bbz 12/2014
Lehrbeauftragte - hochgebildet, mies bezahlt
Menschen mit Lehraufträgen gelten statistisch als »in den Arbeitsmarkt integriert«, erhalten aber Hartz IV-Leistungen
Der Hochschulabschluss ist in der Tasche und nun beginnt die Karriere. Standen die Chancen bis in die frühen 2000er Jahre noch gut, einen gutbezahlten Arbeitsplatz zu finden, so ist es am heutigen Arbeitsmarkt für AkademikerInnen schwerer geworden durchzustarten.
Zwar sind nur drei Prozent der AkademikerInnen von Arbeitslosigkeit bedroht, aber die Länge der Arbeitslosigkeit unterscheidet sich je nach Studiengang sehr stark. Bleiben HochschulabsolventInnen der Ingenieurswissenschaften oder Informatik durchschnittlich weniger als drei Monate arbeitslos, so können AbsolventInnen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften schon über zwölf Monate für die Arbeitssuche benötigen. Ebenso gibt es große Unterschiede bei den Einstiegsgehältern, die zudem geschlechterspezifisch auseinanderdriften. Noch schwieriger sieht die Lage aus, wenn die AkademikerInnen mit oder ohne Promotionsbestreben an einer Hochschule Karriere machen wollen.
In einer Zeit, in der die Hochschulbildung immer bedeutender wird und die Zahl der Studierenden steigt, braucht es ein festes Fundament an wissenschaftlichen Beschäftigten. Das setzt im Umkehrschluss eine gute finanzielle Ausstattung der Hochschulen voraus. Dies ist trotz Exzellenzinitiativen aber weit gefehlt.
Im Gegenteil, es erhöht sich der Druck durch vorausgesetzte Drittmitteleinwerbung und befristete Verträge. Es scheint oftmals vergessen, dass gerechte Arbeitsbedingungen und gute Forschung und Lehre zwei Seiten einer Medaille sind. Angesichts der steigenden Studierendenzahlen lassen sich DozentInnen und ProfessorInnen nicht aus der Portokasse bezahlen. Bei bestimmten Beschäftigtengruppen wie wissenschaftlichen MitarbeiterInnen oder Lehrbeauftragten ist die Situation längst eskaliert. Hier gibt es Beschäftigungsverhältnisse, die sind schlechter als in der Gastronomie.
Konkret sieht es so aus: In der Regel ergattern AkademikerInnen recht gut einen Lehrauftrag an Berliner Hochschulen, da diese auf Personal angewiesen sind. Bei viel Glück und guten Kontakten kann eine befristete, projektbezogene Teil- oder Vollzeitstelle in Assistenz oder als Postdoc herausspringen.
Größtenteils sind es aber auf Selbstständigkeit ausgerichtete Honorartätigkeiten als Lehrbeauftragte mit einem oder zwei Seminaren pro Semester. Aus Sicht einer Integrationsfachkraft der Jobcenter sieht es dann so aus: Menschen mit Lehraufträgen gelten statistisch als »in den Arbeitsmarkt integriert«, sind aber dennoch unterbeschäftigt und erhalten weiterhin Hartz IV-Leistungen. Denn das Honorar liegt pro Semesterwochenstunde zwischen 21,40 Euro und 52 Euro. Je nach Vergütungssatz und Anzahl der Lehraufträge (meist ein bis zwei) können bei 18 Semesterwochen zwischen 385 Euro bis 1872 Euro an Einkommen zusammenkommen. Es ist das Einkommen aus viereinhalb Monaten ohne Sozialversicherungsabgaben und ohne Erstattung der Ausgaben zur Vorbereitung von Seminaren.
Zudem benötigen Vor- und Nachbereitung sowie Klausuraufsicht und -korrektur Zeit, die nicht vergütet wird.
Lehrbeauftragte müssen also quasi in Minijobverhältnissen nur ohne Sozialversicherung arbeiten. So bleiben AkademikerInnen weiterhin leistungsberechtigt und müssten eigentlich dem Arbeitsmarkt für vierzig Stunden pro Woche zur Verfügung stehen.
Hinzu kommt ein zweites Problem: Die Vergütung aus dem Lehrauftrag wird erst zum Ende des Semesters an die Lehrbeauftragten gezahlt. Hierbei entsteht ein Problem im Leistungsrecht beim Sozialgesetzbuch II (SBG II). Da die AkademikerInnen als Selbstständige gelten, wird ihr Einkommen fiktiv auf sechs Monate verteilt. Die Gesamtsumme der kommenden Einnahme wird durch sechs Monate geteilt und mit einem Freibetrag versehen. Diese fiktive Monatseinnahme wird dann mit dem Hartz IV-Anspruch von derzeit 391 Euro verrechnet. Faktisch haben AkademikerInnen monatlich also weniger Geld zur Verfügung, weil die Einnahme aus der Honorartätigkeit erst am Ende (!) des Semesters gezahlt wird. Die Lehrbeauftragten beantragen wegen der finanziellen Lücke nun oft Vorschüsse oder legen Widersprüche gegen ihre Hartz IV-Bescheide ein, da ihnen monatlich weniger Geld zum Leben zur Verfügung steht. Hier entsteht für das Jobcenter ein hoher bürokratischer Mehraufwand, der unangenehm für Leistungsbeziehende, aber auch für die Beschäftigten im Jobcenter ist. Daher sind einige Jobcenter bereits dazu übergangen, trotz Selbstständigkeit nach dem Zuflussprinzip für Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit zu handeln, um den bürokratischen Aufwand zu reduzieren. Eigentlich müssten wir auch prüfen, ob es sich nicht um eine Scheinselbstständigkeit handelt, da meist nur ein Auftraggeber – die Hochschule – existiert. Dies würde jede dieser ArbeitnehmerInnen aber neue Probleme bringen.
Kurzum: Lehrbeauftragte können als extrem prekär beschäftigt gelten, und ob es mit der akademischen Laufbahn dann funktioniert, steht in den Sternen. Dass wird auch solange bleiben, wie die Universitäten und Hochschulen in der Lehre bei steigenden Studierendenzahlen unterfinanziert sind. Hier wird auf dem Rücken der künftigen WissenschaftlerInnen und HochschullehrerInnen eine Sparpolitik ausgetragen, bei der deren Potential bei mieser Bezahlung abgeschöpft wird. Teilweise verlieren Lehrkräfte schnell die Motivation an der Hochschulkarriere, was eine Verschwendung von geistigen Ressourcen auch für zukünftige Studierendengenerationen ist. Skandalös an dieser Form der Beschäftigung bleibt auch die Subventionierung durch die Steuerzahlenden an die Hochschulen. Denn das Arbeitslosengeld II und die Krankenkassenbeiträge übernehmen das Jobcenter. Ein unhaltbarer Zustand!