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Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit - Serie Sozialarbeiter*innen

Mit Empathie und dickem Fell

Als Betriebsrätin berät sie ihre Kolleg*innen in Kitas. Als Sozialarbeiterin begleitet sie psychisch erkrankte Menschen im Alltag. Im Interview gibt uns Jeannine Schätzle einen Einblick in ihre beiden Arbeitswelten.

Foto: Fotostudio Charlottenburg

bbz: Wie bist du zur Sozialarbeit gekommen?

Schätzle: Eigentlich eher auf Umwegen. Ich habe nach dem Abitur erstmal nicht studiert, sondern zu Wendezeiten ein Jahr lang auf der Fachschule für Erzieher*innen gelernt. Dann wollte ich doch an die Uni und habe anderthalb Jahre Reha-Pädagogik studiert und diverse Praktika gemacht. Aber das Pädagogik- Studium war Anfang der 90er sehr im Umbruch begriffen und viele Sachen waren unklar. Deshalb habe ich mich entschieden, meinen anderen Leidenschaften, den Fremdsprachen und der Literatur, zu folgen und habe meinen Magister in Englisch und Spanisch gemacht. Nach dem Studium war es schwer, einen Job in dem Bereich zu finden, mit dem ich mich identifizieren konnte. Ich habe aushilfsweise im Betreuten Einzelwohnen gearbeitet. So bin ich bei meinem jetzigen Träger, dem Unionhilfswerk, gelandet und habe später nochmal berufsbegleitend Soziale Arbeit studiert.

Hast du dann die ganze Zeit im Bereich des betreuten Einzelwohnens (BEW) gearbeitet?

Schätzle: Ziemlich lange. Und zwar im betreuten Einzelwohnen für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Und dann bin ich in den Betriebsrat gegangen. Mein Schwerpunkt dort ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz geworden. Dieser Bereich beschäftigt mich jetzt schon seit fünf Jahren. Da wir niemanden im Betriebsrat hatten, der*die in den Kitas arbeitete, habe ich diese Aufgabe zusammen mit anderen BR-Kolleg*innen ebenfalls übernommen. Ich besuche die Kitas, bin manchmal bei den Dienstbesprechungen dabei, biete für die Kolleg*innen Gesprächstermine an und organisiere gemeinsam mit meinen Betriebsratskolleg*innen die Abteilungsversammlungen.

Bist du voll freigestellt?

Schätzle: Zu Beginn war ich punktuell freigestellt, also ich habe einen Teil im Betreuten Einzelwohnen gearbeitet und die andere Hälfte im Betriebsrat. Es ist ja bekannt, dass der Betriebsrat immer mehr Ressourcen braucht, als er hat. Wir können grundsätzlich nicht alle Themen bearbeiten, die wir eigentlich bearbeiten müssten, sprich alle Mitbestimmungsbereiche tatsächlich abdecken. Es ist aufgrund der ungenügenden personellen Ressourcen einfach nicht zu schaffen, tatsächlich alle Mitbestimmungsrechte einzufordern und durchzusetzen.

Ich wurde dann in der letzten Wahlperiode drei Jahre lang als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende voll freigestellt, das war rund um die Zeit der ersten Corona-Welle. Aber die reine Büroarbeit ist nicht meins. Ich war damit nicht glücklich und wollte gern weiter soziale Arbeit machen. Dann wurde zufällig eine Stelle im Bereich Betreutes Einzelwohnen für Menschen mit psychischen Erkrankungen frei. Auf diese Stelle habe ich mich beworben und sie bekommen.

Wie sieht deine Arbeit da aus?

Schätzle: Ich habe zwei Klient*innen, die ich derzeit betreue und außerdem diverse Vertretungen. Die Klient*innen sehe ich ein- bis zweimal in der Woche. Ich begleite sie zu Ämtern wie dem Jobcenter, helfe, Anträge zu stellen, den eigenen Alltag zu strukturieren und zu priorisieren und vor allem führe ich viele Gespräche. Im Augenblick habe ich Klient*innen für zirka 15 Stunden und 15 Stunden bin ich für den Betriebsrat freigestellt. Das ist bei uns im BEW ganz gut geregelt. Es ist im Unternehmen insgesamt aber unterschiedlich.

Welche Kompetenzen benötigst du für die Arbeit mit den Menschen mit psychischen Erkrankungen und in der Betriebsratsarbeit?

Schätzle: Für die Arbeit mit Menschen mit psychischen Erkrankungen braucht man viel Empathie. Einfühlungsvermögen in die unterschiedlichen Lebenssituationen, in die oft nicht so einfach scheinenden Persönlichkeiten und sozialrechtliche Kenntnisse. Mein Schwerpunkt, würde ich sagen, sind die psychosozialen Themen, wie Gesprächsführung. Ich biete den Klient*innen einen Gesprächsrahmen und frage so, dass sie selbst auf Lösungen und Ideen kommen. Ich verfolge einen systemischen Ansatz und habe mich als systemische Beraterin weitergebildet. Authentizität finde ich bei unseren Klient*innen auch sehr wichtig.

Für die Betriebsratsarbeit fällt mir als Erstes ein dickes Fell ein, die Fähigkeit, Angriffe nicht persönlich zu nehmen, sondern sie meiner Rolle als Betriebsrätin zuzuordnen. Und der Wunsch, Veränderungen auf den Weg zu bringen. Das ist vielleicht keine Kompetenz, aber dennoch eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt die Energie für die Betriebsratsarbeit aufzubringen.

Gibt es Erlebnisse, in denen du eine Wirkungskraft gespürt hast? Was hält dich sowohl im Bereich des BEW als auch im Betriebsrat?

Schätzle: Im BEW sind es vor allem die Klient*innen. Es sind sehr interessante Menschen, oft mit einer besonderen Sensibilität. Es macht Spaß, mit ihnen zu reden und sie zu unterstützen.

Generell sind die Rahmenbedingungen im BEW einfach mein Ding. Die Arbeit nach Terminen, dass ich den ganzen Tag unterwegs bin von A nach B und in der Regel einen eins-zu-eins-Kontakt habe. Es ist eine sehr intensive Arbeit, sehr nah.

Kommt es auch vor, dass dir Fälle von Klient*innen nahe gehen und sie dich gedanklich nicht loslassen?

Schätzle: Ja, das kommt vor. Doch ich kann solche Fälle mit in die regelmäßigen Supervisionssitzungen nehmen. Die finden einmal im Monat statt und dauern anderthalb Stunden. Da werden sowohl Themen mit Klienten oder Klientinnen besprochen, als auch Themen aus dem Team oder organisatorische Themen. Das ist schon sehr hilfreich. Ich denke, dass regelmäßige Supervisionen in der Sozialen Arbeit selbstverständlich sein sollten, um sich selbst reflektieren und gut arbeiten zu können.

Und im Betriebsrat, was hält dich da?

Schätzle: Mir macht Betriebsratsarbeit grundsätzlich viel Spaß. Ich habe dadurch einiges gelernt, wie zum Beispiel die Fähigkeit, mich zu präsentieren. Das sind so persönliche Gewinne. Zudem habe ich inhaltlich viel Neues gelernt, wie zum Beispiel im Arbeitsrecht oder Gesundheitsschutz. Inzwischen kann ich sehr viele Fragen von Kolleg*innen beantworten und weiß, wie ich Anliegen bearbeite. Anfangs war ich unsicher. Natürlich gibt es immer noch spezielle Themen, die ich mit in den Betriebsrat nehme und mit meinen Kolleg*innen berate. Es macht mir tatsächlich auch Spaß, mit dem Arbeitgeber zu verhandeln. Ich gehe gerne in die Einrichtungen, um die Kolleg*innen zu unterstützen und ins Gespräch zu kommen. Ich finde es außerdem spannend, dass immer wieder neue Themen auftauchen, mit denen man sich beschäftigen kann. Wir haben beispielsweise noch kein richtiges Beschwerdemanagement und wollen mit dem Arbeitgeber ein allgemeines Verfahren erarbeiten.

Welche Möglichkeiten werden dir für die Arbeit im Betriebsrat gegeben, um dich mit den Themen vertiefend auseinanderzusetzen?

Schätzle: Standardmäßig nehmen alle Leute, die im Betriebsrat anfangen, an jeweils drei Basisschulungen zum Betriebsverfassungsrecht und zum Arbeitsrecht teil. Die Notwendigkeit dieser Schulungen wird vom Arbeitgeber auch nicht angezweifelt. Ich habe dann noch an Schulungen zum Thema Öffentlichkeitsarbeit, Arbeits- und Gesundheitsschutz teilgenommen. Teilweise wurden sie von unserer Berufsgenossenschaft angeboten und kosten nichts außer Arbeitszeit.

Welchen Wunsch hast du für deine weitere Arbeit?

Schätzle: Ich hätte gerne eine Kollegin aus den Kitas im Betriebsrat, um aus diesem Bereich noch detailliertere Informationen zu bekommen. Zudem würde ich gerne den Fokus stärker in Richtung Bereichsbetreuung für die einzelnen Einrichtungen legen. Ich glaube, das ist das Allerwichtigste, dass man von den Kolleg*innen die Themen abholt und nicht an ihnen vorbei verhandelt und diskutiert.        
 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46