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Hochschule

Machtkampf an der Uni

Das neue Berliner Hochschulgesetz soll die Praxis der befristeten Anstellung von Wissenschaftler*innen eindämmen. Hochschulleitungen sehen darin eine Bedrohung des Wissenschaftsstandorts Berlin. Eine Gegendarstellung

Foto: IMAGO

Ende September 2021 ist das umfassend novellierte Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) in Kraft getreten. Über 100 Paragrafen des Gesetzes wurden grundlegend verändert. Zahlreiche Verbesserungen gibt es im Personalbereich. Laura Haßler, Leiterin des Vorstandsbereichs Hochschule und Lehrer*innenbildung der GEW BERLIN, hat in ihrem Beitrag »Feiern vertagt« in der letzten Ausgabe der bbz die wichtigsten vorgestellt. Die größte Aufregung verursacht eine Neuregelung, die vorsieht, dass promovierte Wissenschaftler*innen auch außerhalb einer Professur eigenverantwortlich und dauerhaft Aufgaben in Lehre und Forschung wahrnehmen sollen.

»Beschneidung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen«, tönte es daraufhin. Es entstünde »eine zementierte Personalstruktur«, ein »schmerzhafter Dämpfer für die Erfolgsgeschichte der Berliner Universitäten«, die Änderungen »gefährden die exzellente Weiterentwicklung« der Universitäten und »letztendlich den Wissenschaftsstandort Berlin« – das sind nur einige Reaktionen von Hochschulleitungen in den letzten Wochen, assistiert durch schwere Geschütze der Oppositionsparteien in Berlin.

Trauriger Höhepunkt: der Rücktritt der Präsidentin der Humboldt-Universität Sabine Kunst aus Protest gegen diese Neuregelung. Und weil das noch nicht genug ist, veröffentlichte die Humboldt-Universität zwei Wochen später ein Gutachten eines hauseigenen Jura-Professors, der das Ganze gleich für verfassungswidrig hält. Der Landesgesetzgeber dürfe gar nicht regeln, dass Wissenschaftler*innen unbefristet beschäftigt werden.

Der Stein des Anstoßes

Wissenschaftler*innen, die bereits promoviert sind und auf einer haushaltsfinanzierten Stelle befristet beschäftigt werden, muss mit dem Fristvertrag eine unbefristete Anschlusszusage angeboten werden. Das gilt allerdings nur, wenn diese ausdrücklich mit dem Ziel beschäftigt werden, sich so zu qualifizieren, dass sie die Voraussetzungen für die Berufung auf eine Professur erfüllen, zum Beispiel durch eine Habilitation oder äquivalente Leistung.

Nur bei Erreichen des mit dem Fristvertrag festgelegten Qualifizierungsziels kann die Zusage auf eine anschließende unbefristete Beschäftigung eingelöst werden.

Wie viele Wissenschaftler*innen von dieser Änderung betroffen wären, ist noch unklar. Zahlen für alle Berliner Unis liegen bisher nicht vor. Der Präsident der Technischen Universität (TU) Berlin, Prof. Thomsen, hat die Dimension für die TU in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel vom 5. November 2021 aber folgendermaßen beschrieben: Es handele sich um 150 befristete Stellen für promovierte Wissenschaftler*innen, von denen nach Schätzung des TU-Präsidenten etwa die Hälfte, also 75, die Voraussetzungen für eine unbefristete Anschlussbeschäftigung erfüllen könnten. Die Gesamtzahl der Haushaltsstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an der TU Berlin beziffert er mit 800, darunter 500 bis zur Promotion befristete. Eine Entfristungszusage nach dem neuen Hochschulgesetz würde demnach nicht mal für 10 Prozent der Stellen in Betracht kommen. Die Größenordnungen in den anderen Universitäten dürften ähnlich klein sein.

Das liegt auch daran, dass die meisten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen in den Universitäten inzwischen über Drittmittel in befristeten Projekten angestellt sind. In den drei Berliner Universitäten Humboldt-Universität (HU), Freie Universität (FU) und TU waren im Jahr 2019 ausweislich ihrer Leistungsberichte von insgesamt 6.923 wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen 3.851 durch Mittel Dritter finanziert, also circa 56 Prozent. Sie sind von der Neuregelung im Hochschulgesetz gar nicht erfasst.

Geld ist nicht das entscheidende Problem

»Planbarkeit, Verlässlichkeit und Perspektiven sind wichtige Punkte in der Lebens-, Familien- und Berufsplanung von Wissenschaftler*innen. Dafür haben die Leitungen der Berliner Hochschulen großes Verständnis. Sie bekennen sich ausdrücklich zu ihrer Verantwortung, im Bereich der Wissenschaft für Daueraufgaben auch Dauerstellen zu schaffen«, erklärte die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen am 23. August 2021. Prima! Dann kann es ja losgehen.

Statt diesen Sonntagsreden endlich Taten folgen zu lassen und die Umsetzung der neuen Regelung beherzt anzugehen, schalteten die Hochschulleitungen auf Blockade um. Die FU verhängte erst mal einen Einstellungs- und Verlängerungsstopp, die HU schließt vorerst Verträge nur noch mit anderen Qualifizierungszielen und die FU gar sachgrundlos befristete Verträge – unter völliger Missachtung des politischen Willens des Gesetzgebers! Die TU weiß nicht so recht, wie sie damit umgehen soll.

Alles kostet angeblich Millionen mehr; alles kam so unerwartet und kurzfristig. Ist das so?

Es liegt nicht am fehlenden Geld. Niemand konnte bisher erklären, warum es Millionen Euro mehr kostet, wenn wissenschaftliche Mitarbeiter*innen unbefristet beschäftigt werden, anstatt sie von Fristvertrag zu Fristvertrag zu hetzen und am Ende nach Erreichen der Befristungshöchstdauer durch Neue auszuwechseln. Es kommt auch nicht überraschend. Die Universitäten hatten lange Zeit, eine Reform der Personalstruktur und eigene Vorschläge für eine progressive Personalpolitik auf den Weg zu bringen. Dazu hatten sie sich schon in den aktuellen Hochschulverträgen mit dem Land Berlin verpflichtet. Die Reform des Berliner Hochschulgesetzes ist in den letzten zwei Jahren in unzähligen öffentlichen Foren und Diskussionsrunden durch die rot-rot-grüne Regierung vorbereitet worden. Alle hochschulpolitischen Akteur*innen, auch die Hochschulleitungen waren eng einbezogen.

Außer Lippenbekenntnissen und Verständnisbekundungen ist kaum etwas passiert. Nicht einmal das Ziel der Hochschulverträge, die Quote unbefristeter Beschäftigung bei den haushaltsfinanzierten wissenschaftlichen Mitarbeiter­*innen bis Ende 2020 im Schnitt auf 35 Prozent zu erhöhen, wurde erreicht. Lehrkräfte und Hochschuldozent*innen rausgerechnet, waren es Anfang 2021 nur 30 Prozent.

Machtverlust der Professor*innen

Der eigentliche Grund für den Widerstand ist ein ganz anderer. Die Professor*innen sehen ihre Allmacht gefährdet. Sie können eben künftig nicht mehr »ihre« Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen (WiMis) permanent auch nach Abschluss der Promotion in Fristverträgen »halten« und damit einem ständigen Druck aussetzen. Diese hochqualifizierten Wissenschaftler*innen sind dann nicht länger »Ausstattung« von Professuren. Das überkommene System der sogenannten Berufungszusagen für Professor*innen gerät ins Wanken. Darunter ist zu verstehen, dass Professor*innen bei ihrer Berufung eine personelle Ausstattung zugesagt wird: Promovierende, Postdocs, studentische Beschäftigte und so weiter. Sie alle »kreisen« um die Professur und mehren deren Reputation. Diese Abhängigkeitsverhältnisse werden jetzt ein kleines Stück aufgebrochen. Das aber reicht schon, um den Untergang des Wissenschaftsstandorts Berlin an die Wand zu malen.

Die zurückgetretene Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, hat es in ihrer Rücktrittserklärung auf den Punkt gebracht: »Die Novelle des BerlHG führt zwingend zu einer Transformation der ‚Faculty‘ und der Personalstrukturen der Universität. Darauf sind unsere aktuellen Strukturen aber nicht ausgerichtet.« Problem erkannt! Jetzt müssen Lösungen her!

Handeln statt blockieren

Inzwischen dämmert auch den meisten Verantwortlichen in den Unis, dass eine weitere Blockadehaltung in der Hoffnung, die Neuregelung im BerlHG doch noch kippen zu können, keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Die bundesweite Vernetzung von Wissenschaftler*innen und der öffentliche Druck der Bewegung unter dem Hashtag #IchbinHanna tragen dazu ganz entscheidend bei.

Die Hochschulen, vor allem die Universitäten, müssen jetzt tragfähige Konzepte der Personalplanung und Entwicklung erstellen, die im Detail und für jeden Bereich definieren, wie viele und welche promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen für eine dauerhafte Beschäftigung qualifiziert werden. Bereits bestehende befristete Verträge von Postdocs mit dem Qualifizierungsziel der Berufungsfähigkeit müssen mit einer unbefristeten Anschlusszusage versehen werden, sofern die zuvor festgelegten wissenschaftlichen Leistungen erbracht wurden. In diesen Prozess der Strukturänderungen sind die Untergliederungen und deren Gremien eng einzubinden. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe zeigte sich schon, dass es in den Universitäten eine große Bereitschaft gibt, sich den Veränderungen zu stellen und sie konstruktiv anzugehen.

In den anstehenden Verhandlungen über die Hochschulverträge mit dem Land Berlin muss die gegebenenfalls notwendige zusätzliche Finanzierung abgesichert werden. Darüber hinaus müssen die Verpflichtungen zur Durchsetzung des Prinzips Guter Arbeit in der Wissenschaft konkretisiert und bei Nichterfüllung mit verbindlichen Sanktionen belegt werden. Das betrifft unter anderem die weitere Erhöhung der Quote unbefristeter Beschäftigung beim wissenschaftlichen Personal.

Und nicht zuletzt muss die Frage beantwortet werden, wie der Konflikt zwischen dem hohen Anteil drittmittelfinanzierter und projektbezogener Beschäftigung und der damit bisher zwangsläufig verbundenen Befristung der Arbeitsverträge aufgebrochen werden kann. Hier sind intelligente Lösungen gefragt, die auch in kontinuierlich drittmittelfinanzierten Bereichen eine dauerhafte Beschäftigung von Wissenschaftler*innen möglich machen.

Exzellente Universitäten gibt es nur mit exzellenten Arbeitsbedingungen!

Lese-Tipp zum BerlHG: https://www.gew-berlin.de/aktuelles/detailseite/feiern-vertagt

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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