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Schwerpunkt „Gesund in kleineren Klassen“

Kein Yoga mit der KMK

Die Berliner Lehrkräfte sind streikbereit wie nie für kleinere Klassen.

Foto: Christian von Polentz

Bei klirrender Kälte haben wir am 8. Februar unseren bisherigen Streikrekord für kleinere Klassen aufgestellt: 4.000 Kolleg*innen haben vor dem Roten Rathaus dafür gesorgt, dass die noch- und vielleicht wieder-Regierende richtig kalte Füße bekommt. Am Folgetag diskutierten wir dann mit nochmals überwältigender Beteiligung von gut 3.000 Kolleg*innen darüber, wie wir den Druck auf die politisch Verantwortlichen erhöhen wollen. Denn noch nie haben wir als GEW BERLIN ganze neun Tage lang gestreikt, ohne dass uns auch nur ein Gespräch angeboten worden wäre.

 

Streiken gegen die Zitronenpresse

 

In Zeiten des Jahrhundert-Lehrkräftemangels ist unsere Forderung nach kleineren Klassen nicht absurd, sondern aktuell wie nie. Denn nur mit guten Arbeitsbedingungen lassen sich Menschen für den Lehrberuf gewinnen und können gesund ihre Arbeit machen. Um dahin zu kommen, braucht es jedoch den politischen Willen, endlich mehr Geld für gute Bildung in die Hand zu nehmen – unter anderem um 3.000 Lehrkräfte jährlich in Berlin auszubilden. Denn der Mangel hat System.

Nachdem jahrelang die Prognosen für Lehrkräftebedarf kleingerechnet wurden, zielen die Arbeitgeber nun auf Verdichtung und Qualitätsabsenkung. Denn man habe schließlich Lehrkräftemangel. Wohlwissend, dass immer nur eine gewisse Wochenarbeitszeit für Menschen leistbar ist, versuchen sie stetig die Klassengröße und das Stundendeputat hochzuschrauben. Die Kolleg*innen sollen bis zur Erschöpfung arbeiten oder ihre Arbeit schlechter machen, scheint das Ziel. Zuletzt wurde Kolleg*innen in Sachsen-Anhalt Ende Januar eine Unterrichtsstunde mehr aufgebrummt.

Für Berlin traut sich der von Senatorin Busse einberufene Qualitätsbeirat entgegen der KMK-Position laut eines inoffiziellen Papiers jedoch nicht, offen eine Erhöhung der Klassenfrequenzen vorzuschlagen. Hier zeigt sich: Tarifpolitik wirkt! Wir als GEW BERLIN legen mit unserer Forderung nach einem Tarifvertrag Gesundheitsschutz den Tarifhebel an die Arbeitsbelastung. Kein Wunder, dass die Arbeitgeber in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) einen solchen Entlastungstarifvertrag scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Denn dann wäre Schluss mit der Zitronenpresse! In der TdL entscheiden übrigens alle 16 Länderfinanzminister*innen. Das rechtfertigt aber noch lange nicht, dass vor allem in den letzten Jahren alle Forderungen der Arbeitnehmer*innen, egal ob Inflationsausgleich, Arbeitsentlastung oder bessere Eingruppierungsregelungen, mit dem Kostenargument weggewischt werden. Nachhaltige Finanzpolitik bedeutet auch nachhaltige Arbeits- und Sozialpolitik. Wenn ein Arbeitgeberverband zu dieser Erkenntnis nicht in der Lage ist, muss ein Berliner Finanzsenat sich dann einer solchen Entscheidung beugen? Oder wäre es vielmehr angezeigt, sich der berechtigten Forderungen der eigenen Beschäftigten anzunehmen und nach Lösungen zu suchen? Rhetorische Fragen, finden wir. Und ohne einen Austritt Berlins aus dem Arbeitgeberverband zu fordern, worin die Unikliniken in NRW letztlich für sich den einzigen Weg zu einem Entlastungstarifvertrag sahen, finden wir, dass ein Berliner Finanzsenat auch mal kräftig auf den Busch klopfen darf, anstatt sich immer nur dahinter zu verstecken. Spätestens 2025, wenn das Ende der »Ausnahmegenehmigung« für die Gewährung der Berliner Hauptstadtzulage pünktlich zum nächsten Wahltermin endet, wird man sich über diese Haltung eingehend Gedanken machen müssen.

Am zweiten Streiktag haben wir uns Zeit genommen für Strategieberatungen. Die Bezirksleitungen und die Abteilung zentralverwaltete und berufsbildende Schulen haben gemeinsam mit ihren bezirklichen Tarifkommissions-Mitgliedern dezentrale Streikcafés organisiert. Rund 300 Kolleg*innen trafen sich in Friedrichshain-Kreuzberg im Zirkuszelt, mehr als 200 Kolleg*innen diskutierten in Neukölln und knapp 200 in Tempelhof-Schöneberg. Auch in allen anderen Bezirken fanden Aktionen unter hoher Beteiligung statt.

Diskutiert wurde, wie der Druck auf die politisch Verantwortlichen erhöht werden soll. Mehrtägige Streiks sind erfahrungsgemäß für viele Kolleg*innen eine hohe Hürde. Wir fühlen uns für den Lernerfolg unserer Schüler*innen so verantwortlich, dass wir ihre Förderung selbst unter den schlechtesten Bedingungen nicht aufgeben mögen. Das bedeutet nicht selten die Missachtung unserer körperlichen und psychischen Gesundheit. Gefahr für Gesundheit und Bildung aber sind widrigen Bedingungen, nicht ein oder zwei Streiktage. Es belastet, nicht allen Lernenden gerecht werden zu können und die geliebte Arbeit schlecht ausführen zu müssen. Es macht auf Dauer krank, wenn das Privatleben wieder mal zurücksteht, weil sich auf dem Schreibtisch die Korrekturen stapeln. Vielleicht, so diskutierten die Kolleg*innen, müssen wir endlich die Reißleine ziehen und in mehrtätige Streiks treten, damit endlich Gespräche beginnen können. An einigen Tischen wurde auch über einen unbefristeten Erzwingungsstreik diskutiert.

Die Kolleg*innen waren sich einig, dass die Eltern und die Schüler*innen wichtige Partner*innen in der Auseinandersetzung sind, denn sie sind von mangelnder Bildungsqualität in zu großen Klassen betroffen. Sie sind dankbar für die Unterstützung durch den Landeselternausschuss und den Landesschüler*innenausschuss und wünschen sich, dass noch mehr Eltern die Streiks unterstützen. Auch ist klar, dass Schule aus Sicht der GEW ein Ort der multiprofessionellen Teams ist. Bisher konnten Erzieher*innen an Schulen nicht in das Tarifprojekt einbezogen werden. An einigen Schulen haben es die Kollegien geschafft, dass Unterrichtsausfall am Streiktag zumindest nicht dazu führte, dass Erzieher*innen dies mit Betreuung auffangen mussten. Aber immer mehr Erzieher*innen wünschen sich, selbst für kleinere Gruppen in den Arbeitskampf zu ziehen. Ein wichtiges Signal für Kolleg*innen ist die Unterstützung des Tarifkampfes durch den Verband Berliner Schulleiter*innen in der GEW. Schulleitungen verstehen ihre Rolle in der »eigenverantwortlichen« Schule nicht darauf verkürzt, den Mangel zu verwalten.

Auch über den Einfluss der nun beginnenden Verbeamtung von Bestandslehrkräften wurde diskutiert. Beamt*innen dürfen nicht streiken, aber es gibt viele kreative Wege den Streik zu unterstützen, zum Beispiel Betriebsgruppen organisieren, logistische und moralische Unterstützung in der Streikvorbereitung leisten oder außerhalb der Unterrichtsverpflichtung an den Demos teilnehmen. Verbeamtete Kolleg*innen verbinden vielleicht die Förderung der schulgesetzlich verankerten Querschnittsaufgabe Demokratiebildung mit einer Exkursion zur Streikkundgebung. Es ist keine Voraussetzung für die Verbeamtung, sich als Tarifbeschäftigte*r nicht an Streiks beteiligt zu haben.

Am Abend des zweiten Streiktages hatten wir die bildungspolitischen Sprecher*innen aller demokratischen Abgeordnetenhausfraktionen zur Podiumsdiskussion über die Forderungen der Streikenden nach kleineren Klassen ins Gewerkschaftshaus eingeladen. Die LINKE, Grüne und CDU sprechen sich in ihren Wahlprogrammen noch immer deutlich für kleinere Klassen aus, auch die SPD will zumindest an sogenannten Brennpunktschulen die Klassengrößen verringern, die FDP unterstützte das Tarifprojekt ebenfalls deutlich. Auf dem Podium waren sich die Politiker*innen weitgehend einig, dass es nach den Wahlen endlich Gesprächsangebote geben, aber für kleinere Klassen zunächst die personellen und räumlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssten. Richtig, aber unsere Kolleg*innen lassen sich nicht auf die lange Bank schieben.

 

Nach der Wahl ist vor den nächsten Streiks, wir erwarten jetzt konkrete Schritte

 

Die Streikenden haben die politisch Verantwortlichen deutlich aufgefordert, endlich für Entlastung und verlässliche Schritte zu besseren Arbeitsbedingungen zu sorgen. Dafür braucht es ein klares Bekenntnis für eine höhere Priorität der Bildung, egal welche Farben der Koalitionsvertrag trägt! Wir werden den Druck erhöhen müssen, wenn wir nicht endlich Taten sehen.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46