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Gewerkschaft

Links blinken, rechts abbiegen

»Alternative« Gewerkschaften und nationaler »Sozialismus« strecken ihre Fühler bei Betriebsratswahlen aus.

Foto: GEW BERLIN

Zu den diesjährigen Betriebsratswahlen traten sogenannte »alternative«, genauer: extrem rechte Listen an. Ob die GEW zukünftig bei Personalratswahlen Konkurrenz aus der rechten Ecke zu erwarten hat, ist gegenwärtig noch nicht absehbar. Aber dass auch Gewerkschaftsmitglieder keineswegs gegen »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« (Heitmeyer) immun sind, ist hinreichend dokumentiert.

 »Die Agenda 2010 hatte … soziale Verwerfungen zur Folge. Das eilig durchgepeitschte Gesetzespaket sorgte binnen kürzester Zeit für eine in der BRD unbekannte Armutswelle, drängte Menschen in das soziale Abseits und warf Deutschland infolge prekärer Lebensumstände ganzer Bevölkerungsschichten um Jahrzehnte zurück. Der Arbeitstitel des vierten Reformpaketes ›Hartz IV‹ wurde zum Synonym für Armut, Ausgrenzung und eine neue politisch verursachte Unterschicht. Diese soziale Bombe wurde von der SPD-Regierung unter Schröder gezündet. Namensgeber und Konzeptentwickler Peter Hartz war Personalvorstand bei Volkswagen, Mitglied bei der SPD, Mitglied in der IG Metall und wurde von der Schröder-Regierung mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet.«

Was sich wie eine Kritik aus den Reihen der Gewerkschaftslinken liest, stammt von Simon Kaupert, veröffentlicht in der Zeitung »Alternative Gewerkschaft«, die von der von Götz Kubitschek initiierten neurechten Bewegung »Ein Prozent e.V.« herausgegeben wird. Der aus Thüringen stammende Kaupert wurde als Gründer des Würzburger PEGIDA-Ablegers WÜGIDA bekannt. Im Mai 2015 nahm er am Pfingsttreffen der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« teil und trat in der Folgezeit bei diversen Demonstrationen als Redner für die »Ein Prozent«-Initiative auf. Kaupert ist auch in leitender Funktion bei der Kampagne »Werde Betriebsrat« engagiert, mit der neurechte und AfD-nahe Kreise aktuell versuchen, in den Betrieben Fuß zu fassen.

Als Keimzelle einer neuen Gewerkschaftsfront von rechts kann die von Oliver Hilburger initiierte Gruppierung »Zentrum Automobil« im Daimler-Konzern gelten. Hilburger, der rund zwanzig Jahre in der Rechtsrock-Band »Noie Werte« spielte, hatte nach seinem Rauswurf aus dem Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) im Jahr 2009 den Verein »Zentrum Automobil e.V.« gegründet und im folgenden Jahr bei den Betriebsratswahlen im Daimler-Werk Stuttgart-Untertürkheim mit seiner Liste zwei Betriebsratssitze erobert. Bei den Wahlen im Jahr 2014 bekam dann die von Hilburger angeführte, explizit gegen die IG Metall agitierende rechte Opposition mit knapp 10 Prozent der Stimmen vier Sitze im 45 Köpfe umfassenden Betriebsrat. Bei den kürzlich abgeschlossenen Betriebsratswahlen im Daimler-Konzern konnte Hilburgers rechte Mini-Gewerkschaft ihren Einfluss weiter ausdehnen. In Stuttgart-Untertürkheim errang sie mit 13,2 Prozent nunmehr sechs Sitze, in Rastatt und Sindelfingen, wo sie erstmalig antraten, drei beziehungsweise zwei Sitze. Und im BMW--Werk in Leipzig sitzen vier Vertreter*innen der AfD-nahen Liste »Interessengemeinschaft Beruf und Familie« zukünftig im Betriebsrat. Anders dagegen im Daimler-Werk in Bremen-Sebalsbrück, hier wurde anstelle einer Listenwahl eine Personenwahl durchgeführt. Alle 41 Sitze gingen dabei an Mitglieder der IG Metall.

Die programmatischen Ziele und die strategische Vorgehensweise der Gruppe um Hilburger umreißt André Kaufmann, Betriebsbetreuer der IG Metall für das Untertürkheimer Werk, in einem Interview in der Zeitung Express: »Deren Alternative ist nicht eine bessere Gesellschaft oder eine Gesellschaft, in der Klassenkonflikte offen als solche ausgetragen werden, sondern deren Vision ist die deutsche Betriebsgemeinschaft, das Prinzip Betriebsführer und Gefolgschaft und so weiter. Das sprechen sie nicht so deutlich aus, aber man merkt, wo sie hinwollen. Das Zentrum hat eine Programmatik, die deutlich über die AfD hinausgeht, die sie sich aber im Betrieb nicht offenzulegen trauen, nämlich: nationaler Sozialismus, deutsche Betriebsgemeinschaft, Führerprinzip. Das ist ihre Vision, und der Weg zur Durchsetzung ist die Zerstörung der IG Metall. Da so ein gesamtnationales Programm aber bei Daimler allein nicht durchzusetzen ist, muss man sich ausdehnen, über Daimler hinaus oder zunächst mal an anderen Daimler-Standorten, und dazu benötigen sie die Unterstützung der AfD.«

Auch Björn Höcke, der AfD-Vorsitzende aus Thüringen, mischt sich mit einem Strategiebeitrag in der Zeitung »Alternative Gewerkschaft« in die neurechte Betriebsratskampagne ein. Er schreibt dort unter anderem: »Die AfD muss den sozialistischen Auftrag übernehmen, den die Linke verraten hat. Als Anwalt der Arbeiter und sozial Schwachen die Gegenwehr gegen das internationale Finanzkapital organisieren, das die Völker zerstört.«

Bereits das 25-Punkte-Programm der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) von 1920 enthielt antikapitalistisch klingende Forderungen wie zum Beispiel das »Brechen der Zinsknechtschaft des Finanzkapitals« oder die »Enteignung des großen Grundbesitzes für gemeinnützige Zwecke«. Und die 1949 gegründete »Sozialistische Reichspartei« (SRP), die bei den Landtagswahlen 1951 in Niedersachsen immerhin 11 Prozent der Stimmen erreichte (allerdings 1952 verboten wurde), knüpfte an den »sozialrevolutionären« Strasser-Flügel der NSDAP an.

Wesentliche Impulse für eine weiterführende Debatte gingen dann allerdings von rechten Intellektuellen aus, die sich in den 70er Jahren, beeinflusst durch die französische Nouvelle Droite, zu Diskussionszirkeln und Kaderorganisationen der »Neuen Rechten« zusammenfanden. Durch den Rückgriff auf populäre Themen wie den Umweltschutz oder soziale Fragen wollten sie, verbunden mit kreativen Protest- und Aktionsformen, den nostalgischen und rückwärtsgewandten NS--Bezug der Alt-Nazis hinter sich lassen und Schritt für Schritt gesellschaftliche Diskurse von rechts besetzen, um so eine »kulturelle Hegemonie« zu erlangen. Im Mittelpunkt stand dabei die Propagierung eines »nationalen Sozialismus« und eines »dritten Weges« zwischen Marxismus und Kapitalismus.

Dass auch Mitglieder in den Gewerkschaften des DGB anfällig für rechte Orientierungen sind, ist keine neue Erkenntnis, wird allerdings durch die Ergebnisse bei der Bundestagswahl 2017 noch einmal bestätigt. Wie Infratest dimap bei einer Nachwahlbefragung zur Bundestagswahl feststellte, wählten 21 Prozent der Arbeiter*innen die AfD, unter den Gewerkschaftsmitgliedern waren es 15 Prozent. Schaut man allerdings nicht auf den Durchschnittswert aller Gewerkschaftsmitglieder, sondern nur auf die im DGB organisierten Arbeiter*innen, dann fällt das Ergebnis noch weitaus problematischer aus. Bei den drei Landtagswahlen im März 2016 (Baden-Württemberg, Rhein-land-Pfalz und Sachsen-Anhalt) beispielsweise wurden unter den Gewerkschaftsmitgliedern »in allen drei Bundesländern deutlich überdurchschnittliche Sympathien für die AfD erkennbar. In diesen drei Fällen stellten die Arbeiter-Gewerkschafter also kein Spiegelbild der Gesellschaft, sondern eine beträchtliche Wählerbank für die AfD dar«.

Diese Ergebnisse überraschen Klaus Dörre, Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena, nicht. Er betont, dass es schon lange ein »ernst zu nehmendes rechtspopulistisches Potenzial unter Gewerkschaftsmitgliedern« gab, das »früher oder später hervorbrechen würde.« Und genau an diesem Potential docken das »Zentrum Automobil«, die Bewegung »Ein Prozent« und der AfD-Flügel um Björn Höcke an. Mit Parolen wie: »Die neue deutsche Soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist die Frage nach der Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen« (Höcke) oder der Behauptung, der Interessengegensatz verlaufe »nicht zwischen Arbeit und Kapital, sondern zwischen Betrieb und globalistischem Establishment« (Kaupert), wird eine Betriebsgemeinschaftsideologie propagiert und die völkische Gemeinschaft gegen äußere Bedrohung in Stellung gebracht.

Gegen diese rechte »Ausweitung der Kampfzone« (Speit) auf gewerkschaftlichem Gebiet hilft nur eine Politik, die sich konsequent abgrenzt von Standortnationalismus und Sozialpartnerschaftsideologie und die der Parole »Sozial geht nur national« den grenzüberschreitenden Internationalismus der abhängig Beschäftigten entgegensetzt. Oder, um es mit den Worten von Klaus Dörre zu sagen: Gewerkschaften »müssen wieder zu sozialen Bewegungen werden. Und sie müssen härter in der Sache werden. Die Menschen wollen sehen, dass sich etwas ändert: höhere Löhne, stärkere Vertretung, mehr Öffentlichkeit für die Belange der durchschnittlichen Arbeitnehmer*innen.«

Dieser Artikel ist in ausführlicherer Form zuerst in der Zeitschrift der GEW Niedersachsen erschienen. Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Zweitabdruck.

 

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Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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