bbz 12 / 2019
Kontakt aufnehmen und halten
Eine aufsuchende Zusammenarbeit mit Eltern gehört an der Gustav-Langenscheidt-Schule dazu.
An der Gustav-Langenscheidt-Schule fiel den Lehrkräften vor über 13 Jahren auf, dass es vermehrt Eltern gab, die für die Schule nicht erreichbar waren und sich scheinbar nicht um die schulischen Belange ihrer Kinder kümmern konnten. Und das, obwohl die Kinder dringend eine Unterstützung benötigten. Die Kinder und Jugendlichen zeigen an der Schule Probleme wie Verhaltens- und Lernschwierigkeiten oder Schuldistanz. So entstand die Idee für das Projekt KONTAKT. Darin arbeitet der ambulante Träger FAB e.V. eng mit der Gustav-Langenscheidt--Schule zusammen.
Das Projekt entstand gemeinsam mit der damaligen Schulleitung. Sowohl von Seiten der Schule als auch der Jugendhilfe wurde hier auf einen Bedarf reagiert: Eltern zu erreichen, die von sich aus keinen Kontakt zur Schule aufnehmen und deren Kinder Probleme in der Schule zeigen. KONTAKT geht davon aus, dass die Präsenz der Eltern entscheidend für einen gelungenen Schulabschluss sein kann.
Frau Zimmermann und Herr Loth, die Mitarbeiter*innen des Projektes KONTAKT, arbeiten bei FAB e.V. in verschiedenen Bereichen, größtenteils in den ambulanten Hilfen zur Erziehung und in der Betreuung von Kindern und Erwachsenen mit Beeinträchtigungen. Die Arbeit im Projekt KONTAKT beginnen sie donnerstags zur Pausenzeit im Lehrer*innenzimmer und sind somit für die Lehrkräfte persönlich ansprechbar.
Wenn Eltern nicht erreichbar sind
Ein Beispiel: Die Klassenlehrerin berichtet über Ezra (*), sie zeige erhebliche Leistungsprobleme, störe den Un-terricht und komme seit 3 Wochen nur unregelmäßig in die Schule. Ihre Eltern erreiche sie nicht, weder te-lefonisch, noch reagieren sie auf Einladungen der Schule. Die Eltern zu erreichen, wird nun zum Anliegen für Frau Zimmermann und Herrn Loth. Alle Eltern wur-den mit der Aufnahme ihrer Kinder an der Gustav--Langenscheidt-Schule über das Projekt informiert, so können sie auch von Beginn an deutlich machen, ob sie mit KONTAKT zusammenarbeiten wollen.
Die Mitarbeiter*innen von KONTAKT nehmen nun den direkten Weg. Sie rufen Eltern an, laden sie ein, in die Schule oder zu FAB. Meistens aber besuchen sie nach einer Ankündigung die Familien direkt zu Hause. KONTAKT bietet den Familien ihre Unterstützung dabei an, denen von den Eltern und Lehrer*innen beschriebenen Problemen ihrer Kinder besser zu begegnen. Die Eltern entscheiden selbst, ob sie dieses Angebot annehmen und können sich auch selbst bei KONTAKT melden. Die Mitarbeiter*innen von FAB verschaffen sich gemeinsam mit den Eltern einen Überblick über die Umstände, die zu den schulischen Problemen des jeweiligen Kindes führen, und arbeiten für eine begrenzte Zeit (meist sechs bis acht Wochen) mit der Familie zusammen. Mitunter verweisen sie an weitergehende Unterstützungsangebote.
Diskretion ist manchmal der Schlüssel
Oft erleben die Mitarbeiter*innen, dass vielfältige familiäre und soziale Probleme den Blick auf die Kinder verstellen: psychische und physische Erkrankungen der Eltern, desolate finanzielle Ressourcen und Wohnverhältnisse, Trennungskonflikte zwischen den Eltern, ein ungeklärter Aufenthaltsstatus oder Analphabetismus sowie fehlende Kenntnisse über das Schulsystem. Die Palette ist groß und der Schule oft nicht bekannt. Viele Familien wollten, dass das so bleibt, umso wichtiger ist es ihnen, dass KONTAKT unabhängig von der Schule agiert und die Eltern selbst entscheiden können, welche Unterstützung und für welche Zeit sie diese in Anspruch nehmen.
Aber es gibt auch Grenzen. Manchmal sind die Probleme oder die Erziehungsschwierigkeiten so groß, dass die Unterstützung durch KONTAKT nicht ausreicht, um eine adäquate Entwicklung der Kinder zu bewirken. In diesen Fällen informieren die Mitarbeiter*innen über weiterführende Unterstützungen im Wohnumfeld oder begleiten die Familien zum Jugendamt, damit sie dort beraten werden oder eine Hilfe zur Erziehung beantragen können. Sie überlegen auch gemeinsam mit den Lehrer*innen und Schulsozialarbeiter*innen, welche Möglichkeiten in der Schule zur Unterstützung der Kinder noch genutzt werden können.
Seit vielen Jahren arbeitet KONTAKT an der Schule, und das erfolgreich. Tatsächlich nehmen fast 100 Prozent aller Familien, denen die Unterstützung durch KONTAKT angeboten wird, diese auch an. Jedes Jahr werden von den beiden Mitarbeiter*innen, mit neun Wochenstunden durchschnittlich, über 45 Familien pro Schuljahr betreut.
Für die Lehrkräfte ist es ein Ziel und damit Erfolg, wenn die Eltern den Kontakt zur Schule wieder selbst aufnehmen, zulassen und ihn auch halten. Dies gelingt tatsächlich fast allen Familien nach der Zusammenarbeit mit KONTAKT. Weitere Indikatoren wären, je nach Ausgangssituation, die Verbesserung der schulischen Leistungen oder des Verhaltens ihres Kindes in der Schule oder ein regelmäßiger Schulbesuch. Ziel ist es auch, Familien eine niedrigschwellige Unterstützung zu bieten, präventiv zu agieren, bevor das Jugendamt wieder einen neuen Fall gemeldet bekommt.
Jeweils zum Jahresende wird die Zielerreichung und damit die Wirksamkeit von KONTAKT unter Einbeziehung der Schule und des Jugendamtes geprüft, und dann die finanzielle Unterstützung für das Folgejahr beantragt.
Auch eine Nachbarin kann helfen
Und Ezra? Ihre alleinerziehende Mutter hat nur sehr geringe Deutschkenntnisse, sie reagierte deshalb auf Anrufe und Schreiben der Schule nicht und hatte keine Informationen über Ezras schuldistanziertes Verhalten, auch nicht über ihre geringen Lernerfolge. Ezra selbst war mit den Herausforderungen an der neuen Schule überfordert und wollte ihre Mutter damit nicht belasten. KONTAKT hat die Mutter mehrmals zu Hause besucht. Der Mutter wurde bewusst, dass sie Ezra auch als Jugendliche weiter schulisch unterstützen muss.
Sie wurde informiert und über das Schulsystem und ihre Möglichkeiten der Mitwirkung und Unterstützungsannahme aufgeklärt. Im Umfeld der Familie wurden Ressourcen akquiriert und genutzt, zum Beispiel half fortan eine Nachbarin der Mutter, die Logbucheinträge der Schule zu lesen und mit der Schule in Kontakt zu treten. Für Ezra wurde gemeinsam mit der Mutter eine Nachhilfe organisiert und sie erhielt die individuelle Unterstützung in Einzelgesprächen durch die Schulsozialarbeit, die mit ihr auch einen Verhaltensplan für den Unterricht erarbeitete. Die Klassenlehrerinnen wurden für die häusliche Situation der Familie sensibilisiert. Es wurde ein runder Tisch organisiert mit dem Ziel, Ezra auch schulisch besser zu unterstützen und für sie den Förderstatus fortzuschreiben.
(*) Namen verändert