Recht & Tarif
Meistens sind es Frauen, die ausgeschlossen sind
Viele angestellte Lehrkräfte, die nicht verbeamtet werden, gehen beim Nachteilsausgleich leer aus. Jahrzehntelange Praxiserfahrung von Lehrkräften mit ausländischem Abschluss wird nicht wertgeschätzt.
Der Senat hat entschieden, dass Lehrer*innen, die nicht verbeamtet werden können oder wollen, einen Nachteilsausgleich erhalten. Doch viele angestellte Lehrkräfte werden dabei ignoriert. Trotz den geringfügigen Nachbesserungen werden nach wie vor zahlreiche Gruppen vom Nachteilsausgleich ausgeschlossen. Dazu zählen Lehrer*innen mit einem 1. Staatsexamen, Lehrer*innen mit einem Fach, Lehrer*innen, die ihr Lehramtsstudium an einer ausländischen Universität abgeschlossen haben, Pädagogische Unterrichtshilfen, Lehrer*innen für Fachpraxis sowie Lehrer*innen mit einer Ausbildung nach dem Recht der DDR, wie Freundschaftspionierleiter*innen und Horterzieher*innen, die als Lehrer*innen tätig sind. In all diesen Gruppen sind überwiegend Frauen jahrzehntelang als Lehrer*innen im Berliner Schuldienst im Einsatz.
Schon vor der Wiedereinführung der Verbeamtung und der Einführung des Nachteilsausgleichs im Februar 2023 wurden Lehrer*innen »ohne vollständige Laufbahnbefähigung« und »ausländische« Lehrer*innen jahrzehntelang vom Senat wie vollausgebildete Lehrer*innen eingesetzt. Sie übten die gleiche Arbeit wie ihre Kolleg*innen mit voller Lehrbefähigung aus. Mit der Wiedereinführung der Verbeamtung trennt der Senat bürokratisch eine Gruppe von einer finanziellen Entschädigung ab: Voraussetzung für den Erhalt des Nachteilsausgleichs von 300 Euro sind zwei Studienfächer und das 2. Staatsexamen. Da die genannten Gruppen von Lehrkräften nicht über ein 2. Staatsexamen verfügen, fallen sie aus der Entschädigung heraus.
Erst gebraucht, dann benachteiligt
Aber warum haben diese Lehrer*innen in den letzten Jahren kein zweites Staatsexamen erworben? Warum sind Lehrkräfte nach dem Recht ihres Herkunftslandes nicht auf die Idee gekommen, zusätzlich zu ihrem ausländischen Abschluss noch ein deutsches Staatsexamen zu machen? Durch den Lehrkräftemangel wurden sie in den Schulen gebraucht, sie haben unterrichtet!
Die Senatsbildungsverwaltung hat die billigen Arbeitskräfte gerne angenommen, sich aber nicht ernsthaft darum gekümmert, dass diese Gruppen die nötigen Weiterbildungen oder Anpassungsmaßnahmen parallel zu ihrer – meist in Vollzeit ausgeübten – Lehrtätigkeit erhalten. Um ein Universitätsstudium nachzuholen, müssten Lehrer*innen zum einen ihre Stunden reduzieren und hätten somit deutlich weniger Geld zur Verfügung. Für viele ist das aus familiären Gründen gar nicht möglich. Zum anderen hätten sie für die berufsbegleitende Ausbildung die Genehmigung der Schulleitung für die erforderliche Teilzeitbeschäftigung gebraucht.
Eine andere Möglichkeit zum Erhalt der gleichwertigen Ausbildung als vollwertige Lehrer*innen ist ein Anpassungslehrgang, der mehr als ein Jahr dauert und begrenzte Plätze hat. Im Anpassungslehrgang bekommen Lehrer*innen mit Abschluss nach dem Recht ihres Herkunftslandes ein »Unterhaltsgeld« in der Höhe der Bezüge von Lehramtsanwärter*innen. Die Höhe beträgt zurzeit als ledige Person 1.606 Euro, verheiratet und mit einem Kind 1.884 Euro. Auch das müssen sich Lehrer*innen erst einmal leisten können.
Betroffene sind jetzt in jedem Fall bestraft: Manche durch weniger Gehalt und weniger Rentenpunkte, wenn sie ihr Staatsexamen an einer deutschen Universität nachgeholt oder einen Anpassungslehrgang absolviert haben. Diejenigen, die nur in den Schulen gearbeitet haben und aus zeitlichen oder finanziellen Gründen keinen gleichwertigen Abschluss als vollausgebildete Lehrkraft erworben haben, erhalten keinen Nachteilsausgleich. Eine Schande!
Viele arbeiten seit mehr als 20 Jahren an den Schulen Berlins. Sie wurden wie jede vollausgebildete Lehrkraft neben ihrem Stundenpensum als Klassenlehrer*innen eingesetzt. Sie sprangen für abgewanderte Lehrkräfte ein, die sich nach ihrem Referendariat ihre Verbeamtung in anderen Bundesländern abholten. Jahrelang waren sie gut genug, um dem Bildungssenat aus der Patsche zu helfen.
Betroffene gibt es an jeder Schule
In vielen Lehrer*innenzimmern geht es derzeit nur noch um die Verbeamtung. Der Nachteilsausgleichs und der Ausschluss vom Ausgleich werden kaum thematisiert. Welche Demütigung, wenn sich Lehrer*innen unter 52 Jahren über den Stand ihrer Verbeamtung unterhalten, während sich im Raum immer eine oder mehrere von der Verbeamtung oder dem Nachteilsausgleich Ausgeschlossene aufhalten! In jeder Schule gibt es Betroffene und meistens sind es Frauen. Viele Lehrer*innen fühlen sich von der Forderung »Gleiches Geld für gleiche Arbeit« angesprochen. Wir dürfen diese Ungerechtigkeit nicht hinnehmen! Wertschätzung für die jahrelange Praxiserfahrung muss bedeuten, den Nachteilsausgleich für alle angestellten Lehrkräfte ohne zusätzliche Bedingungen zu gewähren.
Alle Gliederungen der GEW sollten sich mit diesem Thema befassen und gemeinsam aktiv darauf hinwirken, den Beschluss des Senats zu verändern. Die Landesdelegiertenversammlung der GEW BERLIN hat dazu im Herbst 2023 beschlossen: »Der GEW-Landesvorstand fordert den Senat von Berlin (…) auf, alles Erforderliche zu tun, um den Nachteilsausgleich für alle Lehrkräfte, die nicht verbeamtet werden können oder wollen, deutlich zu verbessern. (…) Dazu müssen auch die Lehrkräfte in der Wartezeit für eine Verbeamtung gehören, zudem die von der Verbeamtung ausgeschlossenen Lehrkräfte (…). Das gilt auch für die Lehrkräfte ohne EU-Staatsangehörigkeit. Der Nachteilausgleich muss auch allen Lehrkräften gezahlt werden, die nach dem 1.8.2023 eingestellt werden.«
Vor allem in Zeiten des Rechtsrucks ist für unsere Schüler*innen die Wertschätzung und Unterstützung der Lehrer*innen mit Migrationshintergrund entscheidend. Wir sollten ihnen ein Vorbild als engagierte Gewerkschaft in einer gleichberechtigten Gesellschaft sein.
EMPFEHLUNGEN DES RECHTSSCHUTZES Die Rechtsschutzstelle der GEW BERLIN erhält nach wie vor zahlreiche Anfragen von Mitgliedern zum Thema Nachteilsausgleich. Die rechtliche Situation ist von Fallzu Fall anders. Der aktuelle Stand und die Empfehlungen der GEW-Expert*innen werden auf der Webseite dargestellt.
M. Godoy
»Ich arbeite als Grundschullehrerin in der Deutsch-Spanischen Europa-Schule in Berlin. In Spanien habe ich das Studium als Lehrerin für die 1. bis 8. Klassen abgeschlossen. Ich habe mich über die Jahre hinweg weitergebildet und in Deutschland mehrere Semester Diplompädagogik studiert. Im August 2024 wurde ich in der Gesamtkonferenz mit einer Urkunde zu meinem 25-jährigen Dienstjubiläum in der Berliner Schule geehrt. Unser Schulleiter las vor dem Kollegium die schönen Worte vor, mit denen die Senatorin für meinen »langjährigen und engagierten Einsatz« dankte. Ich war berührt und sehr erfreut über die Geste. Andererseits war ich auch traurig, weil ich in den ersten zehn Jahren in der Schule deutlich weniger Geld verdient habe als meine deutschen Kolleg*innen. Meine spanische Ausbildung galt nicht als gleichwertig. Trotzdem trug ich die gleiche Verantwortung wie meine Kollegen, war Klassenlehrerin, habe bilaterale Projekte und Schüleraustausche mit Spanien organisiert. Es war ein harter Kampf und dauerte viele Jahre, die Gleichstellung mit den deutschen Kolleg*innen bei der Vergütung zu erreichen. Beim Nachteilsausgleich wird mir nun wieder die Gleichstellung verweigert. Für mich ist dies ein mangelnder Respekt und eine Geringschätzung der vielen Jahre Arbeit in der Berliner Schule.«
G. Alvarez
»Ich arbeite seit 2000 in einer Europa-Schule. Die Probleme, mit denen wir Lehrer*innen mit einem Studium in unseren Heimatländern konfrontiert sind, machen mich traurig und ich fühle meine Arbeit nicht wertgeschätzt. In meinen ersten Berufsjahren verdiente ich viel weniger Geld als meine deutschen Kolleg*innen, obwohl ich die gleiche Arbeit ausgeübt habe. Um die E13 zu bekommen, war mein anerkanntes Studium im Ausland ein Hindernis. Es wurde das Problem gelöst, weil es einen politischen Willen gab, der es erlaubt hat, die E13 zu bekommen. Jetzt und nach über 20 Jahren habe ich keinen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich wegen meinem Studium im Ausland. Ich bleibe ein optimistischer Mensch, der das Motto hat: Vielfalt und Gleichheit in meiner Klasse! Ich hoffe sehr, dass dieser Wunsch von Vielfalt und Gleichheit auch für Pädagog*innen gilt. Es wäre nicht nur schön, dies zu erleben, sondern auch gerecht. Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit!«
M. González
»Ich arbeite seit über 28 Jahren als Grundschullehrerin in der Deutsch-Spanischen Europa-Schule in Berlin. Mein Studium als Grundschullehrerin für die 1. bis 8. Klasse habe ich 1990 in Spanien abgeschlossen. Es wurde von der Senatsverwaltung überprüft und anerkannt. Als ich 1996 in Berlin als Grundschullehrerin mit meiner Arbeit begann, wurde ich in Bezug auf meine Arbeitskraft vom Schulleiter und dem Kollegium sofort als neue Kollegin integriert. Dies bedeutete, dass ich neben der Lehrtätigkeit auch alle anderen Aufgaben einer Lehrkraft übernahm: Klassenlehrerin sein, Elterngespräche führen, Elternabende durchführen, Zeugnisse schreiben und unterschreiben und an allen Schulkonferenzen teilnehmen. Bei meiner finanziellen Vergütung hat man allerdings auf die Integration verzichtet: Über zehn Jahre habe ich deutlich weniger verdient als meine deutschen Kolleg*innen. Bis heute bekomme ich nicht das gleiche Gehalt wie meine Kolleg*innen mit einem deutschen Abschluss. Auch vom Nachteilsausgleich werde ich wieder ausgeschlossen. Für die Verwaltung wurde ich zwar gut genug ausgebildet, um zu unterrichten und jahrzehntelang zu arbeiten, nicht aber um dafür eine angemessene Bezahlung zu erhalten.«