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Tendenzen

Lobbyismus aus den Schulen drängen

Das Klassenzimmer ist für Lobbyist*innen und die Werbewirtschaft ein wunderbarer Ort, um ihre Zielgruppe zu erreichen. Lobby Control will Lehrkräfte dabei unterstützen, der Beeinflussung einen Riegel vorzuschieben.

Foto: pixabay

Lobbyismus an Schulen nimmt zu. Im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung ist dies natürlich eine Binsenweisheit, doch die Initiative Lobby Control untermauert dies nicht nur mit Zahlen, sondern gibt auch mannigfache Beispiele dafür, wie stark ausgeprägt die Einflussnahme von Lobbygruppen im Schulalltag mittlerweile ist. So hält die Organisation bereits zu Beginn der Broschüre fest, dass »in Deutschland nur 12,5 Prozent der 15-jährigen eine Schule besuchen, an der Wirtschaft und Industrie keinen Einfluss auf die Lehrinhalte ausüben. Im OECD-Durchschnitt sind es 36,3 Prozent.« 

Andersherum gesagt, werden also fast 90 Prozent der 15-jährigen deutschen Schüler*innen in irgendeiner Form beeinflusst. Die Vielfältigkeit der Einflussnahme hört gemäß Lobby Control dabei nicht etwa bei Vertreter*innen bestimmter Interessengruppen auf, sondern funktioniert noch viel subtiler und durchdringt jeden Bereich schulischen Arbeitens. Neben den bereits genannten »Expert*innen«, die Unternehmen bevorzugt an Schulen schicken, um gezielt für ihre Interessen Stimmung zu machen und die enorm relevante Zielgruppe der Jugendlichen zu erreichen, gibt es auch immer mehr kostenlose, in ihrer Präsentation sehr ansprechende Lehr- und Lernmaterialien. Hier nutzen Lobbyist*innen die Leerstellen, die der Staat zunehmend durch seinen finanziellen Rückzug aus dem Bildungsbereich hinterlässt: Interessengruppen organisieren neben Materialien auch Wettbewerbe und Spiele, bieten Fortbildungen für Lehrkräfte an, unterstützen massiv die Forderung nach neuen Fächern, verfolgen sogenannte »Schulkooperationen« mit privaten Partner*innen und Vieles mehr, dabei meist eher am eigenen denn am pädagogisch-didaktischen Wohl orientiert. 

Der Pisa-Schock bot ein Einfallstor

Wenngleich kein neues Phänomen, so kann spätestens seit dem sogenannten »PISA-Schock« im Jahr 2000 eine Professionalisierung der Lobbygruppen beobachtet werden, bot dieser doch im Rahmen der allgemein ausbrechenden unreflektierten Hysterie um den vermeintlichen Untergang des deutschen Bildungswesens ein willkommenes Einfallstor, die eigene Agen-da in den Unterricht einfließen zu lassen.

Unternehmen, Unternehmensverbände, Marketing-Agenturen, Dienstleister*innen und Stiftungen arbeiten hierbei kongenial zusammen, um Einzelinteressen zu verfolgen. Werbung für bestimmte Inhalte wird so gestaltet und verpackt, dass sie am eigentlich geltenden Werbeverbot vorbei platziert werden kann, sei dies durch die Kooperation mit bestimmten Partner*innen (zum Beispiel Schulbuchverlagen und Autoherstellern) oder der Veröffentlichung eigener Studien zur Bildung. Hier tut sich die häufig im Bericht genannte »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) hervor, eine Lobbygruppe des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, die in ihrem »Bildungsmonitor« beispielsweise einseitig fordert, Studiengebühren einzuführen und Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten zu forcieren. 

Um einen Fuß in die Tür zu kriegen werden von den Akteur*innen häufig Mängel hervorgehoben, wie beispielsweise das Fehlen guter Materialien, einer notwendige Professionalisierung der Lehrkräfte in bestimmten Bereichen oder Wissenslücken der Schüler*innen, zum Beispiel beim schon angesprochenen Fach Wirtschaft. Damit wird der Blick verengt auf einzelne Aspekte, die dann besonders hervorgehoben und in den Mittelpunkt eines vermeintlich öffentlichen Interesses gestellt werden – wo es in Wirklichkeit nur um Lobbyinteressen geht. Dies kann auch durch vermeintlich »sinnvolle« Themen geschehen wie eine zunehmende Verschuldung von Schüler*innen, ein Problem, das der Versicherungskonzern Allianz nutzt, um Werbung für das Engagement der Berater-*innen von »My Finance Coach« zu machen. Im Bereich des Problemfeldes »Digitalisierung« bieten Google und die Deutsche-Telekom-Stiftung ihre Dienste an. Unlängst gab es den Fall der Verbreitung des vermeintlich kostenlosen Mini-Computers »Calliope« an Grundschulen – ein Marketing-Coup von Google. 

Schüler*innen sind die werberelevanteste Zielgruppe

Schüler*innen sowie deren Familien sind natürlich eine der werberelevantesten Zielgruppen überhaupt und können in ihrem täglichen »Arbeitsumfeld« so gut und umfassend erreicht werden wie sonst nirgends. Lobbygruppen liefern hier gezielt Anreize und können durch die leicht zu beeinflussenden Jugendlichen politische, gesellschaftliche und inhaltliche Akzente in ihrem Sinne setzen. Die Schule dient somit der Image- und Kontaktpflege, einer Werbung durch Sponsoring sowie der Rekrutierung von Nachwuchs für das eigene Unternehmen. 

Es liegt auf der Hand, dass millionenschwere politisch-wirtschaftliche Akteure für ein enormes Ungleichgewicht der Meinungen sorgen können und werden – durch gezielte Einflussnahme mächtiger Lobbygruppen gerät die pluralistische Gesellschaft immer mehr in eine Schieflage zugunsten großer Interessenverbände. Dadurch steigen Intransparenz und Manipulationsmöglichkeiten weiter an, die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern wird gefördert und en passant werden Schulaufgaben privatisiert. Das Ziel sollte daher gemäß Lobby Control sein, diesen Auswüchsen Einhalt zu gebieten. Die Organisation geht soweit, als Ziel zu postulieren, »Lobbyismus und Meinungsmachen aus dem Klassenzimmer zu drängen«, was freilich nur gelingen kann, wenn Lehrkräfte, Schüler*innen und Politik zusammenarbeiten. Unterm Strich wird deutlich, dass Deutschland schon weit fortgeschritten darin ist, sein Schulwesen ideell outgesourced zu haben und den Wissenserwerb seiner Kinder in die Hände einflussreicher Konzerne und Lobbygruppen gelegt zu haben. 

Eines steht jedoch ebenso fest: Lobbyist*innen haben immer nur den Erfolg, den das Individuum ihnen zugesteht. Insofern ist jede*r einzelne von uns »Torwächter*in«. Nehmen wir diese Aufgabe wahr.    

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitung der GEW Saarland erschienen. Wir danken für die Genehmigung zum Zweitabdruck.
Die Broschüre »Lobbyismus an Schulen« kann kostenlos bestellt werden unter www.lobbycontrol.de

 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46