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Volle Kassen olle Klassen

Kinder, atmet nicht so viel

Pädagog*innen, Eltern und Kinder leiden unter den Zuständen an Berliner Schulen. Die schwierige Rolle der Schulleitungen wird oft übersehen. Bei ihnen ballen sich die Probleme. Unsere Redakteurin hat sich an der eigenen und an den Nachbarschulen umgehört

Die Kassen sind voll. Die Klassen auch. Und trotzdem fehlt es an allem. Die Öko-AG der Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg durfte dies erst neulich erfahren. Mit allerlei Messgeräten bewaffnet, suchen die AG-Mitglieder nach Ideen, Nachhaltigkeit besser an der Schule umzusetzen. Mit einer langen Liste stehen sie eine Stunde später vor mir. »In Raum 29 heizt die Heizung wie verrückt, wir brauchen Thermostate!«, »Der uralte stinkende Teppich, das Milbenparadies im Computerraum, muss raus! Wir können da ja kaum atmen!«, »Und in den Toiletten möchten wir Fußballtore in den Pissoiren, damit die Jungen besser zielen!« Meine Miene verrät, dass ich gerade mit mir kämpfe, nicht zu weinen oder zu lachen. »Unten im Keller ist ein riesiges Materiallager, da findet ihr grüne, blaue, rote Fußballtore und einen 1a Teppich, direkt neben den Thermostaten!« Omran, schon mit einem Satz auf der Kellertreppe, wird von meinem lauten Lachen aufgehalten. »Wir sind doch kein Laden, ihr Lieben, und die Mittel für Ausstattung sind nicht ausreichend. Aber wir schauen, was sich machen lässt.«

Manchmal kostet Demokratie dann wohl Geld, möchte sie erfolgreich sein, denke ich und begleitete die Gruppe zur Kollegin. Die wartet bereits mit 26 Kindern, die Hälfte mit besonderem Förderbedarf und Sprachanfänger*innen, in ihrem Klassenraum, damit wir die jüngst von uns angebrachten CO2-Messgeräte des Lüftungswettbewerbes kontrollieren. Diese piepen ständig nach fünf Minuten Unterrichtszeit. Die Kontrolle bringt Erschreckendes zu Tage. Nicht die Geräte sind das Problem, sondern der viel zu kleine Klassenraum. Durch die nach den Februarferien erreichte Gesamtzahl der Schüler*innen ist der CO2-Gehalt des Raumes so hoch, dass Lernen eigentlich kaum bis gar nicht möglich ist. Da schlagen die Geräte Alarm. Super, denke ich, und bitte die Klasse freundlich in Zukunft weniger zu atmen. Beim Umschauen frage ich mich, wo die zwei Kinder Platz finden sollen, die in der nächsten Woche nicht an der Klassenfahrt teilnehmen werden und auch hier beschult werden sollen.

Schlange stehen bei der Schulleitung

Mit den Messergebnissen und der »Wunschliste« gehen wir zu unserem Direktor, der uns bittet, die »Studie« auszuweiten. Vielleicht bekämen wir eine Lüftungsanlage zur Nachrüstung des Klassenraumes, wenn wir die Überbelegung und die daraus resultierende Belastung beim Lernen nachweisen können.

Beim 100 Jahre alten Teppich sieht er keine Chance, denn schließlich werde ja jetzt irgendwann mit den nötigen Baumaßnahmen begonnen, so hofft er. Wenn das so lange dauert wie im Seitenflügel, können wir getrost noch ein paar Jahre warten.

Nicht nur Reinigungspersonal, Hausmeister*innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen sind den Folgen der Versäumnisse des Senats in Hinblick auf Sanierung, Instandhaltung und Neubau ausgesetzt, sondern auch Schulleitungen. Sie sind die Exekutive der Inklusion, der Gemeinschaftsschulreform und der sogenannten Schulbauoffensive. Schulleitungen haben dementsprechend derzeit viel zu tun. Neben der Schul-, manchmal auch Campusleitung, sind sie oft auch die Bauherr*innen vor Ort. Neben Lehrkräften mit Ausstattungswünschen stehen die Firmen Schlange vorm Büro und alle wollen bedient werden. Dazu kommen zusätzliche Sitzungen ohne Ende. Eigentlich wären im Rahmen der Schulbauoffensive Verwaltungsstellen nötig, aber auch hier wird gespart. Sind Schulleitungen auf Bausitzungen, fehlen sie oft den Kollegien vor Ort.

Neben den Belastungen durch die Bauarbeiten sitzen ihnen oft die Fachbereichsleiter*innen im Nacken, weil trotz voller Kassen überall die notwendige Ausstattung fehlt. Eine Schulleiterin berichtet: »Heute morgen stand die Grundstufe auf der Matte, es fehle an Flurschränken, und obwohl ich das bereits beim Bezirksamt bemängelt und mich gekümmert habe, ist bislang nichts passiert. Danach kam die Elternsprecherin, um sich über die sanitären Anlagen zu beschweren. Die Sekretärinnen baten dann in der Mittagspause um mehr Sekretariatsausstattung. Dann kam der Sportfachbereichsleiter, um sich zu erkundigen, ob die alte Erstausstattung der Schule an Sportgeräten bereits die 100 Jahre Marke erreicht habe.«

Unser Gespräch wird durch einen Telefonanruf unterbrochen. Dann erzählt die Schulleiterin weiter: »Der Fachbereichsleiter Chemie wollte wissen, ob es beim Bezirksamt feste Ansprechpartner*innen für fachliche Reparaturen gäbe und wies darauf hin, dass die Gasanlagen seit 20 Jahren bestünden. Dann wollte er wissen, warum das Bezirksamt ihm den notwendigen Geschirrspüler verwehrt habe, ob er weiterhin seine Kolben mit der Hand auswaschen müsse. Und ob es eigentlich flexibles Geld für Verbrauchsgegenstände wie Batterien gebe. Außerdem wollte er digitale Messgeräte haben. Zur Verstärkung hatte er eine Informatiklehrkraft dabei, die um zuverlässige mobile Endgeräte bat, um die Digitalisierung erfolgreich vorantreiben zu können. Spätestens nach der großen Pause fiel das WLAN wieder aus, der Techniker musste her. Schüler*innen kamen und baten, das Problem dieses Mal schneller zu beheben als letzte Woche.«

Um Inklusion oder offene, vom Senat ja eigentlich gewünschte, Unterrichtsformen umzusetzen, fehlt es an Platz. Eigentlich fehlt es an allem. Nicht nur Bauen und Platz sind das Problem, denn es müsste endlich einen Beschluss geben, der Schulen eine regelmäßige Grundsanierung zusichert. Außerdem bleibt das riesige Personalproblem bestehen. Die Kollegien bekommen immer mehr Zusatz- und Verwaltungsaufgaben aufgedrückt, die Verteilung der Kinder ist ungerecht, die Stunden für den sonderpädagogischen Förderbedarf müssen an einigen Schulen in die Ausbildung der Quereinsteiger*innen investiert werden, damit die Schulen auf lange Sicht genug Personal haben. Schulen im sogenannten Brennpunkt sind am Rande ihrer Kapazitäten, der Krankenstand steigt, die Arbeitsbelastung wird unerträglich. Und was fällt dem Senat dazu ein? Eine ungerechte »Brennpunktzulage«, die an willkürliche und realitätsferne Kriterien geknüpft ist und für manche Erzieher*innen sogar finanzielle Verschlechterungen statt Verbesserungen bringt.

Es fehlt an allem

Eine Grundschulleiterin berichtete mir jüngst, dass sie nur zwölf Stunden zusätzlich für zwölf Klassen bekäme, in denen sie im Schnitt vier Kinder mit Förderstatus »inkludiere«. Der Druck auf Schulleitungen lastet ungemein, denn gute Schulleitungen wollen den Kindern, Eltern und Angestellten der Schule gerecht werden. Ohne ausreichende Mittel geht es aber nicht. Dass Sonderpädagog*innen, Schulmediator*innen, Schulpsycholog*innen fehlen, ist seit Jahren bekannt. Außer ein paar zusätzlicher Studienplätze, die vermutlich eh nichts bringen, da die Studierenden sich in Bundesländer begeben werden, die bessere Arbeitsbedingungen anzubieten haben, ist nicht viel passiert. Helfen würde es doch schon, wenn die Schulen mehr Verwaltungsstellen bekämen. Wir alle wissen, dass die Papierflut immer weiter steigt. Und auch andere Aufgaben könnten ausgelagert werden, so macht man das in Frankreich.

Da wirkt das Argument, es gäbe nicht genug Lehrkräfte, lächerlich. Und auch in Hinblick auf die materielle Ausstattung ist es ein Witz, zu behaupten, es sei kein Geld da. Volle Kassen und olle Klassen eben.


Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Volle Kassen - olle Klassen“  [zur gesamten Ausgabe]