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Schwerpunkt "Diskriminierungssensible Pädagogik"

»Meine Herkunft spielt eine Rolle«

Thomas Hashemi unterrichtet Deutsch und Philosophie am Diesterweg Gymnasium. Im Interview erzählt er, wie ihm bewusst wurde, dass sein Migrationshintergrund für seine Rolle als Lehrer von Bedeutung ist.

Foto: Bertolt Prächt

bbz: Vielen Dank, dass du dir heute Zeit für dieses Interview genommen hast, um darüber zu sprechen, welche Erfahrungen Lehrkräfte mit Migrationshintergrund in Berlin machen. Eigentlich wollten wir hier mindestens zu viert sitzen. Je eine Person, die aus den unterschiedlichen Phasen – Studium, Referendariat und Beruf – berichten kann und ich als Moderatorin. Alle Personen, die du oder ich eingeladen haben, haben jedoch abgesagt. Was sagt uns das?

Hashemi: Niemand der in Frage kommenden Personen, ehemalige Schüler*innen im Studium oder Referendariat oder Kolleg*innen, wollte sich hier im Gespräch zu diesem Thema äußern. Auf Nachfrage wurde gesagt, dass das Thema zu schwierig sei. Es ist also ein Thema, aber man traut sich nicht, darüber zu reden. Dabei haben alle Diskriminierungen erfahren. So berichtete mir zum Beispiel eine ehemalige Schülerin, dass Mitstudierende vollkommen verständnislos auf ihre guten Noten reagiert hätten. So nach dem Motto: Mitstudierende mit Migrationshintergrund sind ok, solange sie keine besseren Leistungen zeigen. Einer anderen wurde auf Grund ihres Äußeren vorgeworfen, nicht richtig emanzipiert zu sein oder die falsche Musik zu hören. Eine Referendarin berichtet, dass ihr gegenüber der Ausbilder wiederholt betonte, dass heute ja jeder Lehrer*in werden könne.

Warum ist es so schwierig, darüber zu sprechen?

Hashemi: Als diskriminierte Person ist man in der schwächeren Position. Man will nicht die Person sein, die andere als Rassist*in bezeichnet. Verweist man auf Missstände, muss man einen Backfire-Effekt fürchten, bei dem man dann besonders genau unter die Lupe genommen und entsprechend übermäßig kritisiert wird oder einem sogar vorgeworfen wird, dass man mit der Diskriminierungskritik von eigenen schlechten Leistungen ablenken will. Auch nach dem Referendariat ist man noch angreifbar, wenn es um Funktionsstellen oder allgemein um Unterrichtsqualität geht. Wenn etwas nicht so gut gelaufen ist, könnte das bei Lehrkräften mit Migrationshintergrund immer als Bestätigung gesehen werden, dass »die« das nicht so gut können. Dafür möchte man natürlich nicht der Anlass sein.

Welche Diskriminierungsformen gibt es im Lehramtsberuf?

Hashemi: Für die einzelnen Ausbildungsphasen gibt es jeweils andere Formen, wie ich bereits berichtet habe. Im Beruf sind es dann dieselben wie in anderen Berufen auch: Ausschluss von Stellen und Funktionen, offene oder versteckte Abwertungen.

Welche Diskriminierungserfahrungen hast du erlebt?

Hashemi: Während meines Studiums habe ich keine Nachteile mitbekommen, aber Ende der 90er und Anfang der 2000er war das Thema Diskriminierung auch noch nicht so präsent für mich, entsprechende negative Erfahrungen hätte ich vermutlich nur auf mich individuell bezogen.

An meiner Ref-Schule in Köln – ein renommiertes bürgerliches Gymnasium – habe ich mich zum ersten Mal nachteilig bewertet gefühlt. Der Schulleiter hat mir das Gefühl gegeben, dass es nicht sein könne, dass einer wie ich gute Leistungen im Lehrberuf erbringen kann. Nach dem Ende des Referendariats habe ich auch keine Anschlussstelle angeboten bekommen, obwohl es eine genau passende Stelle gab und ich auch einen sehr guten Abschluss gemacht habe.

Ich habe für diese Benachteiligung keinen eindeutigen Beleg, aber die Reserviertheit, die ich mir gegenüber im Vergleich zu anderen Mitreferendar*innen wahrgenommen habe, war deutlich. Da habe ich zum ersten Mal darüber nachgedacht, dass meine Herkunft eine negative Bedeutung haben könnte.

Welchen Einfluss hatte dein Migrationshintergrund auf deine berufliche Entwicklung?

Hashemi: Ursprünglich wollte ich eher Schriftsteller sein und nur Teilzeit als Lehrer arbeiten, zur finanziellen Absicherung. Daher habe ich mir nicht so viele Gedanken über die Rolle und mögliche damit verbundene Probleme gemacht. Die Bedeutung des Migrationshintergrunds für den Beruf ist mir erst richtig bewusst geworden, als ich dann im Februar 2010 am Robert-Koch-Gymnasium in Kreuzberg angefangen habe. Dort entstand direkt der Kontakt mit dem Berliner Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund. Erst durch das Netzwerk habe ich gemerkt, dass meine Herkunft eine Rolle spielt. Zudem habe ich dann sehr schnell die Aufgabe angenommen, in meiner Rolle als Lehrkraft mit Migrationshintergrund die überwiegend türkisch-arabische Schüler*innenschaft des Kreuzbergers Robert­Koch-Gymnasiums zu dem höchsten Schulabschluss in Deutschland zu begleiten.

Kannst du das präzisieren? Welche Rolle hat man als Lehrkraft mit Migrationshintergrund an einer solchen Schule?

Hashemi: Als ich angefangen habe zu unterrichten, gab es Weiße Kollegien und die BIPoC Schüler*innenschaften. Das war vor 12 Jahren noch eine große Spaltung. Als Lehrkraft fühlte ich mich zum Teil als Bindeglied zwischen dem eher Weißen Kollegiumsraum und der BIPoC Lernenden. Es ging und geht auch immer noch darum, ein Zeichen für die Schüler*innen zu sein, dass auch sie als BIPoC in die Gesellschaft prägenden Positionen arbeiten können.

Hat dein Hintergrund eine Auswirkung auf die Beziehung zu deinen Schüler*innen?

Hashemi: Ich bin schon anders sozialisiert als die meisten meiner Schüler*innen und spreche ja auch keine »ihrer« Sprachen. Trotzdem gehöre ich eher zu ihrem »Wir« und habe tatsächlich auch schon öfter entdeckt, dass es viele Parallelen gibt zu den Erfahrungen, die ich mit meiner persischen Familie gemacht habe. Das spüren sie schon, ist mein Eindruck, dadurch gibt es etwas mehr Vertrauen, weniger Abwehrhaltung.

Gleichzeitig habe ich wahrgenommen, dass diese Rolle für Lehrer*innen mit Migrationshintergrund auch belastend sein kann. Ein Bekannter von mir hat es aus diesem Grund abgelehnt, an Schulen mit hohem Anteil an Schüler*innen mit Migrationshintergrund zu arbeiten, da er nicht der Ansprechpartner für »türkische Angelegenheiten« werden wollte. Es kann also nicht nur darum gehen, Lehrkräfte mit Migrationshintergrund für die scheinbar entsprechenden Schulen zu gewinnen. Gesellschaftliche Vielfalt muss in allen Schulen repräsentiert werden.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Hashemi: Ich wünsche mir, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt in der Schule widerspiegelt und sich alle als gestaltenden Teil der Gesellschaft wahrnehmen. Ich wünsche mir Schulen, in denen die Schüler*innen nicht »bei uns Türken«, »bei uns im Islam« oder gar »bei uns Ausländern« sagen, weil sie ihre Lehrer*innen grundsätzlich als eine ganz andere Gruppe wahrnehmen. Jetzt kommen gerade sehr viele Kolleg*innen mit Migrationshintergrund in den Beruf. Heute ist es normaler, dass es Lehrkräfte mit Migrationshintergrund gibt. Es ist spannend zu sehen, welche Folgen das haben wird. Kollegien repräsentieren die Gesellschaft und diese sollten genauso divers sein, wie unsere Gesellschaft.       

Migrationshintergrund Der Begriff Migrationshintergrund wird auch kritisiert. Demnach bietet er keinen Raum für ein vielfältiges Deutschsein und helfe nicht, Diskriminie-rungserfahrungen sichtbar zu machen oder Benachteiligungen von Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihres Namens abzubilden.  

Berliner Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund www.berlin.de/sen/bildung/fachkraefte/lehrerausbildung/vielfalt-bildet-berlin

Lesetipps für Interessierte www.gew.de/aktuelles/detailseite/du-gehoerst-nicht-dazu       https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/20203/   

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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