuorientierung in der Kitalandschaft bedeuten. Sie müssten eine über Jahre gewachsene Teamstruktur aufgeben, ebenso ein pädagogisches Konzept, hinter dem sie alle stehen und das sie selbst kontinuierlich weiterentwickeln. Wenn am Ende wirklich keine Räume gefunden werden sollten, müssen neue Kita-Plätze gefunden werden. Die Eltern müssen dann neue Eingewöhnungsphasen einplanen und sehr wahrscheinlich auch weitere Wege in Kauf nehmen. Dies würde geschaffene Routinen zerstören und ist oft nicht gut mit einer Erwerbstätigkeit zu vereinbaren. Nicht jeder Arbeitgeber reagiert verständnisvoll, wenn erneut Elternzeiten beantragt werden oder flexiblere Arbeitszeitregelungen erbeten werden.

Von Seiten des Bezirks wurden den Eltern Ersatz-Kitaplätze zugesichert, sollte es tatsächlich zu einer Auflösung des Kinderladens kommen. Das stellt für uns aber höchstens eine Notlösung dar. Die Kita ist für Eltern und Erzieher*innen viel mehr als ein Aufbewahrungsort, der den Eltern die Erwerbstätigkeit ermöglicht. Wir wollen die gewachsenen Strukturen in der Kindergruppe, die Freundschaften, die enge Beziehung zu den Erzieher*innen und das kindorientierte Konzept der Kita erhalten – für uns und für die nächsten Familien. Hinzu kommt, dass das Versprechen des Bezirksamts nicht überzeugend wirkt: In der Bezirksregion, in der sich die Kita befindet, gibt es laut Kita-Förderatlas aktuell keine Platzreserven. Die Betroffenheit und die Unterstützungszusagen verschiedener Politiker*innen haben bisher nichts genützt. Der Bezirk verfügt über zu wenig Flächen und eine Anmietung privater Flächen wurde bisher nicht in Erwägung gezogen. Einmal mehr, so scheint es, wird die Verdrängung von sozialen Einrichtungen akzeptiert, weil ein privatwirtschaftliches Unternehmen seine Büroflächen vergrößern will. So ist die Kündigung unserer Räume nicht nur ein Problem für Eltern, Kinder und Erzieher*innen. Es zeigt sich hier, dass das Land Berlin keine Handhabe gegen Verdrängung hat und offensichtlich auch keine Vision, wie sich die Kita-Landschaft nachhaltig verlässlich und in einer gewissen Vielfalt gestalten lässt.  

 

Wir freuen uns sehr über Raum-Hinweise an raumsuche(at)kinderleben-berlin(dot)de.
Infos zu Kinderläden in Berlin sind zu finden unter: www.daks-berlin.de.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46