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Schule

Keine Schule für alle

Yassin hat ein Recht auf Inklusion, das in der Praxis nicht viel wert ist. Inklusion wird an vielen Regelschulen immer noch nicht umgesetzt.

Foto: GEW

Yassin liegt in der Kita auf einer weichen Matratze. Zwei Kinder liegen neben ihm. Eine Erzieherin liest ein Buch vor und eine Helferin drückt vorsichtig Sonden-Nahrung über eine große Spritze in einen Schlauch, der aus Yassins Bauch kommt. Nichts Besonderes für die Kitakinder und das Personal. Streit um die Spritze gibt es schon lange nicht mehr. Jedes Kind hat inzwischen eine zum Spielen zu Hause. Es ist der letzte Tag in der Kita. Für viele aus der Gruppe geht es nach den Ferien in die Schule. Was für viele Familien schon aufregend genug ist, ist für Yassins Vater ein Kampf, den er jetzt zu verlieren droht. Dabei ist das Recht auf der Seite von Yassin und seiner Familie, das Recht auf inklusive Bildung.

Doch es scheint ein Recht, das in Berlin nicht umgesetzt wird. Yassin hat einen sonderpädagogischen Förderbedarf und er braucht Assistenz und Unterstützung. Er spricht nicht mit Worten, er spricht mit dem Körper und benötigt einen Rollstuhl. Sein Blick, seine Hände, seine Körperspannung, all das zeigt an, wie es Yassin gerade geht und was er vielleicht braucht. Sein Vater möchte nach der gemeinsamen Kita für ihn das Recht auf inklusive Bildung umsetzen. Er hat für Yassin eine inklusive Schwerpunktschule im Stadtteil beim Schulamt angegeben. Diese inklusive Schwerpunktschule ist auf Kinder mit körperlichen und kognitiven Förderbedarfen eingestellt. Doch der Schulplatz wird abgelehnt. Man könne Yassin dort nicht betreuen, heißt es. Der Vater meldet beim Schulamt den Wunsch nach einer weiteren inklusiven Schule an. Die Schule hat jahrzehntelange Erfahrungen mit Kindern mit so genannter »schwerer Mehrfachbehinderung« und inklusivem Unterricht. Beide Schulen sind berühmte Schulen im Kiez und haben Preise für inklusive Bildung gewonnen, die ihre hervorragende inklusive Arbeit auszeichnen. Beide Schulen lehnen Yassin ab. Warum ist das überhaupt möglich?

Ein Anspruch auf einen Schulplatz ist leider durch den Passus im Schulgesetz eingeschränkt, dass: für eine angemessene Förderung die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten vorhanden sein müssen. Ansonsten wird von der Schulbehörde ein Ausschuss eingerichtet.

Ein Finanzierungs- oder Ressourcenvorbehalt wie er im Berliner Schulgesetz zu finden ist, wie in anderen Bundesländern übrigens auch, ist »gemessen am völkerrechtlichen Maßstab der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 24 Absätze 1 und 2 UN-BRK) unzulässig«.

Dort darf der Vater nochmal seinen Wunsch vortragen, aber die Schulleitung begründet in diesem Ausschuss ihre Ablehnung. Und der Grund dieser Ablehnung ist so alt und unverändert wie nicht gewollte Inklusion als schulpolitische Riesenbaustelle nur sein kann, es fehlt an diesem und es fehlt an jenem und weil wir in so einem armen Land leben, können diese Mittel auch nicht beschafft werden, zum Beispiel eine Person, die Yassin durch die Sonde ernähren, oder eine Liege, auf der er liegen kann.

Der Vater weiß, es sind Schulen, die jahrzehntelange Erfahrung mit Inklusion haben und sie hatten schon oft Kinder, die sondiert wurden und auch mal liegen müssen. Aber Yassin scheint ein Kind zu viel zu sein.

 

Ein Recht ohne Wirkmacht

 

Die Umsetzung des Rechts auf inklusive Bildung läuft schleppend, teilweise rückschrittlich oder die Entwicklung stagniert. Mancherorts werden sogar neue Förderschulen gebaut, die dann auch gefüllt werden.

Zurück zu Yassin. Der Ausschuss bei der Schulbehörde hat entschieden, dass weder die eine hervorragende inklusive Schule noch die andere, beide in Wohnortnähe von Yassin, das Kind aufnehmen kann und muss. Das Motto »die Hilfe muss dem Kind folgen und nicht umgekehrt«, wird mit dieser Entscheidung versenkt. Yassin soll auf das nahe gelegene Förderzentrum für »geistige Entwicklung« gehen. Dort seien alle Mittel vorhanden. Eine andere inklusive Schule wird der Familie nicht angeboten.

Zwar hat der Vater auf dem Papier das Recht auf eine inklusive Beschulung, doch nutzt es ihm wenig, wenn die Schulrätin ihm sagt: »Entweder stimmen Sie zu, dass Yassin auf die Förderschule kommt oder Sie müssen selber sehen wie Sie irgendeine allgemeine Schule für ihn finden.«

Yassin ist einfach »zu schwer behindert«, als dass eine Schule bereit wäre ihn zu nehmen. Nichtsdestotrotz, verkündet der zuständige Jugendstaatssekretär stolz, dass die Inklusion in der Grundschule »vollständig umgesetzt« sei.

Inklusion braucht keine Zeit, sondern den Willen sie umzusetzen. Den Ressourcenvorbehalt beim Recht auf inklusive Bildung anzuwenden, ist nach UN-Recht gar nicht zulässig, da es sich um eine Diskriminierung handelt, wenn Kinder gegen ihren Wunsch ein Förderzentrum besuchen müssen.

Yassin ist ein Kind, das gerne »Shaun das Schaf« guckt, beim Duft von Rosmarin entspannt und bei lauter E-Gitarrenmusik fröhlich mit den Händen zuckt. Sein Recht auf inklusive Bildung nutzt ihm nichts.

»Rechte ohne Ressourcen zu besitzen, ist ein grausamer Scherz« (Julian Rappa-port).     

 

Yassin ist nicht der echte Name des Jungen.

 

Der vollständige Text mit allen rechtlichen Bezügen ist nachlesbar auf:
inklusionsfakten.de/ein-recht-das-kein-recht-ist-gegen-den-willen-auf-die-foerderschule

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46