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Schwerpunkt "Demokratie macht Schule"

Mehr echte Mitbestimmung

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass Demokratiebildung in Berlin je nach Schulform ungleich verteilt ist.

Foto: Grundschule Bad Münder

»Die Koalition wird für alle Schüler*innen konkrete Möglichkeiten der Beteiligung am schulischen Alltag und der Schulorganisation ausbauen sowie zur Teilnahme ermutigen«, so der (einzige) Satz der neuen Berliner Landesregierung im Koalitionsvertrag zur Demokratiebildung an Schulen. Wenn Schule tatsächlich demokratischer werden soll, bedarf es einer Konkretisierung und Operationalisierung dieses Satzes. Neben dem (Menschen-)Recht auf Teilhabe fokussiert Demokratiebildung ebenso die Förderung von Demokratiefähigkeit. Das heißt im Sinne des Berliner Schulgesetzes, junge Menschen politisch urteils- und handlungsfähig zu machen, ganz besonders auch gegen Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Demokratiefeindlichkeit, Geschichtsrevisionismus und Verschwörungsglauben. Eingefordert werden müssen vor diesem Hintergrund für Berliner Schüler*innen Instrumente, Ressourcen und verlässliche Strukturen für entsprechende Bildungsangebote und Beteiligungsmöglichkeiten.

Wie aber ist es überhaupt um die Demokratiebildung aus Sicht der Berliner Schüler*innen bestellt? Einen Einblick gibt die Studie »Zwischen Status quo und State of the Art: Politische Bildung und Demokratiebildung an Berliner Schulen«. In Auftrag gegeben wurde sie von der Friedrich-Ebert-Stiftung und konnte im Rahmen des Projektes »Demos Leben« durchgeführt werden, welches von der Berliner Bildungsverwaltung finanziert wurde. Die Studie beleuchtet aus der Perspektive von knapp 600 Berliner Lernenden die Quantität und Qualität der Angebote von Demokratiebildung und politischer Bildung, das politische Interesse, die Partizipation(sbereitschaft) und Selbstwirksamkeit der Schüler*innen sowie ihre politischen Einstellungen. Die Ergebnisse für Berlin beruhen auf einer berlinspezifischen Sonderauswertung von Befragungsdaten, die im Zuge der bundesweiten Untersuchung »Wer hat, dem wird gegeben« von knapp 3.400 Lernenden aller Schulformen (inklusive Berufsschulen) ab Klasse 9 im Schuljahr 2018/19 erhoben wurden.

Dieser Titel soll einen der zentralen Befunde und damit die besonderen Herausforderungen unterstreichen, wie sie für das gesamte Bundesgebiet, aber auch für Berlin deutlich wurden: Das Angebot von Demokratiebildung und politischer Bildung verteilt sich zwischen den Gymnasien und nichtgymnasialen Schulformen häufig ungleich, und zwar zugunsten der Gymnasialschüler*innen. Aufgrund der soziokulturell oft privilegierten Lernendenschaft an den Gymnasien ist der Zugang zu diesen Bildungsangeboten entlang der verschiedenen Schulformen sozial ebenfalls ungleich verteilt. Dies geht einher mit einem geringeren Demokratie- und Institutionenvertrauen, geringerer Partizipation(sbereitschaft) und einer weniger deutlichen Ablehnung von Antisemitismus, antimuslimischem Rassismus und der Abwertung von Asylsuchenden bei Lernenden an den nichtgymnasialen Schulformen. Mit Blick auf die empirisch bekannte Bildungsabhängigkeit politischer Einstellungen unter Erwachsenen, wie sie die Mitte-Studien und die Leipziger Autoritarismusstudien regelmäßig aufzeigen, müssen wir uns ernsthaft fragen: Wird dieses Phänomen strukturell im gegliederten Schulsystem verschärft? Und wie kann es reduziert werden, wenn wir es mit der Demokratiebildung für alle ernst meinen?

Schulklima im Schnitt demokratisch

Positiv hervorzuheben ist, dass die befragten Berliner Lernenden das Klima an ihrer Schule sowohl an den Gymnasien als auch an den Integrierten Sekundarschulen im Schnitt als demokratisch bewerten. Zugleich existiert insbesondere »Luft nach oben«, wenn es um die aktive Mitbestimmung und -gestaltung geht. So stimmen die Befragten schulformübergreifend am stärksten Aussagen zu, die sich auf einen offenen Meinungsaustausch innerhalb der Schule beziehen. Die im Mittel geringste Zustimmung hingegen erhielten Mitbestimmungsmöglichkeiten an der Schule und die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, die alle betreffen. Im Gesamtdurchschnitt schätzen die Gymnasialschüler*innen ihr Schulklima etwas demokratischer ein als die Schüler*innen an den Sekundarschulen. Befragte an Sekundarschulen haben allerdings im Vergleich etwas stärker den Eindruck, an ihrer Schule den Umgang mit Konflikten zu lernen, und dass Entscheidungen nachvollziehbar sind, die alle betreffen.

Ein Baustein zur Förderung demokratiebezogener Kompetenzen kann die Behandlung demokratiebezogener Inhalte in allen Unterrichtsfächern sein. Im Orientierungs- und Handlungsrahmen Demokratiebildung für Berliner und Brandenburger Schulen werden beispielsweise Grund- und Menschenrechte, demokratische Grundwerte, aber auch Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit genannt. Bei der Frage nach deren Thematisierung außerhalb des Politikunterrichts gaben die Befragten bei den meisten Themen Folgendes an: Diese werden lediglich teilweise im Unterricht aufgegriffen. Nur wenige der Themen werden den Schüler*innen zufolge in hohem Maße aufgegriffen – und dies zumeist auch nur an den Gymnasien. Schulform- und jahrgangsübergreifend als am wenigsten stark vertreten wurde das Thema Muslimfeindlichkeit angegeben. Antisemitismus wird nach Aussage der Lernenden zwar teilweise in den Fächern thematisiert, an den Gymnasien in der Sekundarstufe II sogar in hohem Maße. Allerdings lässt die vergleichsweise weniger eindeutige Ablehnung des israelbezogenen Antisemitismus der Befragten vermuten, dass das Thema vor allem im Kontext des Nationalsozialismus und weniger mit Bezug auf aktuelle Erscheinungsformen aufgegriffen wird. Es lassen sich also deutlich offene Potenziale hinsichtlich demokratiebezogener und diskriminierungssensibler Inhalte identifizieren.

Auch mit Blick auf außerunterrichtliche Formate der Demokratiebildung wie die Schüler*innenversammlung, ein Service-Learning-Angebot oder einen Demokratietag zeigen sich deutliche Unterschiede im Angebot entlang der Schulformen und Sekundarstufen. Die Befragten konnten zu 18 Formaten angeben, welche davon in den letzten zwölf Monaten an ihrer Schule stattfanden und an welchen sie teilgenommen haben. Von diesen Formaten sind etliche gar nicht oder nur von einem sehr geringen Teil (zum Beispiel der Kinderrechtetag an den Gymnasien) genannt worden. Andere hingegen wurden von rund drei Vierteln der Schüler*innen der jeweiligen Befragtengruppe angegeben (zum Beispiel die Schulversammlung an den Gymnasien in der Sekundarstufe I). Die meisten demokratiebildenden Formate werden dabei deutlich häufiger von den Lernenden an den Gymnasien als von denen an den Sekundarschulen bestätigt. In der Sekundarstufe I divergieren die Werte zwischen Gymnasium und Integrierter Sekundarschule dabei noch stärker als in der Oberstufe. Das ist umso bedenklicher, da in der bundesweiten Studie die Befragten an den Berufsschulen im Schnitt auf ein eher noch prekäreres Angebot von Demokratiebildung und politischer Bildung verweisen. Da sich dies auch für Berlin vermuten lässt, kann von einer Kompensation nach der 10. Klasse an den Berufsschulen nicht ausgegangen werden, während sich an den gymnasialen Oberstufen der Sekundarschulen eine Angleichung des Angebots an das der Gymnasien ablesen lässt.

Mitbestimmung nachhaltig implementieren

Für die Bedeutsamkeit demokratiebildender Angebote lassen sich dabei in verschiedenen Studienergebnissen Hinweise finden: Erstens werden alle Formate, die in Berlin den Lernenden zufolge angeboten werden, von den befragten Schüler*innen auch genutzt (jeweils mit unterschiedlicher Nachfrage). Zweitens konnte ein (schwach) positiver Zusammenhang zwischen der angegebenen Anzahl der angebotenen demokratiebezogenen Formate und der Bewertung des Schulklimas vonseiten der Schüler*innen festgestellt werden. Und drittens haben sich in einer Sonderauswertung der bundesweiten Daten Effekte gezeigt, wenn Lernende »viel Demokratiebildung« (fünf Formate und mehr) in den letzten 12 Monaten wahrnehmen konnten: Ihr Demokratievertrauen und ihr gesellschaftspolitisches Engagement waren im Vergleich zu Schüler*innen mit »wenig Demokratiebildung« (weniger als drei Formate) sichtlich höher. Ebenso lehnten sie deutlicher antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus ab und zeigten sich offener für migrationsbedingte Diversität.

Auffällig ist, dass es erst einmal unerheblich zu sein scheint, welche Formate die Lernenden wahrnehmen konnten. Entscheidend scheint vielmehr, dass Demokratiebildung an den Schulen eine präsente und nachhaltige Rolle spielt. Das heißt Demokratiebildung sollte kein Zufallsangebot bleiben, weil es kurz vor den Ferien noch einmal passt oder menschenfeindliche, antidemokratische Vorfälle »keine andere Wahl lassen«. Demokratiebildung sollte professionell und ganzheitlich in Schule aufgestellt sein. Mit Blick auf die Studienergebnisse heißt das auch, Demokratiebildung im Sinne von echter Partizipation und Mitbestimmung zu implementieren und vor allem dort mit Ressourcen zu stärken, wo sich sozio-kulturelle Ungleichheit von heute nicht mit politischer Ungleichheit von morgen überlagern darf: an Sekundarschulen und Berufsschulen.             

Die kompletten Studien, herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung, gibt es hier zum Download: hier

»Wer hat, dem wird gegeben.« Politische Bildung an Schulen. Bestandsaufnahme, Rückschlüsse und Handlungsempfehlungen

Zwischen Status quo und State of the Art. Politische Bildung und Demokratiebildung an Berliner Schulen hier

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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