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Schwerpunkt „Künstliche Intelligenz in der Schule“

Kollege Roboter

Was bleibt mit KI vom Menschen und von Lehrkräftearbeit übrig? Ein Kommentar zur aktuellen Technikfolgenabschätzung im schulischen Kontext.

Foto: Adobe Stock

Im Dezember 2024 berichtete der Norddeutsche Rundfunk über ein Gymnasium in Delmenhorst, in dem auf Initiative von Schüler*innen ein Roboter namens »Captcha« probeweise eine Unterrichtsstunde übernahm. Was wie Science-Fiction klingt, hat tatsächlich stattgefunden – und führt dennoch in mehrfacher Hinsicht in die Irre.

Zunächst scheint die Bezeichnung »Roboter« für die präsentierte Apparatur wenig zutreffend. Es handelte sich um einen Oberkörper in Gitterstruktur mit einem Plastikkopf darauf. Die fehlende Mobilität aufgrund des nicht vorhandenen Unterleibs sowie die ziellosen Zuckungen des Rests wirkten wenig überzeugend. Der eigentliche Clou der Vorführung bestand darin, dass diese skurrile Konstruktion mit einer Künstlichen Intelligenz (KI) verbunden war, sodass die Schüler*innen interaktiv Fragen stellen konnten. Ein Mikrofon und ein Lautsprecher auf dem Tisch hätten denselben Zweck erfüllt – wenn auch ohne die Illusion einer humanoiden Maschine. Tatsächlich hätte wohl bereits ein Amazon Echo Dot ausgereicht.

 

Lehrende »Roboter« – eine skurrile Vorstellung 

 

Darüber hinaus fand die Vorführung nicht im regulären Unterricht, sondern in einem speziellen Setting in der Aula des Gymnasiums statt – unter Aufsicht mehrerer Lehrkräfte, der Schulleitung und eines KI-Technikers, der im Falle technischer Störungen eingreifen konnte, falls der Geist in der Maschine doch streiken sollte.

Erfahrene Lehrkräfte dürften an dieser skurrilen Vorführung, die eher an eine Schülerpräsentation im Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik (WAT) erinnerte, zwei Dinge bemerken: Erstens wäre zu erwarten, dass eine solche Vorführung an einer normalen Schule, zumindest ohne das inszenierte Setting, wohl damit enden würde, dass die Einzelteile des »Kollegen Roboter« vom Schulhof eingesammelt werden müssten. Zweitens wird schnell deutlich, dass wir von einem ernsthaften Robotereinsatz im Schulkontext noch Lichtjahre entfernt sind – auch wenn in anderen Arbeitsbereichen wie der Pflege, dem Transportwesen oder den Dienstleistungen bereits klare Tendenzen zur Automatisierung sichtbar sind und sogar forciert werden.

Obwohl Analyst*innen die Verbindung von Künstlicher Intelligenz, Robotik und Sensorik neben der Biotechnologie ab 2025 als das »nächste große Ding« prognostizieren, dürften selbst frisch aus dem Referendariat kommende Lehrkräfte ihre Laufbahn ohne Angst vor der Ablösung durch Maschinen bestreiten können.

Aus pädagogischer und didaktischer Perspektive sollte aber der Vorführung am Delmenhorster Gymnasium nicht Unrecht getan werden. Erfahrene Lehrkräfte wissen auch, dass es oft sinnvoll ist, auf solche Impulse von Schüler*innen einzugehen, selbst wenn es nur darum geht, ihr Interesse an den Dingen der Welt aufrechtzuerhalten und ihnen eine Erfahrung eigener Wirksamkeit zu ermöglichen. Dennoch zeigt das Experiment vor allem eines: Eine Verdrängung von Lehrkräften durch Roboter ist vorerst einfach nicht zu befürchten.

 

Menschen sind erneut völlig unvorbereitet

 

Der Einzug neuer Technologien war in der Geschichte oft mit Schockwirkungen verbunden. Ein technologischer Schock entsteht, wenn eine Gesellschaft unvorbereitet mit einer plötzlichen und tiefgreifenden technologischen Neuerung konfrontiert wird. Bereits seit der Neuzeit haben Autor*innen, Intellektuelle und Wissenschaftler*innen künftige Entwicklungen vorausgesehen und nicht selten davor gewarnt, doch scheint stets jede historische Verdichtung technologischen Potenzials, bis zu dem Punkt einer klar wahrzunehmenden neuen Technologie, wie der Eisenbahn, dem Computer oder der KI, die Menschen immer völlig unvorbereitet zu treffen.

Neue Technologien haben immer zu einer Art metaphysischen Konfrontation geführt, in dem Sinne, dass sich die Menschen immer wieder erneut hinterfragen mussten, was der Zweck des menschlichen Daseins wäre, oder was den Menschen als solchen ausmache – inwiefern also technische Progression die Stellung des Menschen im Kosmos (Scheler) infrage stelle.

Schon in E.T.A. Hoffmanns mystischen Proto-Science-Fiction Roman »Der Sandmann« von 1816 ist es der roboterähnliche Automat, der den Menschen in den Wahnsinn und Abgrund stürzt. Populärere Beispiele, die den meisten vielleicht jenseits wissenschaftlicher Diskurse greifbar sind, wären filmische Werke, wie »Odyssee im Weltraum« oder »Terminator«. Warum in all diesen Darstellungen immer gerade die Entwicklung von Robotik und KI negativ besetzt ist, würde hier den Rahmen sprengen. Gleiches würde für die Aufschlüsselung der zahlreichen technik-soziologischen Debatten und Werke aus dem 20. Jahrhundert gelten.

 

Die Angst, verdrängt zu werden

 

Ehrlicherweise interessieren sich die meisten Menschen aber auch nicht allzu sehr für die metaphysische Problematik technologischer Progression, obwohl auch aus dieser ganz wesentlich ihr Unbehagen in der Kultur (Freud) mitresultiert. Wesentlicher war für sie schon immer eher die klare Frage: »Macht mich die Technik bald arbeitslos?«

Eine Frage, die nur allzu verständlich ist, da sich die meisten Menschen tagtäglich in einer antagonistisch-kapitalistischen Kulturumwelt auch die Frage stellen müssen, ob sie weiterhin ihr Dasein sichern können. Auch dazu kann hier nicht allzu sehr ins Detail gegangen werden. Sicher ist, dass alle neuen Technologien auch immer solche Verdrängungsprozesse ausgelöst haben (Buchdruck, Webmaschine, Eisenbahn), wie diese in der Folge auch immer neue Arbeitsbereiche geschaffen haben. Jetzt scheint mit den aktuellen Entwicklungen aber durchaus eine neue Potenzierung technologischer Machbarkeit erahnbar, die dazu führen könnte, dass das sogenannte »Mismatch« in der Arbeitswelt – also die Diskrepanz zwischen eigener Arbeitsqualifikation und der Anforderung der Arbeitsstelle – immer schwerer zu überbrücken wird. Es scheint jedenfalls annehmbar, dass sich aus einmal freigesetzten Supermarkt-Angestellten oder Zugführer*innen wahrscheinlich nicht einfach so in großer Zahl pädagogisches oder IT--technisches Personal gewinnen lässt.

 

Angriff auf die Gewohnheiten der Gesellschaft

 

Die dritte Ebene des technologischen Schocks, also nach metaphysischer Konfrontation und der Frage nach Arbeits- und Leistungsverdrängung, betrifft die Ebene der erlernten bzw. tradierten Sozialverhältnisse und Denkgewohnheiten (Veblen) in der Gesellschaft. Und dieser Umstand findet sich im pädagogischen Schulkontext umso mehr wieder, schon weil Bildungseinrichtungen die gesellschaftlichen Hot-spots schlechthin sind.

Als Folge machte sich von der Grundschule bis zur Universität eine fast panische Unruhe breit, gerade was bewertbare Aspekte von zu erbringender »Eigenleistung« angeht. Auch hier haben ältere Lehrkräfte schon Erfahrungen mit vergleichbaren Schocks durchlaufen, als zum Beginn der 2000er Jahre Wikipedia online ging und »googeln« zur Normalität wurde. Die Wikipedia- und Google-Schocks waren im Kern von ähnlicher Natur und es lässt sich rückblickend sagen, dass diese Phänomene zwar vieles verändert haben, aber keinesfalls große Umwälzungen zur Folge hatten. Im Grunde schlägt die KI als Mittel nur einen historischen Bogen vom neuzeitlichen Buchdruck in die Gegenwart.

Auch hierzu in aller Kürze: die unserer Gesellschaft zugrunde liegende Arbeits-, Handlungs- und Denkgewohnheit ist die Unehrlichkeit. Lebensläufe werden beschönigt, Bewerbungen aufpoliert, Statistiken umgerechnet und in Steuererklärungen ein paar Schreibblöcke zu viel angegeben. So ist es immer wieder bemerkenswert, wie sich die Zahlen zum sogenannten Lehrermangel zwischen Forscher*innen und Gewerkschaften einerseits sowie politisch Verantwortlichen andererseits unterscheiden, oder wie viele Politiker*innen immer wieder gedacht haben, dass ihre abgeschriebene Doktorarbeit nicht auffliegen würde. Auf allgemeine Selbstdarstellungsmechanismen in sozialen Netzwerken und auf Manipulationsstrategien kommerzieller Werbung muss gar nicht erst eingegangen werden.

Von dieser Annahme ausgehend, ergibt sich für die Institution Schule ein paradoxes Verhältnis. Obwohl die Gesellschaft durch unehrliche Spielweisen angetrieben wird, ist die allseitige Vermittlung in der Schule daran ausgerichtet, quasi diese Spielweisen offenzulegen, um so beim Heranwachsen einen funktionalen Umgang mit diesen zu vermitteln. Wenn wir unseren Kindern und Jugendlichen also beispielweise vermitteln, dass sie keinem Schönheits-ideal entsprechen müssen, Formen des sozialen Ausgleichs umsetzen sollen und auf ihren Zuckerkonsum achten sollten, dann richtet sich dies eigentlich gegen das, was den Menschen in dieser Gesellschaft permanent herangetragen wird: sei schöner, sei besser und konsumiere.

 

Wieder denken lernen

 

Was hat das aber mit Künstlicher Intelligenz zu tun? Nun, zumindest scheint mit der KI sich die Möglichkeit zu offenbaren, sich an neuen bzw. alten Tugenden zu orientieren, was auch mit einer gewissen Ehrlichmachung einhergeht. Wie nie zuvor können wir uns Wissen und Informationen aneignen – komprimieren, vorlegen und aufarbeiten lassen. Wenn nun immer mehr dieser Bereiche einfach an die Maschine delegiert werden können, Hausarbeiten, Lernprojekte und Hausaufgaben vom Elektronengehirn, von der Denkmaschine, ausgespukt werden, dann stoßen wir irgendwann wieder auf die Ebene der vorherbenannten metaphysischen Konfrontation, indem sich die Frage stellt, was dann für den Menschen noch übrig bleibt. Vielleicht etwas, was frei nach der Philosophin Hannah Arendt als das Denken lernen bezeichnet werden könnte, was seit langer Zeit nicht mehr so im hohen Kurs steht. Ein Schulsystem, dass sich aber traditionell an Formen der Bemessung durch Klassenarbeiten und Zeugnisnoten orientiert, scheint dafür aber eher im hohen Maße ungeeignet. So könnte auch die Gefahr bestehen, dass am Ende aus Gründen der Bequemlichkeit und angeblicher Unmöglichkeiten lieber stillschweigend in alten Mechanismen und Strukturen verharrt wird, obwohl sich eigentlich alle Beteiligten schon längst einig darüber sind, dass dies weder plausibel noch wünschenswert ist – wie so oft.

Sollte dieses Szenario so eintreten – und es ist leider eher anzunehmen – bliebe vielleicht am Ende nur zu hoffen übrig, dass zumindest dann so viel Ehrlichkeit aufkommt, dass Lehrkräfte in Zukunft viel von ihren nutzlos übergehäuften Aufgaben – wie die Erstellung von Schulversäumnisanzeigen oder Förderplänen – einfach an die Maschine abschieben können, um wenigstens so von der technologischen Progression etwas für sich zu gewinnen, um damit zumindest etwas ihren Grad an tagtäglicher ideeller Ausbeutung abzumildern. Vielleicht könnte eher darin mal die Zukunft des Kollegen Roboter liegen.

GEW-Ressourcen zu KI: www.gew.de/ki

KI-Anwendungen in der Schule