bbz 09 / 2019
Keine Angst vor »dziewięćdziesiąt dziewięć«
Auf der polnisch-deutschen Sommerakademie in Ustroń bereitet nicht nur das Sprachenlernen Kurzweil. Schöne Natur, reiche Kultur und spannende Diskussionen lassen die zwei Wochen wie im Flug vergehen
»Uwaga, uwaga!« Achtung, Achtung! Die temperamentvolle Lehrerin hält mal wieder eine sprachliche Stolperfalle für unsere Anfängergruppe bereit. Nein, einfach ist Polnisch nicht gerade. Aber Polen ist unser Nachbarland und in einer Stunde erreichbar. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Sprachakademie finden es gut, eine geistige Herausforderung wie Polnisch zu haben. Etliche haben familiäre Bezüge zu Polen und interessieren sich deshalb für Land und Sprache. In jeweils drei Niveaugruppen wird vormittags Polnisch beziehungsweise Deutsch unterrichtet. Es ist verblüffend, wie viele polnische Teilnehmerinnen dieser Sprachakademie hervorragend Deutsch können, wie engagiert und wissbegierig sie sind.
Beeindruckend sind auch die Schulprojekte, die bereits zwischen beiden Ländern laufen. Eine Schule in Schleswig-Holstein hat zum Beispiel im Programm, dass alle Jugendlichen verbindlich einmal an einer Begegnung mit polnischen oder anderen östlichen Nachbarn teilnehmen. So wie es seit Jahren in der Bundesrepublik einen Austausch mit französischen Schulklassen gibt, soll es nun auch einen Austausch mit osteuropäischen Schulklassen geben. Bei den Berichten über all diese Begegnungsprojekte wurde besonders die Hilfsbereitschaft des Deutsch-Polnischen Jugendwerks hervorgehoben.
Es lohnt sich, anständig zu sein
Wenn der Kopf von den gefühlten 2000 neuen Vokabeln brummt, gibt es Ausflüge, Kulturangebote, Diskussionen und Vorträge. Die Themen und Varianten sind vielfältig: von der Frühgymnastik zum Schmuckbasteln, vom Ausflug in alte Bauernhütten und hochmoderne Brauereien (leider nur ein einziges Bier zum Verkosten) zum Sessellift oder Bootfahren. Von einheimischer Folklore bis zum abendlichen Singen auf der Terrasse, wobei die Polen eindeutig überlegen sind. Sie kennen weitaus mehr Liedertexte als die deutsche Delegation. Daran muss noch gearbeitet werden!
In Diskussionsrunden ging es unter anderem um den diesjährigen Streik der polnischen Lehrkräfte oder um Umweltschutzprojekte an den Schulen. Wer über den beeindruckenden Schriftsteller, Journalisten und Politiker Władysław Bartoszewski nichts weiß – es lohnt sich, über ihn nachzulesen. Wir hatten das Glück, seinen persönlichen Referenten zu erleben, der leidenschaftlich zwei Stunden im Stück reden und dabei fehlerlos vom Deutschen ins Polnische und zurück wechseln kann. Bartoszewski, der zehn Monate in Auschwitz litt, am Warschauer Aufstand teilnahm und nach dem Krieg etliche Zeit in polnischen Gefängnissen verbrachte, war stets um Dialog und Aussöhnung bemüht. Sein Leitspruch: »Es lohnt sich, anständig zu sein«. Was er wohl von der aktuellen polnischen Politik halten würde?
Polnischlernen ist gut fürs Hirn
Die Unterkunft, das gewerkschaftseigene Dom Nauczyciela (»Haus des Lehrers«), ist gemütlich und komfortabel. Unsere »Herbergseltern« Sylwia und Marek bemühten sich buchstäblich rund um die Uhr, alle Wünsche zu erfüllen. Schade, dass so wenig junger Nachwuchs an dieser Sprachakademie teilnimmt. Leute, lernt Polnisch, das ist gut fürs Hirn, für die nachbarschaftlichen Beziehungen und für den wichtigen Gesprächsaustausch! Begegnungen mit polnischen Schulklassen lassen sich leichter organisieren als mit Costa Rica, Kasachstan oder Südafrika.
Zur Ermunterung für alle zukünftigen Teilnehmerinnen noch ein kleiner Bericht, wie mein erster Polnisch-Versuch im Stadtzentrum von Ustroń verlief. Eine Passantin reagierte auf meine Fragen mit »Do you speak English?«. Im Restaurant bekam ich statt eines einzigen Steaks sechs Teller mit Beilagen und zwei Steaks. Zu allem Überfluss sagte ich dann noch zu der Kellnerin »Ich lade Sie herzlich ein!«, statt »Entschuldigung!« Trotzdem oder gerade deshalb, ich würde sofort wieder mitfahren. Allein, um viele der interessanten und engagierten Menschen wiederzutreffen!