Schwerpunkt „Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen unter Druck“
Mehr Selbstbewusstsein für die Profession der Sozialarbeiter*innen
Soziale Arbeit ist Teil der Sozialpolitik. Sozialarbeiter*innen müssen sich politisch engagieren, wenn sie dem ökonomischen Druck auf ihre Profession etwas entgegensetzen wollen.
»Dass Soziale Arbeit ein Teil der Sozialpolitik ist, kann man gut dort erkennen, wo angesichts der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte an den sozialen Diensten gespart wird: Stellenstopp beim Fachpersonal. Senkung der Personalkostenzuschüsse, Stellenstreichung, Schließung von Einrichtungen und Tendenzen der Reprivatisierung machen dies sehr deutlich«. (Johannes Schilling, Sebastian Klus (2015): Soziale Arbeit. Geschichte – Theorie – Profession, S.229)
Sozialarbeiter*innen sind im Arbeitsalltag oft mit politisch bedingten ökonomischen Herausforderungen konfrontiert. Eine der Herausforderungen stellt gegenwärtig die Unterbringung der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aus dem Kriegsgebiet der Ukraine dar. Die Sozialarbeiter*innen versuchen, schnellstmöglich eine bedarfsgerechte Hilfe anzubieten. In vielen Kommunen fehlen jedoch die Unterbringungsmöglichkeiten und weitere Trägerschaften der Sozialen Arbeit, um die Betreuung zu gewährleisten. Sozialarbeiter*innen prüfen den individuellen Hilfebedarf und versuchen gleichzeitig, aufgrund struktureller Vorgaben Kosten zu begrenzen. Sie müssen sich für ihre Entscheidungen rechtfertigen und erklären, warum gerade diese pädagogische Maßnahme als zwingend erforderlich erscheint. Zum Teil werden sie durch die Leitung aufgefordert, die Planung nochmals auf kostenreduzierende Faktoren hin zu prüfen, was zu einer hohen Unzufriedenheit und Mehrbelastung beiträgt.
Sozialpolitischen Wandel und die Bedürfnisse der Klient*innen in Einklang bringen
Die Klient*innen stehen ebenfalls vor ökonomischen Herausforderungen, welche den Sozialarbeiter*innen gespiegelt werden. Sozialpolitischer Wandel und die Bedürfnisse der Klient*innen müssen in Einklang gebracht und Lösungsansätze präsentiert werden. Das Wunsch- und Wahlrecht der Klient*innen rückt aufgrund der strukturellen Vorgaben vermehrt in den Hintergrund. Die Sozialarbeiter*innen sind in der Verantwortung, die erforderlichen Maßnahmen allen gleichberechtigt zugänglich zu machen.
Eine weitere Herausforderung sind rechtliche Veränderungen wie die SGB VIII Novelle (siehe Marginalie). Sie werden selbstverständlich in den Arbeitsalltag integriert. Im Rahmen der Personalversammlungen oder Teambesprechungen wird auf die Neuerungen hingewiesen. Schulungen sind aus Zeit- und Kostengründen oft nicht ad-hoc möglich. Auch hier ist die Ökonomisierung erkennbar.
Ebenfalls erfährt die Digitalisierung in der Sozialen Arbeit vermehrt Aufmerksamkeit. Administrativen Aufgaben wie dem Einpflegen der Daten oder der Dokumentation der Gespräche wird zunehmend mehr Zeit gewidmet, statt beispielsweise Beratungsgesprächen mehr Gewicht im Arbeitsalltag zu geben. Durch die Digitalisierung, die grundsätzlich richtig und wichtig ist, sollen zusätzlich Kosten gesenkt und Zeit gespart werden.
Des Weiteren müssen die Fachkräfte in beengten Räumlichkeiten zusammenarbeiten. Sie haben kaum Rückzugsmöglichkeiten für Krisen- und Konfliktgespräche. Auch müssen sie sich technische Geräte teilen, was ebenfalls zu einer hohen Unzufriedenheit beiträgt.
Der Umgang mit den am Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe aufgezeigten herausfordernden Arbeitsbedingungen könnte und sollte bereits in der Ausbildung und dem Studium verstärkt vermittelt werden.
Studentische Hilfskräfte übernehmen vermehrt aufgrund des Fachkräftemangels Aufgaben der Sozialarbeiter*innen. Sie begleiten Menschen in deren Lebenswelt und können die ihnen erforderlich erscheinenden Bewältigungsstrategien im Umgang mit herausfordernden Situationen noch nicht eigenständig aufzeigen, weil sie mit den Strukturen nicht ausreichend vertraut sind. Das spiegelt sich unter anderem in den wissenschaftlichen Ausarbeitungen während des Studiums. Diese Arbeitsbedingungen werden während des Studiums im Rahmen der Praktika sichtbar. Hier braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen der Hochschule und den Praxisstellen, wie beispielsweise in einem dualen Studiengang, um eine Änderung herbeizuführen.
Sozialarbeiter*innen werden den Veränderungen und Auswirkungen der Ökonomisierung unter geringer Partizipation ausgesetzt. Sie haben in unterschiedlichen internen Gremien wie Arbeitsgruppen und Fachdelegiertenkonferenzen die Möglichkeit, ihr Anliegen und ihre Praxiserlebnisse vorzutragen. Die Diskussion und die Entscheidung über die Umsetzbarkeit finden jedoch auf der Leitungsebene statt. Sie sollten sich in politischen Gremien wie dem Kinder- und Jugendhilfeausschuss als beratendes Mitglied oder als Mandatsträger*in in Gewerkschaften oder im Personalmanagement einbringen und engagieren. In politischen Gremien werden Entscheidungen über die Kinder- und Jugendhilfe getroffen. Stattdessen sollte das mitbestimmend durch praktizierende Sozialarbeiter*innen erfolgen. Während der Ausbildung oder des Studiums müssen Sozialarbeiter*innen dahingehend in ihrem Selbstbild gestärkt werden, dass sie mehrere Funktionen gleichzeitig ausüben und das Praxiswissen in unterschiedlichen Gremien einbringen können.
Sozialarbeiter*innen müssen selbstbewusster auftreten und sich sichtbar machen
Sozialarbeiter*innen folgen oft politischen Anforderungen, statt sie kritisch zu prüfen. Ein Beispiel dafür war der politische und mediale Umgang mit Sozialarbeiter*innen in der Kinder- und Jugendhilfe während der Pandemie: Kitas und Schulen wurden geschlossen und lediglich die Erzieher*innen und Lehrer*innen wurden als unersetzbare Fachkräfte erwähnt, während beispielsweise die Jugendamtsmitarbeiter*innen oder Sozialarbeiter*innen in Wohngruppen aufgrund des Kindeswohls dauerhaft im Einsatz waren. Die Politik ignorierte die Profession Soziale Arbeit und setzte ihr Augenmerk auf Lehrkräfte und Erzieher*innen, was die Sozialarbeiter*innen stillschweigend hinnahmen. Hier müssen sie selbstbewusster auftreten und sich als eigenständige Profession sichtbar machen.
Sozialarbeiter*innen benötigen mehr Wertschätzung und Anerkennung durch die Politik und Arbeitgeber, um einer Deprofessionalisierung entgegen zu wirken.
Das Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (KJSG) von 2021 soll Kinder und Jugendliche in den Bereichen Beteiligung, Kinderschutz, Aufenthalt in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Erziehungshilfe sowie durch eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der Leistungen und Angebote der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe
unterstützen.